Die Britin Sue Lloyd-Roberts (58) führt ein Doppelleben: Seit acht Jahren leitet sie das kleine Familienhotel Can Reus in Fornalutx. Und berichtet zugleich immer wieder für den britischen Fernsehsender BBC aus Krisengebieten in aller Welt. Sie ist gerade aus der Rebellenhochburg Homs in Syrien zurückgekehrt, wo der arabische Frühling durch Waffengewalt blutig unterdrückt wird. Im Juni war sie schon einmal in der Stadt – als einzige ausländische Journalistin überhaupt.

Wie lange hält das Volk den ­Terror des Assad-Regimes noch durch?

Das Regime ist ein schlechter Krisenmanager. Es hätte die Ausmaße der Revolution in Grenzen halten können. Doch je mehr Gewalt es einsetzt, umso heftiger wird die ­Reaktion der Menschen. Ich denke, die Leute gehen auf die Straße, weil sie glauben, dass sie es den Toten schuldig sind.

Mit welchen Eindrücken sind Sie aus Homs zurückgekehrt?

Die Leidenschaft, die Wut ist enorm. Die Menschen sind zu ­allem bereit. Auch dazu, ihr eigenes Leben für die Revolution zu geben. Jede Nacht gibt es allein in Homs bis zu 20 Demonstrationen.

Aus welcher Schicht kommen die Revolutionäre?

Es sind normale Menschen. Ich habe mit Jugendlichen gesprochen, deren Hauptsorge früher ihr iPhone war. Sie haben sich durch das brutale Vorgehen des Regimes von einem Tag auf den anderen radikalisiert.

Welche Chancen räumen sie der ´Neuen Armee´ ein, die sich aus Überläufern rekrutiert?

Sie haben keine Waffen und müssen sie im Libanon für viel Geld kaufen. Das Problem ist, dass sie gar nicht so viele Waffen erwerben können, wie die Gegenseite aus China und Russland geliefert

bekommt.

Hoffen die Menschen auf Hilfe von außen wie in ­Libyen?

Jetzt ja. Sie sind von Tag zu Tag verzweifelter. Anfänglich haben sie Einmischung von außen abgelehnt, um nicht Assads Propaganda zu nähren, die als Ursacher für den Konflikt Kräfte von außen verantwortlich macht: vor allem die USA, Großbritannien und Israel.

Würden Sie wieder nach Syrien zurückkehren?

Ja. Ich habe drei Tage mit jungen Aktivisten verbracht, die mich versteckt hielten. Wir haben in ihrer Wohnung auf dem Boden gelegen, während draußen die Gewehre knatterten. Das schafft eine emotionale Nähe. Ich denke oft darüber nach, wie es ihnen wohl geht. Ich kann ihnen jetzt nicht einfach den Rücken zuwenden. Ich denke über eine Rückkehr nach und überlege schon, wie ich wieder ins Land komme.

Glauben Sie, Sie sind im Visier des Regimes?

Ich war bei meinem zweiten Besuch sehr oft mit der Kamera auf der Straße. Man hat mich bestimmt bemerkt. Wahrscheinlich würde ich nicht mehr nach Homs reisen. Das ist zu gefährlich. Außer mir war ein weiterer britischer Journalist dort. Er wurde geschnappt und schwer misshandelt.

Woran haben Sie gemerkt, dass es Zeit ist, die Stadt zu verlassen?

Die Nachbarn hatten mitbekommen, dass eine Ausländerin im Haus ist. Von da an bestand vor allem für die Menschen, die mir Unterschlupf gewährten, große Gefahr. Ich wäre wahrscheinlich nach zwei Wochen Haft wieder draußen. Aber ich bin mir darüber bewusst, dass ich durch meine Präsenz das Leben anderer gefährde.

Haben Sie keine Angst um Ihr ­eigenes Leben?

Es klingt arrogant, aber ich glaube, bei mir fehlt der Teil im Hirn, der für die Angst zuständig ist. In gefährlichen Situationen kneife ich mich in den Arm, damit ich mir der Bedrohung bewusst werde.

Gab es in Syrien eine brenzlige Situation?

Man hat mich auf dem Rücksitz eines Autos aus der Stadt geschmuggelt. Ich kauerte auf dem Sitz wie ein Fötus. Als wir den Militärposten passierten, tat ich so, als ob ich mich unentwegt übergeben würde. Mein Begleiter hat mich gegenüber den Soldaten als seine Mutter ausgegeben und gesagt: ´Seht, in welchem Zustand meine arme Mutter ist.´ Es hat funktioniert. Ich musste nicht aussteigen.

War Syrien Ihre bisher heikelste Mission?

Ich habe einige schwierige Dokumentationen in Simbabwe und während des Bosnien-Kriegs gemacht. Aber Syrien gehörte zu den gefährlichsten Aufgaben.

Sind Sie die BBC-Frau für riskante Missionen?

Man weiß, dass ich sehr erfahren bin. Außerdem errege ich in meinem Alter als Undercover-Reporterin geringere Aufmerksamkeit als junge Kollegen. Deswegen hat man mich ausgewählt, obwohl der Mittlere Osten nicht zu meinen Spezial­gebieten zählt.

Wie beruhigen Sie Ihre Kinder?

Meine Kinder sind erwachsen. Aber ich erzähle ihnen nicht immer die Wahrheit. Von meiner Syrienreise haben sie nichts gewusst. Und wenn sie es dann irgendwann erfahren, sage ich immer: Mama kommt immer zurück.

Und Ihr Mann?

Er war mein Chef bei der BBC. Er ist der, der mich entsandte. Er wusste, wen er heiratet (lacht).

Wie verkraften Sie den Wechsel zwischen Himmel und Hölle?

Ich mag den Kontrast: meinen Gästen in Fornalutx Tee zu servieren und am nächsten Tag wieder im Flieger zu sitzen. Im Einsatz für die BBC hilft mir der Gedanke, dass ich bald wieder in der Idylle Fornalutx sein werde, besonders in schwierigen Augenblicken.

Legen Sie einfach einen Schalter um?

Ich wandle perfekt zwischen diesen beiden Welten. Meine Mitarbeiter im Hotel geraten jedes Mal in Panik, wenn ich abreise und sie mit der Arbeit allein lasse. Aber sobald ich im Flieger sitze, bin ich nur noch BBC-Reporterin. Meine Kollegen würden zustimmen, wenn ich sage, dass ich eine viel bessere Journalistin geworden bin, seitdem ich dieses Doppelleben führe.

Inwiefern?

Ich bin nicht in dieser Tretmühle wie viele andere Reporter. Ich kann meine Einsätze während meiner Entspannungsphasen in Fornalutx besser durchdenken und planen.

Was sagen Ihre Hotelgäste zu Ihrem Doppelleben?

Sie gucken schon mal seltsam, wenn ich am Telefon der Rezeption die illegale und geheime Einreise in ein Land organisiere: Manch einer denkt bestimmt, ich führe ein Drogenkartell …

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