Wenn sich Mallorca- Gäste in der Saft- und Salatbar von Petra Sperling niederlassen, steht das Gesprächsthema meist schon fest: die Bauruine des Hotels Son Moll auf der anderen Straßenseite. „Jeder fragt, was damit ist. Dabei wissen wir es selbst nicht", sagt die Deutsche. Neulich sind ein paar Arbeiter aufgetaucht, haben Schutt weggeräumt. Wird weitergebaut? Abgerissen? Mit einer Plane verhangen? Ganz Cala Ratjada spekuliert – und wartet.

Die Tourismusbranche in der Gemeinde Capdepera an der Nordostküste von Mallorca sieht derzeit ihre Felle davonschwimmen. Wut staut sich auf, die Probleme überlagern sich. Während in anderen Gemeinden über Billig-Tourismus, Wirtschaftskrise und Vulkanasche geklagt wird, hat die Gemeinde mit ihren knapp 19.000 Hotelbetten und einem Deutschen-Anteil von rund 90 Prozent zwei zusätzliche Probleme zu meistern – den Sandschwund am wichtigsten Strand der Gemeinde, Cala Agulla, sowie eben Son Moll.

Bei Bauarbeiten an dem Hotel war im Dezember 2008 ein Gebäudeteil weggesackt und hatte vier Bauarbeiter unter sich begraben. Die menschliche Tragödie ist in den Hintergrund getreten, es geht jetzt um gerichtliche Zuständigkeiten, die Schuldfrage und ganz viel Papierkram. Und so beginnt die zweite Sommersaison, ohne dass sich am Anblick der Bauruine direkt am Vorzeigestrand Son Moll etwas geändert hätte.

Zumindest die Sperrung der Straße Tritón ist seit Juni 2009 aufgehoben. Es kämen aber nur noch halb so viele Urlauber wie vorher, hat Wirtin Caroline König festgestellt. Vom Zapfhahn aus sieht sie direkt auf die Einsturzstelle, eine klaffende Lücke im Rohbau. „Das ist doch kein Anblick für Touristen." Sie und Nachbarin Sperling haben einen Anwalt eingeschaltet, um Schadensersatz zu fordern – Unkosten und entgangene Einnahmen summierten sich auf rund 20.000 Euro, so Sperling.

„Wir stehen wieder genauso da wie vergangenes Jahr", sagt Juan Massanet, Vorsitzender der Hoteliersvereinigung der Gemeinde. Derzeit tauschten Gemeinde und Inselrat Papiere aus, um zu entscheiden, ob weitergebaut werden dürfe. Dass aus der geplanten Verhüllungsaktion nichts wurde, erklärt er damit, dass man die Langsamkeit der Behörden unterschätzt habe und davon ausgegangen sei, dass längst wieder gebaut werden dürfte.

Im Rathaus von Capdepera fallen die Antworten karg aus. Man habe lediglich Arbeiten zur Stabilisierung des Gebäudes geneh­migt, heißt es im Bauamt. Weitere Auskünfte könne der zuständige Gemeinderat auch gegenüber der Presse nur donnerstagvormittags geben.

Der Einsturz hatte die Gemeindeverwaltung in die Bredouille gebracht – die Arbeiten waren trotz fehlender Baugenehmigung nicht gestoppt worden. Ex-Bürgermeister Bartomeu Alzina (PSOE) war deswegen am Freitag (28.5.) wegen Verdacht auf Amtsmissbrauch gerichtlich vorgeladen.

Bei der Gruppe Serrano, der das Hotel gehört, heißt es, dass das Verfahren von Manacor nach Palma verwiesen worden sei und nun erst ein Richter zugeteilt werden müsse. Weiteres Ungemach droht durch das Küstengesetz: Laut Angaben des Inselrates verstoßen die eingereichten Umbaupläne gegen diese Vorgaben.

Angesichts der vielen Prozesse wegen Korruption seien die Beamten in den Kommunen übervorsichtig geworden, sagt Hotelier Lluís Rocha. „Niemand unternimmt mehr einen Schritt, ohne sich mehrfach abzusichern", kritisiert der Direktor des Vier-Sterne-Hauses Cala Gat. Während die Wirtschaftskrise die Gewinnmargen auffresse, drohe der Gemeinde der Stillstand. Die Hotelauslastung in der Gemeinde liege mit rund 50 Prozent mehr als 20 Prozentpunkte unter dem Vorjahr.

Mit der Langsamkeit der politischen Entscheidungen hadern die Tourismusmanager auch im Fall von Cala Agulla, „unserer Visitenkarte", wie Rocha sagt. Der wichtigste Strand der Gemeinde ist zum Dauerproblem geworden.

Seinen Leidensweg verfolgt Carlos Molina aus nächster Nähe, er betreibt mit einem Kollegen die Strandbar von Cala Agulla. Jedes Jahr fehlt ein bisschen mehr Sand, und der Platz für die Badetücher wird knapper zwischen den Flecken, an denen der nackte Fels herausragt. Die Stürme der vergangenen Jahre taten ihr Übriges. „Schauen Sie mal auf Fotos, wie der Strand vor 15 Jahren aussah", sagt Molina.

Bisherige Projekte zur Sandaufschüttung wurden schlecht ausgeführt oder kamen erst gar nicht zustande. Zuletzt sollten 180.000 Kubikmeter Sand vor Banyalbufar an der Westküste Mallorcas entnommen werden – das Projekt der Zentralregierung in Madrid scheiterte jedoch am Widerstand des Mitte-Links-Bündnisses in der Landesregierung. Jetzt hat die balearische Tourismusministerin Joana Barceló das Heft in die Hand genommen – provisorisch sollen 40.000 Kubikmeter aus dem Meer vor Cala Agulla selbst gehoben werden.

„Der ganze Sand, der uns hier am Strand fehlt, liegt dort unten", sagt Molina und berichtet von Tauchgängen in der Bucht. Das Problem: Auch wenn es kurzfristig grünes Licht für das Projekt geben sollte, ist der ideale Zeitpunkt für die Arbeiten schon vorbei. Der Strand ist bereits im Mai so gut wie ausgebucht. „Wenn wir jetzt absperren würden und Maschinen anrücken, wäre das ein großer Image-Schaden", sagt Molina.

Wenn jedoch gar nichts passiert, will die Tourismusbranche von Cala Ratjada die Bevölkerung mobilisieren. Der Unmut habe längst auf alle Wirtschaftszweige übergegriffen, die vom Tourismus lebten, sagt Hotelier Massanet. Einzelhändler, Gastronomen, Handwerker – „wir alle leben von diesem Strand". Bis Mitte Juni werde man stillhalten. Wenn bis dahin nichts passiere, werde es eine Großdemo geben. „Dann werden wir alle einen Eimer packen und selbst Hand anlegen."

In der Printausgabe vom 3. Juni (Nummer 526) lesen Sie außerdem:

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