Von Nina Kuschniok Wann kamen Sie nach Mallorca?

Im Januar 1960. Eigentlich wollte ich nur zwei Wochen bleiben.

Was war der Grund der Reise?

Dafür muss ich etwas ausholen. Mein Hobby war Rollschuhlaufen. Durch meinen Freund, den Nürnberger Rollschuh-Weltmeister Freimut Stein, kam ich 1952 in den Westen. Bei einem Sportfest in Dortmund, wo ich als Rollschuh-Clown auftrat, lernte ich den späteren Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Juan Antonio Samaranch, kennen. Er lud mich ein, die spanische Nationalmannschaft zu trainieren. Ich sagte zu und blieb zwei Jahre in Barcelona. Dann ging ich für drei Jahre nach Neuseeland, um auch dort Rollschuhläufer zu trainieren. Als ich zurück in Barcelona war, rief mich der Präsident der balearischen Rollschuh-Vereinigung an und fragte, ob ich nicht für zwei Wochen nach Mallorca kommen wolle. Ich sagte zu - und blieb.

Wie wurden Sie von den Mallorquinern empfangen?

Kurz nachdem ich ankam, sollte ich einen mallorquinischen Maler treffen. Wir waren für drei Uhr in einer Bar verabredet. Nach zweieinhalb Stunden bin ich gegangen. Er kam um halb sechs und meinte: „Wenn dieser Deutsche schon so lange gewartet hat, hätte er ja auch noch länger warten können." Da wurde mir klar, wo ich gelandet war. Ein Spruch der Mallorquiner war damals: ?Europa fängt hinter den Pyrenäen an.´ So war´s auch.

Warum sind Sie geblieben?

Dieser Maler, Miguel Aguiló, fragte mich, warum ich so schnell wieder weg wollte. Mallorca war damals ein Paradies. Es gab vielleicht drei, vier Autos in der Stadt. Ich konnte bei Miguel wohnen. Von der Straße ging´s zwei Stufen runter in die Wohnung, die wir mit einem Laken unterteilt hatten. Einen Ofen gab es nicht, Feuer wurde auf der Straße gemacht. Da malte Miguel auch seine Bilder. Es war ein traumhaftes Leben, alles war billig, und als Künstler hatte man sowieso nie viel Geld in der Tasche.

Haben Sie sich mehr zu anderen Ausländern oder zu den Mallorquinern hingezogen gefühlt?

Ich habe immer einen gemischten Freundeskreis gehabt und lebte die erste Zeit bei Miguel und seiner Frau. Danach gingen eine Zeit lang alle möglichen Künstler bei mir ein und aus - internationale wie auch einheimische. Als Ausländer wurde ich ganz am Anfang mal in einer Bar gefragt, ob ich Deutscher sei und einen deutschen Pass hätte und ob ich diesen verkaufen wolle. Mallorca war damals die Insel der Schmuggler. Diebe gab es keine.

Im Gegensatz zu heute ?

Es gab vieles, was heute nicht mehr vorstellbar ist. Leider haben die Touristen die Preise verdorben. Das gute Trinkgeld, das sie gaben, konnten wir uns nicht leisten, auch die Spanier nicht. Oder: Wer ein Feuerzeug kaufen wollte, musste dafür eine Steuerkarte besitzen. Das lag daran, dass der mallorquinische Bankier Juan March das Monopol für Streichhölzer hatte. Es konnte einem passieren, dass man am Tisch saß und jemandem Feuer gab und plötzlich wollte einer die Steuerkarte sehen. Sonst gab´s eine Strafe. Gute Bars konnte man damals an dem meterhohen Dreck aus Servietten, Gambasschalen und Kippen vor der Theke erkennen. Schade ist, dass sich Palma heute kaum noch von anderen europäischen Großstädten unterscheidet. Früher konnte man nachts um drei sein Brötchen und ein Bier im Kolonialwarenladen kaufen. Die Stadt war ein Wohnzimmer. Es spielte sich alles auf der Straße ab. Heute muss man aufpassen, wenn man nachts allein durch die Calle Sindicato geht. Alles ist ausgestorben.

Gibt es nicht auch positive Entwicklungen?

Nun ja, wenn die medizinische Versorgung nicht so gut geworden wäre, hätte ich den Herzinfarkt vor ein paar Jahren wohl nicht überlebt.

Wie kamen Sie mit der Sprache zurecht?

Durch die zwei Jahre in Barcelona hatte ich damit keine Probleme.

Und Mallorquinisch?

Das beherrsche ich kaum. Einen Dialekt kann man nicht lernen, das klingt immer idiotisch, wenn man versucht, ihn zu imitieren.

Wie erlebten Sie als Deutscher und als Künstler das Franco- Regime?

Unter Franco haben wir uns nicht um Politik gekümmert. Wer gegen das Regime war, wurde verfolgt, ansonsten wurde man in Ruhe gelassen. Die moderne Kunst hat er gewähren lassen. Man konnte auch Marx und Engels lesen, wenn man wollte.

Ihr Rückzugsort auf der Insel?

Mein Atelier und die Buchhandlung Literanta in Palma, in der Calle Can Fortuny, 4a. Dort gibt es eine gemütliche Bar und es kommen immer wieder Künstler vorbei. Manchmal gibt es Literaturabende.

Wollten Sie nicht irgendwann zurück nach Deutschland?

Es gibt zwei Arten von Leuten: Die einen gehen zurück, die anderen nicht. Ich gehöre zu denen, die nicht zurückgehen. Mit der Zeit gewinnt man Freunde, bekommt Aufträge - und dann bleibt man einen Monat und noch einen. Irgendwann konnte ich auch nicht mehr zurück. Inzwischen besitze ich über 3.000 Bücher und meine Arbeiten. Ich könnte gar nicht mehr umziehen, selbst wenn ich wollte.

Und würden Sie noch mal nach Mallorca gehen?

Schwer zu sagen. Mit dem Wissen, das ich über meine Vergangenheit habe, würde ich vielleicht die Fidschi-Inseln vorziehen. Oder wenn ich jetzt ein zweites Leben anhängen könnte, dann würde ich gerne nach Japan gehen.

Was würden Sie einem jungen Residenten als Ratschlag mit auf den Weg geben?

So einem wie dir? Man sollte sich aus der mallorquinischen Politik heraushalten. Auch wenn es sich die Mallorquiner nicht anmerken lassen: Die hängen immer noch sehr zusammen und mögen es nicht, wenn man sich in ihre Angelegenheiten einmischt. Und noch weniger, wenn man von der ?deutschen Ferieninsel´ spricht.

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