So haben wir uns den Ballermann-Touristen vorgestellt - zumindest, wenn man die Assoziationen mit dem Münsteraner Tatort-Kommissar Frank Thiel ausblendet: Axel Prahl steht als Helmut aus Berlin am Hotelbuffet und schaufelt seinen Teller voll. „Wat soll´n det werden, ´ne Zahnfüllung?", sagt er mit Blick auf den fast leeren Teller von Ingrid (Hannelore Elsner) neben ihm. „Hier is´ all inclusive, schöne Frau - all you can fress. Also ran an die Buletten!" Ein Auftritt in zu knappen Badehosen nebst Arschbombe in den Hotelpool vervollständigt das Bild vom Proll mit schlechtem Geschmack.

Die Kulisse ist authentisch, die Regisseurin Doris Dörrie verfilmte ihren Roman „Alles inklusive" in Torremolinos auf dem spanischen Festland. Ein paar echte Pauschaltouristen hatten nichts dagegen, ebenfalls in dem jetzt in Deutschland angelaufenen Film zu erscheinen, und könnten natürlich genauso gut in Can Picafort, Cala d´Or oder an der Playa de Palma in der Sonne Mallorcas liegen.

„Mich rührt der Pauschal­tourist", sagte Dörrie in einem Interview während der Dreharbeiten. Mancher Mallorca-Resident denkt da freilich anders. Für ihn sind die Armbändchen-Touristen mit Destination Bettenburg eher Menschen, von denen man sich distanziert und mit denen man höchstens im Flieger auf Tuchfühlung gehen muss: Man hat dasselbe Flugziel, aber einen anderen Lebensentwurf.

Doch anders als der Titel suggeriert, erzählt die Geschichte von Doris Dörrie auch eine Menge über die deutschen Spanien-Residenten. Schließlich gilt für Ballermänner und Zweithaus­besitzer gleichermaßen der Satz der Filmemacherin: „Die Spanier verkaufen uns Deutschen, Iren und Engländern - dem ganzen Norden - die Sonne, und wir kaufen sie begeistert." Während sich die einen in ihrer Hotel-Strand-Kulisse eine Auszeit gönnen und zuweilen über die Stränge schlagen, projizieren die anderen in ihre Finca-Mandelblüten-Kulisse Bilder vom schönen Leben im Süden. Nicht zuletzt am Beispiel dieser Langzeit- und Neu-Residenten zeigt sich die genaue Beobachtungsgabe von Dörrie, für die sie immer gelobt wird.

Die Geschichte handelt von Apple (Nadja Uhl), die nie mehr so chaotisch leben will wie damals in ihrer Kindheit: In Spanien, in einem Zelt am Hippie-Strand von Torremolinos, 1967, als Apples Mutter eine Affäre mit Karl hatte, die in einer Katastrophe endete. Heute erlebt Tochter Apple ein Liebesdesaster nach dem anderen und fühlt sich allein von ihrem Hund verstanden. Und die ehemalige Strandkönigin Ingrid, mit über 60 immer noch ein Freigeist, kehrt nun nach mehr als drei Jahrzehnten als All-inclusive-Touristin zurück nach Torremolinos: Der Hippie-Strand existiert nicht mehr und vor lauter Hotelbunkern, billiger Animation und feiernden Abiturienten erkennt sie das ehemalige Fischerdorf kaum wieder.

Während der Film bei vielen Kritikern durchgefallen ist - sie bemängeln vor allem das Abrutschen ins Alberne und Klischeehafte -, fand das 2011 erschienene Buch viel Lob, etwa für seine „kritische Empathie" („Der Spiegel"). Da ist zum Beispiel Apples Freundin Susi mit ihrem nierenkranken Freund, die ein Haus im Süden sucht. „Die warme Luft, die sich wie ein Fön auf sie richtet, als sie aus dem klimatisierten Flughafengebäude tritt, lässt sie sofort anders atmen, sich jünger und beweglicher fühlen, lebendiger", schreibt Dörrie. Der schöne Klang des Worts „Finca", es riecht nach Pinien und Meer, auch nach Orangen - „nur hier kann es eine Wendung zum Guten geben".

Susi trifft in Almería auf die bayerische Immobilienmaklerin Angelita, die geschickt mit den Sehnsüchten der Kunden spielt - sie kennt sie nur zu gut, schließlich hat sie sie selbst einmal gehegt. Bei der Immobilienbesichtigung folgt sie einer eingespielten Dramaturgie: „Ganz langsam nimmt Angelita die letzte Kurve, um den Blick aufs Meer zu enthüllen wie ein Geschenk. Insgeheim zählt sie bis zehn, und pünktlich bei der Ziffer acht stöhnt Susi auf, als habe man ihr ein Messer in den Rücken gerammt." So einfach ist das: Die Maklerin will Susi „ein Haus andrehen für den ewig gleichen Traum von Sonne und Meer. Warum spricht sich nicht langsam herum, wie langweilig dieser Traum ist, wenn er Realität wird?"

Die sieht nämlich aus der Nähe betrachtet ganz anders aus. Nicht nur die sozialen Probleme drängen ins Bild - afrikanische Prostituierte, ein im Hotelzimmer versteckter Bootsflüchtling, ein Almodóvar-haftes Transvestiten-Pärchen als falsche Gasmänner - auch die Vorstellung vom Glück unter Spaniens Sonne kommt bei allen Figuren ins Wanken. Oder erfüllt sich ganz anders als geplant.

Susi landet schließlich auf Ibiza, und ihr Freund erholt sich tatsächlich - dank der Sonne und einer neuen Niere. Es geht ihm schließlich so gut, dass er ein neues Leben beginnt - ohne Susi, in Ibizas Schwulen-Szene. Immobilienmaklerin Angelita, die nach

22 Jahren in Spanien noch immer la alemana genannt wird, sehnt sich nach Winterwald und Almwiesen und weiß überhaupt nicht mehr, wo sie hingehört. Und Helmut, der Pauschaltourist aus Berlin, steigt nach dem All-inclusive-Urlaub wieder zufrieden in den Flieger. „Nach zwee Wochen bin ick wieder fit wie´n Turnschuh", sagt er zu Ingrid. „Is hier wie meene Reha."

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 27. März (Nummer 725) lesen Sie außerdem:

- Zweite Runde im Pfarrer-Casting