Lässt man Frank Lehmann die Börse erklären, kann sich das so anhören: „Wird ein Bauer gefragt, was Börse ist. Sagt der Bauer: ´Ich hatte zwei Hühner und habe einen Hahn dazugenommen. So wurden es immer mehr Eier und Hühner, und ich war ein reicher Mann! Dann kam eine Flut, alle sind ersoffen. Hätte ich nur Enten gehabt! Siehst du, das ist Börse!´"Frank Lehmann wurde 1942 in Berlin geboren und arbeitete ab 1978 beim Hessischen Rundfunk, wo er zwischen 1989 und 2001 die Wirtschaftsredaktion leitete und eine Börsen-Redaktion aufbaute. Von 2000 bis 2006 moderierte er die Sendung „Börse im Ersten". Die „Labertasche vor der ­Tagesschau", wie sich der 71-­jährige ehemalige Wirtschaftsjournalist selbst nannte, ist seit 2006 im Ruhestand, aber noch immer ein gesuchter Gesprächspartner, wenn es um Geldangelegenheiten geht. Wir haben ihn im Vorfeld seines Mallorca-Besuchs telefonisch an seinem Wohnort Hanau erreicht.

Können wir auf Mallorca mit Ihnen auf das Ende der Finanzkrise anstoßen?

Sicher nicht auf das endgültige Ende. Eher auf eine vorübergehende Ruhe. Die Finanzkrise ist wie ein Seeungeheuer. Der Körper liegt unter Wasser und man weiß nicht genau, wie groß er ist. Es gibt Besserungs­tendenzen in Griechenland und Spanien. Der Wohlfühlindex der Wirtschaft ist in Spanien zum ersten Mal seit Jahren wieder nach oben gegangen, die Lohnstückkosten sinken deutlich. Das sind wichtige Lichtblicke, aber trotzdem wird Spanien noch viel durchmachen müssen.

Das Land blutet ja schon. Was sagen Sie zu dem, vereinfacht gesagt, von Berlin auferlegten Sparkurs?

Das Land muss sparen. Das finde ich in Ordnung. Aber Spanien muss auch mal anfangen, das Sparen mit einer Wachstumsstrategie zu verknüpfen. Ich glaube, der Internationale Währungsfonds hat unterschätzt, dass in Spanien die Arbeitslosigkeit dermaßen in die Höhe gehen würde. Das Land ist jetzt gefordert. Es kann nicht mehr, wie früher, einfach die Pesete abwerten. Es ist auf Gedeih und Verderb an den Euro gekettet.

Würden Sie wieder spanische Staatsanleihen kaufen?

Auf jeden Fall! Die risikobewussten Anleger haben das ja getan und ganz gut Kasse gemacht. Die spanischen Anleihen haben ordentlich zugelegt. Vor allem nach Schäubles Worten, dass ein Staatsbankrott nicht eintreten wird, ist fast so ein bisschen Euro-Euphorie ausgebrochen.

Ist Ihnen zwischenzeitlich eigentlich mal schwindelig geworden ob der Summen, die im Zuge der ­Krise jongliert wurden?

Na klar. Mit solchen Summen kannst du ja nicht einmal in deiner Fantasie etwas anfangen. Das Schlimmste an der Situation ist, dass wir keine Ahnung haben, wie wir von der Staatsverschuldung runterkommen sollen. Die nächsten Generationen müssen das ausbaden.

Die Finanzwelt scheint nicht ­geläutert. Sie macht genauso ­weiter wie vor der Krise.

Das ist ja das Problem. Die jungen Burschen im Finanzsektor haben sich von der realen Wirtschaft abgekoppelt. Die Herrschaften sind nach wie vor gierig. Sie arbeiten die komplexesten Finanzprodukte aus, von denen ihre Chefs nicht den geringsten Schimmer haben. Die Chefs fragen nur, ob sich damit Geld verdienen lässt und lesen die 70-seitige Präsentation nicht durch. Die Deutsche Bank macht schon wieder mit Kreditverbriefungen weiter wie vor der Krise. Die Banken werden immer noch zu sehr gehätschelt. Man muss auch mal Banken bankrott gehen lassen. Momentan sind wir zwar noch nicht so weit. Aber irgendwann können wir auch ohne Privatbanken leben. Im Prinzip kann heute jedes Unternehmen eine Bank gründen.

Was sagen Sie zu der inzwischen fest geplanten Finanztrans­aktionssteuer?

