Das Gegenteil ist häufiger der Fall, aber auch so etwas kommt vor: eine Bürgerinitiative, die sich auflösen muss, weil sie ihre Ziele auf breiter Front erreicht hat. So geschehen auf Menorca am vergangenen 18. April. Ein letztes Mal versammelten sich mehrere hundert Menschen, um gemeinsam auf dem jahrhundertealten Camí de Cavalls zu wandern, zu reiten und Rad zu fahren.

Dafür, dass dies uneingeschränkt möglich ist, hatte die „Coordinadora per a la defensa del Camí de Cavalls" seit 1996 gestritten, einige ihrer Mitglieder auch schon seit den 80er Jahren. Was war das für ein Gefühl, an diesem 18. April? „Genugtuung über getane Pflicht", gibt Coordinadora-Sprecher Pere Al.lés trocken zu Protokoll.

Seinen Mitstreitern und ihm ist es zu verdanken, dass die Balearen-Inseln über eine neue Touristen­attraktion ersten Ranges verfügen: Der Camí de Cavalls (Pferdeweg) ermöglicht auf 184 in 20 bequeme Abschnitte unterteilten Kilometern eine komplette Inselumrundung, vom Postkartenstrand zur Altstadt, vom Leuchtturm zur Klippe. Und das nicht nur zu Fuß, sondern auch zu Pferd und auf dem Mountainbike. Die gesamte Strecke ist gesäubert und hergerichtet, 2.374 eng gesetzte Holzpflöcke und etliche Schilder mit präzisen Routenbeschreibungen sorgen dafür, dass auch wirklich keiner verloren geht.

Die ersten Urlauber sind beeindruckt: „Es hat mich emotional richtig berührt", sagt Jens Wende, ein 49-jähriger Bank­angestellter aus Norderstedt bei Hamburg, der Ende Juli mit seiner Tochter an der Westküste unterwegs war und sich daraufhin begeistert bei der MZ meldete. Der Weg ist leicht zu gehen, aber auch nicht ganz anspruchslos. Größtenteils geht es direkt an der Küste entlang. „Es war einfach sehr, sehr nett", sagt Jens Wende.

Gewandert wurde hier auch schon zuvor, aber eben nur auf bestimmten Abschnitten. „Einige der nun erschlossenen Landschaften sind selbst für ältere Menorquiner neu", sagt Joan Marques, der zuständige Raumordnungs-Dezernent im Inselrat von Menorca. Dabei gehört der Weg, der sogar ein eigenes Volkslied aufweisen kann („Du, der du stets fröhlich die Insel umrun-dest …"), sozusagen seit Menschengedenken zur Insel. Erstmals urkundlich erwähnt wurde der damals noch Camí de Cavallers genannte „Ritterweg" im Jahr 1683 – schon damals mit Verweis auf altes Wegerecht. Unbewiesen, aber vielfach kolportiert ist, dass es Jaume II. war, der ihn anliegen ließ, nachdem er im Jahr 1300 die Menorquiner angewiesen hatte, jederzeit Pferd und Lanze zur Verteidigung der Insel bereitzuhalten. Über die Jahrhunderte verband der Camí de Cavalls das Netz der Wach- und Leuchttürme, ermöglichte bei Piratenangriff oder Schiffbruch schnelle Eingriffe, verschaffte Fischern Zugang zum Strand und linderte die Einsamkeit der llocs, der menorquinischen Landgüter. Seine Instandhaltung, so etliche historische Dokumente, oblag den Anliegern.

Mit dem Ausbau des Straßennetzes verlor der Camí de Cavalls ab Mitte des 20. Jahrhunderts an Bedeutung. Streckenweise, besonders an der Nordküste, überwucherte er. Erst mit der aufkommenden Freizeitgesellschaft der 80er Jahre – „vorher gingen wir an den Strand oder in den Wald, aber nicht wandern", sagt Joan Marques – rückte der Weg wieder stärker ins Bewusstsein. Es waren unter anderen die Pfadfinder, die sich fragten, was aus ihm geworden sei.

