Bei diesem Sturz stockte nicht nur Radsportfans der Atem. Bei der Tour de France im vergangenen Jahr prallte Jens Voigt (Saxo Bank) am 21. Juli bei einer Bergabfahrt mit einer Geschwindigkeit von 80 Stundenkilometern auf den Asphalt. Mit Jochbein- und Kieferhöhlenbruch sowie einer schweren Gehirnerschütterung wurde der Mecklenburger ins Krankenhaus von Grenoble eingeliefert.

Der Helm habe ihm das Leben gerettet, sagten die Ärzte. Mittlerweile fährt Voigt wieder und bereitet sich auf seine 13. Tour de France vor. Die MZ traf den fünffachen Familienvater bei der Mallorca Challenge, die erst am Erscheinungstag dieser Ausgabe zu Ende geht.

Herr Voigt, nach dem Unfall bei der Tour hatten wir befürchtet, Sie nie wieder bei der Challenge auf Mallorca zu sehen.

Ja, man kann ohne Übertreibung sagen, dass ich da einen spektakulären Sturz hingelegt habe. Ich habe unheimliches Glück gehabt. Bis auf die Brüche und Schürfwunden hatte ich nur eine kleine Einblutung im Gehirn ohne Folgeschäden.

Dachten Sie, das war´s jetzt, die Karrriere ist vorbei?

Nein, eigentlich war mir schon am Abend nach dem Unglück klar, dass ich zurückkommen würde. Ich habe in meinen Körper reingehorcht und festgestellt: Es nichts kaputt, was nicht wieder repariert werden kann.

Fühlen Sie sich dennoch, als hätten Sie ein zweites Leben geschenkt bekommen?

Das ist vielleicht etwas übertrieben ausgedrückt. Ich habe ja zu keinem Zeitpunkt gedacht, dass ich an meinem Verletzungen sterben könnte. Aber dennoch wird man nachdenklicher. Als ich nach einigen Tagen erstmals wieder meine Finger bewegen konnte, ist mir erst einmal klar geworden, was für ein Wunder der menschliche Körper ist. Dass wir uns bewegen können, sehen wir ja gemeinhin als selbstverständlich an.

Haben Sie sich den Sturz noch einmal angesehen?

Ja, etliche Male. Meist bei Interviews. Da kriegt man schon eine Gänsehaut.

Manch einer in Ihrem Alter hätte wahrscheinlich gesagt: Jetzt reicht´s. Ich mach' Schluss.

Das hätte ja bedeutet, dass ich mich dem Schicksal gefügt hätte. Ich bin aber der Meinung, dass man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen sollte. Ich wollte bestimmen, wann Schluss ist, und kein bitterer alter Mann werden, der sich später einmal die Frage stellt: Was wäre gewesen, wenn ich noch weitergefahren wäre? Außerdem: Die letzte Erinnerung an mich wäre ja dann auch dieser verdammte Sturz gewesen.

Wie hat Ihre Familie reagiert?

Als ich aus dem Krankenhaus heimkam, haben meine Söhne gesagt: "Hey, Papa, du bist jetzt ein Star. Das Video von deinem Sturz ist bei Youtube mittlerweile auf Platz zwei." Meine Frau war natürlich besorgt. Aber sie hat mich auf dem Weg zu meinem Comeback unterstützt. Weil sie merkte, dass das Feuer noch brennt und ich es noch einmal probieren möchte.

Haben Sie psychologische Hilfe in Anspruch genommen?

Nein. Ich versuche, mein Leben möglichst einfach zu halten. Es ist ja so, dass das Leben von ganz alleine dazu tendiert, kompliziert zu werden. Psychologische Hilfe kam deshalb nicht in Frage. Ich habe mir einfach gesagt: Okay, vergiss es einfach, denk nicht so viel darüber nach. Der Unfall war ein dummer Zufall. So einen Treffer landet man in seiner Karriere höchstens einmal. Der ist jetzt abgearbeitet.

Und wenn Sie dann an der Bergkuppe angelangt sind und es wieder runtergeht?

Dann geht mir die Sache natürlich immer wieder durch den Kopf. Aber ich war ja noch nie der ganz große Abfahrer …

Sie haben sich selbst einmal als ´sorgfältigen´ Abfahrer bezeichnet.

Stimmt, wer mag schon von sich sagen: Ich bin in dieser Disziplin schlecht (lacht). Auf jeden Fall gibt es Jüngere, die sind bergab schneller oder einfach verrückter. Je nachdem, wie man es sehen möchte.

Nervt es Sie eigentlich, immer wieder auf den Sturz angesprochen zu werden?

Na, manchmal schon. Dann sag' ich: Och Leute, jetzt ist aber mal gut. Auf der anderen Seite zeigt es, dass sich die Menschen für mich und meine Karriere interessieren. Das ist dann schon ein schönes und befriedigendes Gefühl.

Ihr Kollege Matthias Kessler, der hier auf Mallorca verunglückt ist, hatte nicht so viel Glück wie Sie.

Das ist eine tragische Geschichte. Aber Stürze sind ein Teil des Risikos, das man in unserer Sportart eingeht. Sie sind gewissermaßen unser Berufsrisiko.

Herr Voigt, vielen Dank für das Gespräch.

In der Printausgabe vom 11. Februar (Nummer 310) lesen Sie außerdem:

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