Josefine Gehrhardt hatte in den vergangenen drei Jahren sechs Schlaganfälle, „kleine und große, aber zum Glück ist fast nichts zurückgeblieben", sagt ihr Sohn Spencer Gehrhardt. Dennoch hat die 85-Jährige aus Cala d´Or seit dem vergangenen Jahr Stufe zwei der deutschen Pflege­versicherung, ein Rückenleiden schränkt sie beim Gehen stark ein. Noch schwieriger ist die Situation bei ihrem Mann Hans: Er leidet an Parkinson und Demenz, ist bettlägerig, seit Ende 2013 Pflegestufe drei.

„Das ist schon eine Grenzsituation", sagt Spencer Gehrhardt, der sich zusammen mit seiner Frau und der Hilfe einer ambulanten Pflege um seine Eltern kümmert. Andere deutsche Residenten in dieser Situation kehren Mallorca den Rücken. Denn nur, wer in Deutschland wohnt, bekommt nicht nur Pflege­geld ausgezahlt, sondern kann auch die Pflegesachleistungen in Anspruch nehmen - ein Unterschied, der finanziell bis zu 850 Euro monatlich ausmachen kann.

Der 51-Jährige und seine Frau haben sich stattdessen entschieden, für ihre Rechte zu kämpfen. Die Vorarbeit hat das Seniorennetzwerk Costa Blanca (SNWCB) geleistet, mit einem Rechtsgutachten sowie einer Verfassungsbeschwerde (MZ berichtete). Nachdem der Immobilien­unternehmer aus Cala d´Or von der Initiative in der Mallorca Zeitung las, nahm er Kontakt zu der Vereinigung auf dem Festland auf, beteiligte sich mit Spenden und hat jetzt selbst Klage in Deutschland eingereicht. „Es muss etwas passieren", so Gehrhardt, „ich denke da auch an meine Zukunft und die vieler weiterer Deutscher in Spanien."

Die Schützenhilfe von Mallorca kann man beim Seniorennetzwerk Costa Blanca gut gebrauchen. Die Beschwerde beim Verfassungs­gericht wurde im vergangenen Jahr zunächst an die Sozialgerichte verwiesen, und nun ist die Klageführerin, Edda Guhr aus La Nucía, kurz vor ihrem 76. Geburtstag verstorben. „Den Richtern des Verfassungsgerichts musste bewusst sein, dass sie mit der Entscheidung billigend in Kauf nahmen, dass die Beschwerdeführerin den langen Instanzenweg nicht überlebt", kritisiert Klaus Bufe vom Seniorennetzwerk. Doch „auch in Gedenken an Frau Guhr werden wir nicht locker lassen und das Bundesverfassungsgericht zu einer Entscheidung zwingen."

Hintergrund der inzwischen seit mehreren Jahren laufenden Initiative ist, dass deutsche Rentner auf Mallorca und im Rest Spaniens nur Anrecht auf die geringeren Geldleistungen der Pflegeversicherung haben, nicht aber auf Sachleistungen wie Senioren in Deutschland. Zunächst hatte die Vereinigung von der Costa Blanca versucht, Politiker für ihr Anliegen zu gewinnen. Im September 2013 folgte dann die Verfassungsbeschwerde, die allerdings im Frühjahr vergangenen Jahres auf den sogenannten fachgerichtlichen Weg verwiesen wurde. Der Rechtsweg sei nicht erschöpft worden, so die Richter, zunächst müssten die fachnahen Sozialgerichte die nötigen Fragen klären.

Kampf an zwei Fronten

Die Ungleichbehandlung gibt es nach Ansicht des Seniorennetzwerks zum einen in der gesetzlichlichen Pflegeversicherung - Auslandsresidenten bekommen keine Sachleistungen -, zum anderen aber auch in der privaten Pflegeversicherung: Während Beamte (Tarif PVB) auf Basis eines Gerichtsurteils sehr wohl Pflegesachleistungen im Ausland erstattet bekommen, wird dies für die weiteren Versicherten im gleichen Tarif (PVN) verweigert.

Auch hier klagte das Seniorennetzwerk, und auch hier haben sich die Richter aus Sicht der Spanien-Deutschen vor einer Entscheidung gedrückt: In einer Anhörung im November vergangenen Jahres führte das Sozialgericht aus, dass ein konkreter Versicherungsfall nicht vorliege, da der Kläger keine Pflegestufe habe. Über einen möglichen Leistungsanspruch in der Zukunft könne man nicht entscheiden, es fehle ein „baldiges Feststellungsinteresse", die Klage wurde zurückgewiesen.

Diese Argumente werden nun im Fall der Eltern von Spencer Gehrhardt, die privat versichert sind, nicht mehr möglich sein: Für Vater wie Mutter wird Pflegegeld gezahlt, der Antrag auf Sachleistungen dagegen wurde abgelehnt. Die jeweiligen Klagen laufen inzwischen seit gut sechs Wochen - einmal am Sozialgericht Köln, wo die DKV ihren Firmensitz hat, einmal in Dortmund, wo die Continentale-Versicherung sitzt. Gerichtskosten fallen bei der Klage beim Sozialgericht zum Glück nicht an, Gehrhardt rechnet mit einer Entscheidung in rund acht Monaten.

Bis dahin wird sich die Verweigerung von Pflegesachleistungen an allen Ecken bemerkbar machen. Da wäre zunächst die finanzielle Differenz der monatlich gezahlten Hilfen. Für die Pflege von Vater Hans Gehrhardt werden jeweils 700 Euro überwiesen. Ein Platz in einem Pflegeheim auf Mallorca, in dem der Vater für einige Wochen untergebracht war, kostet dagegen 1.600 Euro - die in Deutschland von der Pflegeversicherung getragen würden. Hinzu kommen sogenannte Hilfsmittel wie elektrisch verstellbare Krankenbetten, die sich die Gehrhardts gebraucht gekauft haben, oder ein Rollator für die Mutter. Diese Anschaffungen werden ebenso wenig bezuschusst wie bauliche Maßnahmen - Rampen zum Beispiel, die im Haus in Cala d´Or notwendig wurden.

Gehrhardt ist optimistisch, dass der Rechtsweg zum Erfolg führen wird. Während viele andere Mallorca-Deutsche in dieser Situation das Feld räumen, kommt für ihn eine Rückkehr nach Deutschland nicht in Frage. „Das steht überhaupt nicht zur Debatte." Seit dem Jahr 2000 lebt die Familie auf ­Mallorca, die Eltern hatten sich bereits vor 40 Jahren ein Haus gekauft.

Auch Bufe vom Seniorennetzwerk glaubt fest an den Erfolg der eingereichten Klagen. „Formale Hürden haben bislang eine Entscheidung in der Sache verhindert, aber wir geben nicht auf." Deswegen wird jetzt auch eine neue Klage in Sachen gesetzlicher Pflegeversicherung vorbereitet, ein Nachfolger für die verstorbene Edda Guhr vom Festland sei inzwischen gefunden. „Mit einer Klage ist noch im Januar zu rechnen."

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