Der Verkehr röhrt an der Rambla. Auf der Flaniermeile im Herzen Palmas steht Christine Neubauer, kauft einen Strauß Gerbera. Die Schauspielerin trägt einen blauen Rock, eine gestärkte, weiße Bluse mit winzigen roten Rauten. Sie wirkt wie die gute, alte Bekannte, die sie auch ist. Wenn auch etwas zugeknöpfter in ihrer ordentlichen Garderobe. Wie oft hat jeder Fernsehzuschauer ihre sympathischen grünen Augen schon auf dem Bildschirm gesehen? Und wie oft wird er sie wieder sehen? Auch in dem Film, der an diesem Tag auf der Rambla und aktuell auf Mallorca gedreht wird: „Bella und der Feigenbaum".

Neubauer spielt darin Bella, die unscheinbare wie aufopfernde Sprechstundenhilfe eines Zahnarztes, in den sie schon lange heimlich verliebt ist. In der Szene am Blumenstand stößt sie zum ersten Mal auf die langbeinige Geliebte ihres Chefs (Lisa Brühlmann). „Ton ab!", schallt der erste Aufnahmebefehl vom Tontechniker. Die rothaarige Regieassistentin schreit über die Straße: „Silencio, por favor!" Dann folgt der Ruf von Regisseur Michael Kreindl: „Und bitte!"

Zahllose Male wiederholt er diese zwei Wörter am Drehtag, für jede Szene, jede Einstellung, immer mehrmals. Auch Neubauer wird die Dialoge noch zahllose Male sprechen, unsicher innehalten müssen. Wie viel Geduld das braucht, wie viel Disziplin.

Selbst wenn die Kamera nicht läuft, trippelt Neubauer mit unsicheren Schritten wie beim Dreh. Ob ihr die Netztasche mit Obst gereicht, Puder auf ihre Haut gestäubt oder ihr ein kleines gehäkeltes Jäckchen umgehängt wird: Es ist, als ob eine Wolke um sie herum wäre, die sie vor jeder Ablenkung, sogar vor der Mittagshitze schützt.

„Ja, am Set verlasse ich nie die Rolle", sagt Neubauer. Ein Teil von ihr bleibe im Psychogramm ihrer Filmfigur. Eine Figur, mit der Neubauer seltsam vertraut wirkt.

„Bella und der Feigenbaum" ist der dritte Film, den Christine Neubauer in diesem Jahr dreht. Auf fünf Filme bringt sie es im Schnitt pro Jahr. Im Fernsehen ist sie die Schauspielerin, die gefühlt am häufigsten auf der Bildfläche erscheint. Ob als „Geierwally", in „Forsthaus Falkenau" oder in Liebeskomödien wie „Vollweib sucht Halbtagsmann" – in den dreistelligen Bereich gehen pro Jahr die Wiederholungen der Neubauer-Filme. Auf die nächste Wiederholung muss man nicht lange warten: Am Freitag (1.7.) sendet die ARD zur Primetime erneut das TV-Melodram „Die Lebenslüge". Neubauer spielt darin eine Bildhauerin, die nach dem Tod ihres Mannes entdeckt, dass dieser ein Doppelleben geführt hat.

Ein Rührstück – gespielt auf Mallorca – genauso wie der aktuelle Film. Die Storyline wirkt ähnlich der Bella, auch wenn es bei Neubauers aktuellem Film weniger dramatisch zugeht. „Witzig zu sein, ist sehr schwer", sagt die Schauspielerin. Tragisch zu sein dagegen, sei wesentlich einfacher.

Im Fernsehen erscheint sie meist in Liebesfilmen und Komödien. Doch auf ein Klischee möchte sich Neubauer nicht reduzieren lassen. Genauso wenig wie auf das Klischee, von diesem Klischee weg zu wollen.

