Die Verbraucherschützer können sich auf einen heißen Sommer einstellen - dann, wenn die ersten Stromrechnungen nach dem neuen Tarifsystem verschickt werden. Sorgten in den vergangenen Jahren die Neuerungen bei Abrechnungszeitraum, Stromzähler und Grundgebühren für jede Menge Ärger, droht es jetzt richtig chaotisch zu werden: Denn die Rechnung soll die tatsächlich geltenden Strompreise widerspiegeln - 24 Tarife pro Tag, 1.440 im zweimonatlichen Abrechnungszeitraum.

„Das ist völlig absurd", kritisiert Jordi Castilla von der Verbraucherorganisation Facua. Es sei zum derzeitigen Zeitpunkt überhaupt nicht vorstellbar, wie die technische Umstellung vonstatten gehen soll. Zudem gibt es bei Facua weitergehende Bedenken: Das neue System sei intransparent und willkürlich und verstoße damit gegen gleich mehrere EU-Richtlinien. Man habe deswegen Beschwerde in Brüssel eingelegt, so Castilla. Allerdings sei nicht mit einer kurzfristigen Entscheidung darüber zu rechnen, ob Spanien mit den neuen Tarifen tatsächlich gegen EU-Recht verstoße.

Dass der spanische Strommarkt erneut reformiert wird, hat seinen Grund im Tarif-Ärger Ende vergangenen Jahres. Damals hatten die spanische Regierung und die Wettbewerbsbehörde eine saftige Erhöhung des Strompreises gestoppt, nachdem dieser - wie für jedes Quartal festgeschrieben - in einer Auktion an der Strombörse ermittelt worden war. Jetzt geht die spanische Regierung noch einen Schritt weiter: Die Auktionen, die zunehmend als intransparent, ineffizient und spekulativ kritisiert wurden, werden laut dem Beschluss von Ende März ganz abgeschafft.

Das neue System, das für alle Verbraucher mit Standard­tarif PVPC (Precio Voluntario al Pequeño Consumidor) mit einer Leistung von weniger als zehn Kilowatt (früher TUR) gilt, hat vor allem einen entscheidenden Haken: Es setzt sogenannte intelligente Stromzähler (contador de telegestión, auch Smart Meter genannt) voraus, die den tatsächlichen Energieverbrauch und die tatsächliche Nutzungszeit anzeigen und zudem in ein Kommunikationsnetz eingebunden sind. Der Vorteil liegt zumindest theoretisch auf der Hand: Abgerechnet wird nach stündlich aktualisierten Tarifen der Strom, den der Kunde auch ­tatsächlich verbraucht. Sparfüchse, die ihre Waschmaschine nachts programmieren, fahren günstiger. Die Tarife stehen am Vorabend fest (Kasten).

Aber das ist nur die Theorie: Bis 2018 müssen die neuen Stromzähler zwar laut Gesetz ohnehin installiert werden. Doch bislang ist spanienweit nur etwa ein Drittel umgerüstet - wie viele genau es auf Mallorca sind, dazu macht der Ex-Monopolist Endesa keine Angaben. Die Zahl ist ohnehin wenig aussagekräftig. Denn die Geräte müssen erst noch fit für die neuen Tarife gemacht werden, wie Verbraucherschützer Castilla betont: Werksmäßig seien sie in der Regel auf acht Tarife pro Tag ausgelegt, nötig seien aber 24. Auch die Kommunikationszentralen müssten angepasst werden. „Das ist so, als ob man ein Smartphone hat, aber keine Einwahl ins Netz."

Die Zeit für die Anpassung wird knapp: Die neue Regelung trat offiziell am 1. April in Kraft, die Übergangsfrist für die Rechnungsumstellung endet am 1. Juli. Bis dahin wird zunächst noch mit dem in der Auktion für das erste Quartal 2014 ermittelten Tarif von 48 Euro pro Megawattstunde abgerechnet - wobei die Stromversorger bis spätestens August die Differenz zum tatsächlichen Strompreis ausgleichen müssen. Allein für die ersten drei Monate wird mit einer Rückzahlung von durchschnittlich 40 Euro pro Haushalt gerechnet.

Aber was ist nun mit den Kunden, deren konventionelle Stromkästen noch nicht für die neuen Tarife eingerichtet sind? Für sie gelten täglich errechnete Durchschnittswerte. Diese Verbrauchswerte werden zudem mit Faktoren multipliziert, die den durchschnittlichen Verbrauch aller Stromkunden in Spanien im Tagesverlauf widerspiegeln. Die Kunden wissen also weder im Voraus, welcher Tarif gilt, noch können sie durch den Zeitpunkt des Stromverbrauchs die eigene Stromrechnung senken.

Hier setzt die Kritik der Verbraucherschützer ein: Sie bemängeln die Diskriminierung von Stromkunden, bei denen bislang der Zähler noch nicht umgestellt wurde - eine Entscheidung, die in der Regel nicht beim Kunden, sondern beim Stromversorger liege. Die Verbraucher würden in jeder Hinsicht im Dunkeln gelassen: Mal abgesehen von den fehlenden Tarifinformationen wüssten viele gar nicht, ob ihr Zähler bereits umgerüstet sei. Es sei zudem unzulässig, den Preis für den Strom erst in dem Moment festzulegen, in dem er bereits verbraucht werde. Einziger Trost für den Verbraucher: Er muss nichts unternehmen, für die Umstellung ist Endesa zuständig.

Allerdings können auch die Haushalte mit intelligentem Stromzähler nur bedingt durch schlauen Stromverbrauch sparen. Denn der Anteil der Fixkosten, der erst 2013 deutlich gestiegen war - darunter staatlich festgelegte Transportkosten oder Steuern - wurde im ­Februar ein weiteres Mal leicht angehoben und macht inzwischen mehr als die Hälfte der Stromrechnung aus.

Wem das ganze System zu kompliziert wird, für den gibt es möglicherweise einen Ausweg: So werden die Stromerzeuger verpflichtet, auch eine jährliche Flatrate anzubieten, bei der die Kosten im Voraus feststehen. Ob man damit sparen wird, ist allerdings zweifelhaft.

So viel kostet der Strom

Wie teuer der Strom ist, steht jeweils am Vorabend ab 20.15 Uhr fest: Seit Anfang des Monats veröffentlicht der spanische Netzbetreiber REE (Red Eléctrica Española) die Tarife für den folgenden Tag unter www.esios.ree.es/web-publica sowie über die App SmartVIu, die kostenlos im Apple Store heruntergeladen werden kann. Die Preise gelten für den Standard-Tarif PVPC und nur für Haushalte mit funktionstüchtigem, intelligenten Stromzähler. Hinzu gerechnet werden müssen die Fixkosten und Steuern.

Der spanische Industrie­minister José Manuel Soria stellt den Verbrauchern mit dem neuen Tarifsystem eine Einsparung von rund drei Prozent in Aussicht. Diese Ersparnis verblasst allerdings angesichts des Preisanstiegs der vergangenen sechs Jahre von durchschnittlich 70 Prozent. Abzüglich Steuern und Gebühren zahlen die Verbraucher in Spanien den dritt­teuersten Strompreis Europas.

Wenig Sparpotenzial bietet bislang der Wechsel des Anbieters - die Angebote für Privathaushalte unterscheiden sich kaum. Ob sich der Schritt lohnt, lässt sich auf der Website der Energiekommission ausrechnen (www.comparador.cne.es). Mehr sparen lässt sich noch eher mit der Herabsetzung der Anschlussleistung (potencia contratada).