Ich hoffe sehr, dass die etwas bringt. Aber die Banken drohen ja schon mit der Weitergabe dieser Steuern an den kleinen Anleger. Sie sagen: Wenn ihr die Schraube zu sehr andreht, stürzen wir ein.

Wie steht es eigentlich um die Aktien­kultur der Deutschen?

Man nennt sie auch Finanz­analphabeten. Die meisten sagen sich nach wie vor: Das macht alles meine Bank. Aber dann gibt es das große Erwachen. Mein Appell: Überlasst Euer Geld nicht irgendwelchen windigen oder meinetwegen auch seriösen Bankberatern! Natürlich ist Geldanlage Arbeit, aber die Deutschen vergleichen doch sonst auch wochenlang vor einem Autokauf Preise und Konditionen. Nur beim Geldanlegen entscheidet der Deutsche aus dem Bauch heraus und muss seine Entscheidung dann hinterher mit dem Verstand rechtfertigen.

Aber das kostet Zeit und Nerven.

Nein, Börse ist gar nicht so aufwendig, wenn man auf lange Sicht plant. Man muss gar nicht ständig Kurse vergleichen und kaufen oder verkaufen. Wer sich einmal ein ordentliches Paket mit soliden Papieren aus dem Dax oder dem M-Dax zusammengebastelt hat, kann das locker 10 bis 15 Jahre behalten.

Sind Sie schon mal so richtig reingefallen an der Börse?

Ja, bei der Telekom-Aktie. Ich hatte nicht für möglich gehalten, dass sich neben der Telekom einmal eine so starke Konkurrenz etablieren könnte. Auch mit Papieren von der Bremer Vulkan-Werft habe ich ein schlechtes Geschäft gemacht. Da bin ich einem Börsen-Flüsterer erlegen. Bilanzfälschungen brachen der Firma das Genick. Ich muss mir von meinen Kindern immer noch vorhalten lassen, dass ich als Börsen-Experte darauf hereingefallen bin.

Apropos Kinder. Die sind ja neben dem Geld ein weiteres Steckenpferd von Ihnen.

Geld bringt auf Dauer nichts. Das eigentliche Glücksgefühl verschaffen Familie, Freunde und Arbeit fürs Gemeinwohl. Wir müssen in Deutschland wieder deutlich stärker auf soziale Gerechtigkeit achten. Ich arbeite ehrenamtlich für Tafeln, ein Kinder-Hospiz und die Organisation „Kinderzukunft", die sich um Kinder­dörfer kümmert. Bei Leuten, die sich übers Fettabsaugen Gedanken machen und Schampus für 2.000 Euro trinken, denke ich mir immer: Abends geht ihr auch nackt ins Bett, da bringt euch das ganze Geld nichts.

Sie sind auch Goethe-Fan. Wie hätte sich der Dichter an der Börse geschlagen?

Goethe war ja Ökonom und hatte ein gutes Händchen für Geld. In Faust II hat er eine richtige Abrechnung mit der Geldwirtschaft hingelegt. Da lässt er den Kaiser überlegen, wie er sich selbst Geld drucken könnte. Auch das berühmte Faust-Zitat „Alles, was entsteht, ist wert, dass es ­zugrunde geht" ist bestens auf die heutigen Finanz­produkte anzuwenden. Interessant ist übrigens auch, dass Goethe schon feststellte, dass die Griechen den Traum des Lebens am schönsten geträumt haben. Das ist ihnen ja jetzt 250 Jahre später zum Verhängnis geworden.

Jetzt kommen Sie nach Mallorca. Wie gut kennen Sie die Insel?

Meine Frau und ich sind absolute Mallorca-Fans. Meine Frau war vor über 50 Jahren zum ersten Mal im Rahmen eines Schüleraustauschs auf der Insel. Da sollten deutsche Jugendliche das Bild von Deutschen im Ausland verbessern. Nach einer dreitägigen Anreise mit Bus und Schiff ist sie auf der Insel angekommen und war begeistert. Seitdem ist sie, dann auch mit mir, zahllose ­Male wiedergekommen. Die Ecke um die Cala Mesquida im Nord­osten hat es uns besonders angetan.

Wie wär´s denn bei Ihnen mit ein wenig Betongold auf der Insel?

Beinahe ist es schon so weit gekommen. Vor zehn Jahren habe ich ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, eine Finca bei Cala Ratjada zu kaufen. Meine Frau war immer dagegen. Dann ist unser Auto genau in dem Moment aufgebrochen worden, als wir uns die Finca angeschaut haben. Das war dann das letzte Argument, das meiner Frau noch gefehlt hatte.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 7. Februar (Nummer 666) lesen Sie außerdem:

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