Es ist dieses Jahr nicht so wie sonst. Die spanischen Teilnehmer des von Millionen fast wie die Fußball-WM verfolgten Eurovision Song Contest werden gewöhnlich im Vorfeld auf rituelle und zugleich naive Weise multimedial hochgelobt - und pflegen dann krachend zu scheitern. Ruth Lorenzo wird schon vor dem am Samstag (10.5.) in Kopenhagen anstehenden Finale des Gesangswettbewerbs das Fell über die Ohren gezogen. Die ehrwürdige Königliche Sprachakademie etwa, die die Reinhaltung des Spanischen überwacht, senkte nach der Auswahl des Songs „Dancing in the Rain" in einer bei TVE gezeigten Endausscheidung den Daumen, weil die mit einem durchaus durchdringenden Organ ausgestattete 31-Jährige aus Murcia fast nur auf Englisch singt.

Das beherrscht sie im Gegensatz zu den meisten anderen Spaniern sehr gut, weil sie als Kind jahrelang im US-Staat Utah aufwuchs und jetzt in London lebt, wo sie 2008 durch ihre Teilnahme in der Talent-Show„X-Factor" einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Akademie-Chef José Manuel Blecua sprach verschnupft von einem „Vorkommnis", das nicht einfach so hingenommen werden könne. Spanisch werde schließlich von etwa 500 Millionen Menschen gesprochen.

Doch nicht nur an der Sprachwahl, auch an dem Song als solchen wird kaum ein gutes Haar gelassen, wobei es hier nicht um den genre­bedingt generell dürftigen Inhalt geht. Durch soziale Netzwerke und Online-Medien wie www.eltelescopiodigital.com geistert, dass „Dancing in the Rain" zu wenig rhythmisch und deswegen öde und unspektakulär sei. Eine Dame namens Amalia Valera gibt deswegen im Netz inzwischen sogar eine Disco-­Version zum Besten.

Der Frust und die daraus erwachsenden negativen Reaktionen sind verständlich, hat doch seit den Siegen von Massiel 1968 („La, la, la") und Salomé 1969 (Vivo cantando") - das ist mittlerweile 45 Jahre her - keine Spanierin und auch kein Spanier mehr bei Eurovision so richtig was zu Wege gebracht. Der zehnte Platz von Pastora Soler vor zwei Jahren (sie sang den Schmacht­fetzen „Quedate conmigo") wurde zwar noch zu einer Art Mini-Erfolg schöngeredet, doch die popeligen acht Punkte der Gruppe El sueño de Morfeo („Contigo hasta el final"), deren nicht stimmgewaltige Sängerin den Moderator im deutschen Fernsehen hörbar verzweifeln ließ, beutelten den Stolz ein Jahr später vollends.

Und nun ist da diese Ruth Lorenzo, die ohnehin in erster ­Linie auf Englisch singt. ¡Dios mío! Ihre durchaus vorhandenen Anhänger argumentieren, dass man damit statistisch größere Chancen habe, sich bei Eurovision durchzusetzen. Immerhin: Die Sängerin Rosa López eroberte 2002 mit „Europe´s Living Celebration" Platz 7. Andererseits: Die Gruppe „D´Nash" wurde 2007 mit der Spanglish-Kreation „I love you mi vida" mit Rang 20 geohrfeigt.

Ruth Lorenzo ist jedenfalls trotz aller Kritik guter Dinge (oder tut zumindest so): Sie werde im Kleid eines spanischen Designers auftreten und glaube sowieso fest an sich selbst und ihre Träume, sagte sie. Und sie wolle so etwas sein wie der neue Bisbal. Der Pop-Sänger aus Almería ist nach einem durchschlagenden Erfolg bei der ersten spanischen „Superstar"-Sendung 2001 zu einer Größe seiner Zunft avanciert und wird seit Jahren schon mit Beziehungs-Geschichten durch die Klatschspalten gewurstet. Ruth Lorenzo backt beizeiten noch kleinere Brötchen: Nachdem sie einst bei „X Factor" sogar vom damaligen Briten-Premier Gordon Brown gelobt worden war, vertrieb sie sich die Zeit in London damit, zusammen mit der Schwester der australischen Supersängerin Kylie Minogue, Dannii, zu komponieren. Immerhin.

Momentan will sie sich mit echten und virtuellen Auftritten bekannter machen. Ins Internet stellte sie neulich ein Medley mit von ihr gesungenen Coverversionen unter anderem der exaltierten Sängerin Lena. Die hatte 2010 beim Grand Prix für die auch nicht gerade erfolgsverwöhnten Deutschen den Sieg geholt. Mit dem Song „Satellite" und auf Englisch. Wenn das nicht ein gutes Omen für die Goldkehle aus Murcia ist.

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