„Ich habe eine gewisse Vielseitigkeit und Gott sei Dank ist es mir auch erlaubt, viele Facetten von mir zu zeigen", sagt Neubauer. Fast scheint sie ein wenig auszubrechen aus der Bella-Wolke, in die sie sich am Set hüllt. Sie will keine Schublade bedienen. Und doch wird sie so oft in eine gesteckt. Vielleicht, weil die Handlungen in vielen Filme doch immer irgendwie vorhersehbar sind. Neubauer gilt als die meistbeschäftigte deutsche Schauspielerin. Und das nicht nur, weil ihre Filme so oft wiederholt werden. Ihre Filme sind preisgekrönt, darunter ein Bambi-, ein Romy- und zwei Grimme-Preise. Doch Neubauer weiß auch: „Erfolg wird von Kritikern meistens nicht gelobt." Wenn sie über ihre Außenwirkung spricht, über Lob und über Kritik, verwendet sie oft das Wort „man".

Viele Stationen hat sie auf ihrem Karriereweg durchgespielt. Auf den Film „Vollweib sucht Halbtags-Mann" schrieb sie ihre fünf Vollweib-Bücher. Bücher über Weiblichkeit und die Frage, wie man mit dem eigenen Körper umgeht. Das Wort „Vollweib" hat man sehr lange mit ihr assoziiert. Es klebt immer noch an ihr.

„Die Zeit des Vollweibs ist einer Wandlung gewichen", sagt sie. Und dass das „Vollweib" wie so viel in ihrem Leben zu ihr gekommen sei. Manchmal stößt sie per Zufall auf einen ihrer Filme beim Zappen im Fernsehen. Beispielsweise jüngst den Psycho-Thriller „Am Ende des Schweigens", eine Charlotte-Link-Verfilmung, die in England gedreht wurde. „Da habe ich gedacht: Wow."

Die sonst so technische Betrachtungsweise ihrer Filme war weg. Und mit dem gehörigen Abstand hat sie ihr eigener Film reingezogen. Sie identifiziert sich mit allem, was sie tut. Und die Zuschauer identifizieren sich mit ihr. Das sickert für Neubauer zumindest aus den Einträgen auf ihrer Fanpage durch.

„Man kann mir nahe sein", sagt sie. Und dass sie nicht abgehoben sei. Bestimmt wird sie auch als „Bella" ihren Zuschauern nahe sein.

Der Stoff ist laut Regisseur mehr als nur eine Komödie, hat einen Fantasy-Touch. Nach einem Thriller ist das Michael Kreindls zweiter Film mit Neubauer in der Hauptrolle. „Sie ist ein absoluter Profi", sagt er, „ohne jegliche Star-Allüren." Auch nehme sie Vorschläge für die Ausformulierung ihrer Rollen an. Wenn er zum abschließenden „Cut" mit der rechten Hand schnalzt, hat ihm der „Take" gut gefallen. Beim Dreh auf der Rambla kommt das einige Male vor.

Nach den Dreharbeiten auf Mallorca, wo Neubauer auch am vergangenen Samstag (25.6.) ihren 49. Geburtstag gefeiert hat, spielt sie noch fünf Theateraufführungen in Deutschland.

„Alles, was nicht in demselben Trott daher kommt, hält frisch und jung", sagt sie. Zum Urlaub nach den Aufführungen möchte die ausgebildete Theaterschauspielerin auf die Insel zurückkehren. In der Zukunft möchte Neubauer an einem Kinoprojekt arbeiten. Einen Wunschfilm oder eine schauspielerische Herausforderung gibt es für Neubauer nicht. Ihr ist es viel wichtiger, dass sie sich in ihren Filmen weiterentwickeln darf und nicht stehen bleibt.

Ob sie eher eine Schauspielerin ist, die eine Handschrift in ihren Rollen zeigt, oder eine, die mit jeder Rolle die alte bricht? Sie antwortet: „Wenn man mich lässt, breche ich." Und lässt man sie? „Immer mehr."

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