Sein neckisches „Hola, chicas" ist zu seinem Markenzeichen geworden: Jorge Aléxis ­González Madrigal Varona Vila, dem deutschen Fernsehpublikum besser bekannt als Jorge González, hat sich in Heidi Klums „Germany´s Next Topmodel" nicht nur wegen des charmanten spanischen Akzents, sondern vor allem wegen seiner Laufkünste in schwindelerregend hohen Absatzschuhen einen Namen gemacht. Der Exil-Kubaner ist gut im Geschäft: Er ist Teilhaber einer Künstleragentur, stellt eigene Mode-Kollektionen vor, bringt eine neue Single heraus und veröffentlichte Anfang des Jahres ein Buch über seine Lebensgeschichte. 2011 nahm González die deutsche Staatsbürgerschaft an, er lebt seit bald 18 Jahren mit seinem Lebensgefährten in Hamburg. Derzeit ist der 46-Jährige als Juror in der RTL-Show „Let´s dance" zu sehen. Bei der Aufzeichnung der RTL-Chartshow am Dienstagabend auf Mallorca (21.5.) saß er als Gast auf der Couch. Wenige Stunden davor empfing er die MZ zum Interview - in einem schwarzen Overall und silberfarbenen Slippern. Ganz ohne Absatz.

Herr González, Sie haben ja gar keine High Heels an.

Nein, High Heels trage ich nur bei der Arbeit.

Erinnern Sie sich an das erste Paar Stöckelschuhe, das Sie trugen?

Natürlich. Ich war vier oder fünf Jahre alt, als ich die weißen 50er-Jahre-Schuhe mit kleinem Metallabsatz und schwarzem Schleifchen im Schrank meiner Oma fand und anprobierte.

Ein Schlüsselerlebnis?

Ja, da bemerkte ich, dass ich anders bin als die anderen Jungs. Ich spielte auch lieber mit Puppen als mit Autos.

Im Buch schildern Sie, dass Ihr Vater nicht glücklich war über Ihre Liebe zu Damen­schuhen oder den später ­geäußerten Wunsch, Balletttänzer zu werden €

Jeder Vater wünscht sich ja insgeheim, dass sein Sohn so wird wie er selbst. Zudem herrschte in Kuba damals der Machismo vor, Homosexuelle wurden sehr stark diskriminiert. Insofern ist es normal, dass mein Vater nicht begeistert war.

Sie haben früh beschlossen, dass Sie Kuba verlassen wollen.

Ich bemerkte einfach im Alter von 8 oder 9 Jahren die Widersprüche dieses Systems. Meine Großmutter war katholisch und erzählte mir viel von ihrem Glauben, in der Schule wurde dann gelehrt, dass Religion verwerflich sei. Und Schwule waren weder in der Kirche noch vom Regime gern gesehen - für mich stellte sich da schon die Frage: ´Und wo bleibe ich?´

Also war auch die Oma nicht begeistert davon, dass Sie ihre Schuhe trugen?

Im Gegenteil. Meine Oma sagte mir sehr früh: ´Du bist gut, so wie du bist.´ Da begriff ich, dass mit mir nichts falsch war, und dass ich einfach meinen eigenen Weg finden musste. Ich wollte innere Freiheit, also musste ich weg aus Kuba. Deshalb wurde ich ein fleißiger Schüler, um

eines Tages einen der wenigen Studien­plätze im Ausland zu bekommen - was ich mit 17 dann auch schaffte.

Bei der Wahl Ihres Studienortes spielte die Literatur eine Rolle €

Meine Tante Juana, eine einfache Bäuerin, die nie aus ihrem kleinen Dorf herausgekommen ist, hat Bücher verschlungen und alles ge­lesen, was ihr in die Hände fiel. Sie liebte Kafka und sprach so oft von ihm, dass ich anfangs dachte, Kafka sei einer meiner Onkel. Sie besaß auch einen Bildband von Prag, und durch ihre vielen Erzählungen war ich fasziniert von der Stadt - deshalb wollte ich unbedingt in die damalige Tschechoslowakei.

Um was zu studieren?

Nuklearökologie. Es war eines der wenigen Fächer, die zur Auswahl standen. Man beschäftigte sich mit den Auswirkungen radioaktiver Strahlung auf unser gesamtes ökologisches System, das Fach vereinte unter anderem Mathematik, Biologie, Chemie und Physik, alles Fächer, die mir Spaß machten. 1991 habe ich mein Diplom gemacht.

Warum haben Sie sich dann in Deutschland und nicht in Spanien niedergelassen?

Spanien ähnelt Kuba einfach zu sehr: Die Temperaturen, die Menschen, das Temperament €- Der einzige Unterschied ist eigentlich, dass die Leute hier etwas zu essen haben und in Kuba nicht (lacht). Außerdem suchte ich die Herausforderung und wusste, dass ich in Deutschland viel lernen kann.

Was zum Beispiel?

Pünktlichkeit, Disziplin und Verantwortung. Und in Deutschland sind die Menschen sehr tolerant.

Werden Sie für Ihre Rolle als Paradiesvogel nicht auch angefeindet?

Das ist keine Rolle, ich bin vor der Kamera genauso wie dahinter. Ich bin eben ein Paradiesvogel mit einem Diplom in Nuklearökologie.

In Ihrem Buch heißt es: „Intelligenz ist nicht, dass du mehr weißt in einer Diskussion als andere. Sondern, dass du dich der Intelligenz deines Gegenübers anpassen kannst." Wie schwer fällt das im Privatfernsehen?

Mit Geduld und Toleranz geht das schon. Man muss sich auch immer fragen, warum die Leute

so sind, wie sie sind. Ich habe das bei meiner eigenen Familie geübt, die ja aus einfachen Verhältnissen stammte. Da musste ich meine Sprache anpassen. Aber das hat mich gelehrt, den Menschen zuerst einmal zuzuhören.

Wie haben die Leute auf Ihr Buch reagiert?

Viele waren überrascht, aber das war auch mein Ziel: Ich wollte das Schubladen-­Denken der Menschen aufbrechen, die mich nur nach meinem Äußeren beurteilen. Und ihnen zeigen: Ich bin nicht nur der glamouröse Typ mit den langen Haaren und den Absätzen. Da steckt auch ein Mensch dahinter.

Sind Sie ein Vorbild für junge Schwule?

Viele Jugendliche sprechen mich an und wollen Ratschläge, wie sie sich outen können. Auch das war für mich ein Grund, das Buch zu schreiben: Um die Eltern daran zu erinnern, wie wichtig Kommunikation ist. Man muss mit den Kindern sprechen, sie lieben, wie sie sind, und ihnen so die Angst vor einem Outing nehmen. Mein Vater ist heute 91 Jahre alt und hat mit meinem Schwulsein schon lange keine Probleme mehr, unlängst hat er sogar meine High Heels anprobiert. Er weiß, dass ich ein guter Mensch bin, hart arbeite, viele Freunde habe und nie meine Familie vergesse, die ich oft besuche.

Sind Sie oft auf Mallorca?

Freunde von uns haben hier ein Finca, und ich komme sehr oft übers Wochenende. Ich liebe das Leben auf dem Land, weil es mich an mein Zuhause erinnert.

Jorge González, Stephanie Ehrenschwender:„Hola Chicas! Auf dem Laufsteg meinesLebens", Heyne, München 2013, 9,99 Euro.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 23. Mai (Nummer 681) lesen Sie außerdem:

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