Es setzte eine gut und gerne 25 Jahre währende Gutachten-, Gerichtsverfahren- und Gesetzgebungsschlacht ein. Auf der einen Seite: die von Sozialisten und Linksnationalisten unterstützte Bürgerbewegung, die mit über 50 öffentlichen Camí-Begehungen mit Hunderten von Menschen und einer der größten Demonstrationen in der Geschichte der 90.000-Menschen-Insel Druck aufbaute. Auf der anderen: ein Großteil der insgesamt 120 betroffenen Gutsbesitzer, die sich mit Händen und Füßen gegen die Öffnung des Weges sperrten und in ihrem Pochen auf die Unantastbarkeit des Privateigentums von der Volkspartei (PP) unterstützt wurden. Dessen langjähriger Chef und zweifacher balearischer Ministerpräsident, Jaume Matas, brachte es in seiner Amtszeit als Umweltminister in Madrid (2000-2003) sogar fertig, an der Südküste einen ganz neuen Küstenpfad zu schaffen. Der Sendero Litoral diente einzig und allein dazu, den Verfechtern des historischen Weges den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Genutzt hat es alles nicht. Die PP konnte die Umsetzung eines im Jahr 2000 unter der ersten Mitte-Links-Regierung beschlossenen Gesetzes zur Öffnung des Weges verzögern, nicht aber verhindern. Der definitive Durchbruch kam, als die zweite Mitte-Links-Regierung im Februar 2008 per Verordnung die umgehende Enteignung eines fünf Meter breiten Wegstreifens anordnete. Insgesamt wurden seither zwei Millionen Euro an Entschädigungen gezahlt. Zudem ist in 42 Einzelabkommen mit Gutsbesitzern eine Streckenführung vereinbart worden, die die Wahrung der Privatsphäre, landwirtschaftliche Tätigkeit und den Naturschutz – so gut es geht – in Einklang bringt.

Und dann nahm 2009 auch noch das ebenfalls sozialistisch geführte Umweltministerium in Madrid den Camí de Cavalls in das Fern­wanderweg-Netz auf und stellte 3,5 Millionen Euro für dessen Ausbau zur Verfügung. Somit ist der Camí de Cavalls als GR-223 nicht nur der jüngste von drei europäischen Fernwanderwegen auf den Balearen (neben dem GR-221 von Andratx nach Pollença und dem GR-222 zwischen Artà und Lluc), sondern auch der einzige durchweg erschlossene und der mit Abstand am besten ausgebaute. Und dabei ist über die Hälfte des Geldes aus Madrid noch gar nicht ausgegeben.

Nun also ist er seit April offen und kann genutzt werden. Dazu sind auch Regeln aufgestellt worden, wie etwa die, dass Wanderer, Reiter und Radfahrer hier nur aus Vergnügen an der Natur, nicht aber als Leistungssportler unterwegs sein dürfen. Doch wie soll man zu den Ausgangs- und Endpunkten der Etappen gelangen, wo es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt? Was ist mit Übernachtungsmöglichkeiten auf einer Insel, die außerhalb der Hochsaison in einen tiefen Winterschlaf fällt? Wie sollen die Pferde entlang der Strecke verpflegt werden? Es gibt viele Fragen, die auf Menorca noch geklärt werden müssen – bis hin zu der, ob es einem Altenclub in Ferreries erlaubt werden soll, in Anlehnung an den Jakobsweg Abzeichen an Wanderer zu vergeben, die alle Etappen gemeistert haben.

Aber zunächst darf man ja ein bisschen stolz sein: „Wissen Sie, das Schöne an diesem Projekt ist, dass es Tourismus und Naturschutz vorbildlich vereint", sagt Joan Marques. Dazu, ob etwas Ähnliches auch auf Mallorca möglich wäre, will er nichts sagen. Auch Pere Al.lés von der Coordinadora hält sich bedeckt. „Menorca ist Menorca, und Mallorca ist Mallorca. So einen Erfolg muss man sich hart erkämpfen", sagt er. Jetzt ganz entspannt die Beine hochlegen, wollen seine Kollegen und er übrigens nun auch wieder nicht: „Wir passen jetzt auf, dass der Weg auch gut in Schuss bleibt."

So kommen Sie hin:

Menorca ist von Mallorca aus mit dem Flugzeug oder aber mit der Fähre zwischen Alcúdia und Ciutadella zu erreichen (Balèaria sowie Iscomar, wegen Seegang auf Wettervorhersagen achten). Insbesondere in der Nebensaison ist ein (gemieteter) Pkw zur Inselerkundung ratsam. Einen Wanderführer zum Camí de Cavalls gibt es bislang nur auf Spanisch und Katalanisch (auf Menorca in fast jeder Buchhandlung erhältlich). Geführte Wanderungen bietet RutasMenorca von Ralph Freiheit an (s. Interview): Tel.: 685-74 73 08, www.rutasmenorca.com

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