Die wohl wichtigste Frage beantwortete Martin Parr schon mit dem Betreten des „Roten Salons“ im Casal Solleric, Palma, wo vergangene Woche die versammelte Inselpresse auf den prominenten Magnum-Fotografen wartete. Seine Ankunft blieb nämlich nahezu unbemerkt, und man verstand nun besser, wie dem groß gewachsenen, harmlos grinsenden Briten diese Schnappschüsse von berührenden, subtil schrecklichen und oft genug peinlichen Alltagssituationen gelingen. Ein Paradebeispiel ist seine Serie „Gelangweilte Paare“. Er hat sie in Restaurants und auf der Straße erjagt, und obwohl er nach eigenem Bekunden viel mit Blitzlicht arbeitet, scheinen seine „Opfer“ ihn nicht zu bemerken. Nein, erwidert Parr auf die Frage der MZ, er sei nicht unsichtbar und versuche es auch gar nicht zu sein, im Gegenteil. Er befolge nur die rules of engagement, die „Regeln der Auseinandersetzung“.

Mit seiner Arbeit widerspricht Parr dem Credo, engagierte Fotografie müsse zwangsläufig Armut, Aids, Dritte Welt oder Kriege zum Thema haben. Eine Serie wie die der „gelangweilten Paare“ illustriert das: „Ich suche das Lustige und das Traurige, und wenn beides zusammenfließt, funktioniert ein Foto am besten, denn das ist die Wirklichkeit.“ Wir sehen vor allem Propaganda, meint Parr. Schöne Menschen, schöne Dinge. Alles Lüge, denn so ist die Realität nicht. „Ich versuche, die Welt abzubilden, wie sie tatsächlich ist, und das schockiert.“

Der Brite zieht den Vergleich mit idealisierenden Bildern auf Verpackungen von Lebensmitteln. Daneben hat er ein Faible für Kitsch und Geschmacksverwirrungen. Und für ein Thema, in dem sich alles bisher Genannte in visuell süffisanter Form konzentriert: Tourismus.

Hier findet Parr, der seit den 70er Jahren international Erfolge feiert, besonders viel Material für seine Anti-Propaganda-Fotografie. Seit Beginn seiner Karriere vor mehr als 30 Jahren ist Tourismus sein Hauptthema. Somit kam er an Mallorca nicht vorbei: „Ich bin sehr englisch, ich gehe überall hin, wo die Engländer hingehen, auch nach Mallorca. Wir lieben Mallorca. Wir haben eure Wirtschaft angekurbelt, jetzt müsst ihr den englischen Humor erdulden. Eines ohne das andere geht nicht.“

Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist sein Jagdrevier. „Die Realität eines Ferienziels unterscheidet sich immer stark von seinem Mythos, von der Vorstellung, die sich der Tourist davon macht. Von Mallorca zum Beispiel sieht man in der Werbung nur die Strände. Dann kommt man hier an, das Hotel ist eine Baustelle, das Essen ist grässlich, und der Bus kommt nicht“, ironisiert der Brite. „Und ich finde lustig, wie die Leute damit umgehen.“

Besonders seine Landsleute, aber auch die Deutschen nimmt Parr mit Vorliebe ins Visier, ihnen ist im Solleric ein eigener Saal gewidmet. Daneben hat der Fotograf eine Schwäche für Japaner: „Sie sind wundervoll, visuell sehr amüsant. Die rennen immer als Gruppe herum und tragen dieselben Kappen.“

Und so hat Parr die Kultur des touristischen Reisens, des Abklapperns von Sehenswürdigkeiten auf der ganzen Welt dokumentiert. Im vergangenen Jahr besuchte er die letzte wichtige Touristenattraktion, die ihm noch fehlte: Machu Picchu in Peru. „Mein Leben ist erfüllt, ich kann glücklich sterben.“

Und wo verbringt Parr, der das ganze Jahr über als „Berufstourist“ die Welt bereist, seinen privaten Urlaub? „Auf schottischen Inseln, auf denen es dauernd regnet.“

„Assorted Cocktail“, Martin Parr, Casal Solleric, Palma, bis 6.9.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem

- Tiefenwirkung: Die wilden Jahre des Miquel Barceló

- Wechselwirkung: Die Bilder des Hans-Christian Schink

- Breitenwirkung: Die Bühnen des Palma-Sommers