Die spanische Regierung hat in der vergangenen Woche eine Arbeitsmarktreform beschlossen, die das Arbeitsrecht in vielen Aspekten verändert. Erklärtes Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit spanischer Firmen zu erhöhen und Unternehmer zu motivieren, vor allem junge Mitarbeiter einzustellen, um so die extrem hohe Arbeitslosenquote von 22,9 Prozent zu reduzieren. Gewerkschaften befürchten hingegen eine unkontrollierbare Kündigungswelle und haben Proteste angekündigt.

Niedrigere Abfindungen

Bislang galten in Arbeitsverträgen Abfindungen, die deutlich über denen anderer europäischer Länder lagen. Unternehmen mussten ihren Angestellten 45 Tageslöhne pro gearbeitetem Jahr zahlen, sofern es keine triftigen Gründe für die Entlassung gab. Da es in der Praxis schwer war, etwaige Gründe nachzuweisen, wurde bislang bei einem Großteil der Entlassungen auf diese despidos improcedentes (also nicht berechtigte Entlassungen) zurückgegriffen. Fortan wird in diesen Fällen nun eine Abfindung von nur 33 Tageslöhnen pro gearbeitetem Jahr bei einer Höchstsumme von 24 Monatsgehältern berechnet. Bei vor der Reform abgeschlossenen Verträgen können nach wie vor 45 Tage geltend gemacht werden - allerdings nur bis zum Stichtag 12. Februar 2012. Von da an werden 33 Tageslöhne berechnet.

Betriebsbedingte Kündigung

In der Praxis werden diese hohen Abfindungen aber ohnehin an Bedeutung verlieren. Denn in Zukunft wird es für Unternehmer wesentlich einfacher, betriebsbedingte Kündigungen (despidos por causas objetivas) auszusprechen. Bislang waren die geltend zu machenden Gründe sehr vage formuliert und bedurften der Genehmigung der zuständigen Arbeitsbehörde. Wenn die Betriebsräte nicht ihr Einverständnis erklärten, führte dies zu langwierigen Gerichtsprozessen.

Ab sofort können Firmen betriebsbedingte Kündigungen aussprechen, sobald sie nachweisen können, dass ihre Einnahmen oder Aufträge über drei Quartale hinweg gesunken sind. Dann werden nur 20 Tagelöhne pro gearbeitetem Jahr fällig bei einer Höchstgrenze von 12 Monatsgehältern. Viele Experten gehen nun davon aus, dass dies die gängige Abfindung sein wird, selbst wenn die Arbeitsverträge vor der Reform abgeschlossen wurden. Allerdings wird sich manches erst in der Praxis zeigen, wenn die Ausführungen des Gesetzes geschrieben sind.

Unklar ist auch, wie sich ein neuer Passus auswirken wird, der die Beweislast bei Entlassungen umzukehren scheint. Bislang galt eine Entlassung als improcedente, bis der Arbeitgeber einen triftigen Grund (zum Beispiel wiederholtes Fehlen) nachweisen konnte. Nach den neuen Regelungen reicht es aus, dass die entsprechenden Gründe dokumentiert werden.

Auch Angestellte im öffentlichen Dienst können leichter und billiger entlassen werden. Um eine Massenentlassung, einen sogenannten Expediente de regulación de empleo (genannt ERE) zu begründen, müssen Rathäuser, öffentliche Unternehmen oder Ministerien ähnlich wie die Privatunternehmen in Zukunft lediglich „fehlende Mittel“ im Haushalt geltend machen. Da sie die Mittel selbst zuweisen, können sie den Grund für die Entlassungen also entsprechend selbst hervorrufen.

Flexible Tarifverträge

Eine weitere Forderung der Arbeitgeber ist unter dem Stichwort descuelge salarial in Erfüllung gegangen. Als descuelge (= Abhängen) bezeichnet man eine Situation, in der sich eine Firma von den geltenden Branchen- oder Flächentarifverträgen löst. Schon bislang gab es bestimmte Voraussetzungen, die es den Unternehmen ermöglichten, die auf anderen Ebenen ausgehandelten Lohnerhöhungen nicht umzusetzen, sofern die Betriebsräte damit einverstanden waren. Ab sofort wird dieses Procedere vereinfacht. Unternehmen können mit ihren Angestellten eigenständige Verträge aushandeln. Sobald sich die Belegschaft auf die neuen Bedingungen (etwa längere Arbeitszeiten, niedrigere Löhne) einlässt, können die Tarifverträge umgangen werden.

Auch der Druck auf eine Einigung bei den Tarifverhandlungen wird steigen. Bislang verlängerte sich die Gültigkeit von alten Tarifverträgen fast automatisch, solange Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Einigung erzielten. Nun sollen die Verträge spätestens zwei Jahre nach Ablauf ihrer ursprünglichen Gültigkeit auslaufen. So erhöht sich der Druck auf die Gewerkschaften, eine Einigung mit den Arbeitgebern zu erzielen.

Lohnkürzungen

Firmen können ihren Mitarbeitern in Zukunft die Löhne kürzen (sofern diese über den geltenden Tarifverträgen liegen) oder die Arbeitszeit reduzieren. Als Begründung reichen die schlechte finanzielle Lage des Unternehmens oder auch die mangelnde Produktivität eines Angestellten aus. Der betroffene Arbeitnehmer kann die Kürzung hinnehmen oder sich mit einer reduzierten Abfindung von 20 Tageslöhnen pro Arbeitsjahr und einem Höchstsatz von 9 Monatslöhnen kündigen lassen.

Arbeitslose müssen ran

Wer Arbeitslosengeld bezieht, kann in Zukunft für Dienste zum Wohl der Allgemeinheit verpflichtet werden. Arbeitslose können also zum Beispiel für den Dienst in Bibliotheken oder im Umweltschutz eingesetzt werden, wie es die Bürgermeisterin von Madrid, Ana Botella, gefordert hatte.

Unterstützungen

Nicht nur das Entlassen, auch die Einstellung soll einfacher werden. Kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern erhalten Steuervergünstigungen von bis zu 3.000 Euro im ersten Jahr, wenn sie junge Leute unter 30 Jahren einstellen, die ihre erste Arbeit aufnehmen. Zudem soll es leichter werden, Arbeitslose auf Teilzeit zu beschäftigen, während diese einen Teil ihres Arbeitslosengeldes weiter beziehen.

Sofortiges Inkrafttreten

Die Regierung hat die Arbeitsmarktreform per Real Decreto (also als Königliche Verordnung) verabschiedet. Arbeitsministerin Fátima Báñez stellte die reforma laboral am Freitag (10.2.) nach dem entsprechenden Kabinettsbeschluss vor. Am Samstag stand sie im offiziellen Mitteilungsblatt (Boletín Oficial del Estado) und ist damit seit Sonntag (12.2.) gültiges Recht. Per Dekret verabschiedete Gesetze treten sofort in Kraft, müssen aber innerhalb von wenigen Wochen vom Parlament bestätigt werden. Bei der Abstimmung kann nur dafür oder dagegen gestimmt werden. Veränderungen sind dann erst im Nachhinein möglich. Es gilt als sicher, dass die PP-Mehrheit das Gesetz absegnen wird.