Die Ankunft in Deutschland ist eisig. Natürlich ist es kalt, als die jungen Spanier Hugo (Yon González) und Braulio (Julián López) den Flughafen in Berlin verlassen. Dann geht natürlich ihr erster Kommunikations­versuch mit einer deutschen Seniorin schief: Als sie ihr erklären, dass sie Spanier sind, drückt sie ihnen ein paar Münzen in die Hand. Und schließlich wird Hugo angefahren - natürlich auf dem Fahrradweg.

Dass mit Klischees nicht zu sparsam umgegangen wird, dieser Verdacht liegt nahe bei einer spanischen Komödie über die Flucht talentierter, aber arbeitsloser junger Leute in die Bundesrepublik. Der Film „Perdiendo el norte" (in etwa: Orientierungslos), der in der vergangenen Woche in den spanischen Kinos angelaufen ist und mit 1,2 Millionen Zuschauern am ersten Wochenende sogleich „Fifty Shades of Grey" den Rang ablief, greift zwar mit der Jugendarbeitslosigkeit ein aktuelles, soziales Thema auf, ist aber ansonsten ein Vorwand, einen bunten Haufen populärer spanischer Schauspieler zu versammeln, die die wenigen deutschen Figuren in dem Film zu Statisten degradieren.

Schuld an der Flucht nach Alemania hat eine Sendung über Spanier, die über ihr tolles Leben im Ausland berichten - das Format gibt es wirklich. Daheim ist Hugos erster Job als Manager gleich am ersten Tag wegen einer Polizei­razzia geplatzt, Biologe Braulio ist ein Opfer der Kürzungen in der Forschung. Allerdings soll es auch in Deutschland nicht klappen: Die beiden Jobsuchenden kommen zu spät zum Vorstellungsgespräch, irritieren die Chefin mit Begrüßungsküsschen auf die Wange oder scheitern an der deutschen Sprache.

Am Ende bleibt ihnen keine andere Wahl, als bei einem Deutsch-Türken anzuheuern. Sein Döner-Laden ist von Spaniern gut frequentiert. Da ist Andrés (José Sacristán), der Auswanderer der ersten Generation, der für den Hochmut der Neu-Auswanderer nur Häme übrig hat. Da ist eine spanische Mitbewohnerin, die für den Berlin-Marathon trainiert und einen deutschen Freund hat (er heißt, genau: Franz). Und da ist die spanische Frau des zeugungsunfähigen Türken, die auf der Suche nach einem Samenspender dem abgebrannten Braulio zu einem Nebenverdienst verhilft.

Nach dem riesigen Erfolg der Komödie „Ocho apellidos vascos" (Acht baskische Nachnamen) im vergangenen Jahr liegt die Messlatte für die Auswanderer-Klamotte hoch - und fiel denn auch bei vielen Kritikern durch. Zu viele Klischees, zu viele Allgemeinplätze, Gags auf dem Niveau von TV-Comedys heißen die Kritikpunkte. Das mag auch daran liegen, dass Regisseur Nacho García Velilla vom Fernsehen kommt und dort so erfolgreiche Kult-Comedys wie „Siete Vidas" oder „Aída" gemacht hat, die oftmals stereotyp sind, trotz aller Albernheit aber manchmal auch tief ins spanische Gemüt blicken lassen.

Sehenswert für deutsche Zuschauer macht den Film der ­Perspektivenwechsel. Etwa die ersten Versuche der Zuwanderer, deutsche Wörter annähernd verständlich auszusprechen. Oder der humoristische Blick in die wachsende spanische Community in Deutschland, die sich ihr Leben neu aufbaut. Oder die Erwartungshaltung der in der Heimat zurückgebliebenen Familie.

Spanische Zuschauer freuen sich vor allem auf die prominenten Neben- und Gastdarsteller - Carmen Machi („Aída") und Javier Cámara (Stammgast in Almodóvar-Filmen) als Eltern von Hugo, aber auch Arturo Valls („Camera Café", „¡Ahora caigo!") als Müllmann oder TV-Koch Alberto Chicote als Pfarrer.

Und weil sowieso alles so überspitzt und unrealistisch ist, wird für das Finale alles aufgeboten, was eine Komödie hergibt. Ein Bräutigam, der seine Braut vor dem Altar in Spanien stehen lässt, um nach Berlin zu eilen und dort seine wahre Liebe beim Berlin-Marathon einzuholen. Oder eine Geburt im Auto, bei der neben dem gehörnten Ehemann auch der an Alzheimer erkrankte Gastarbeiter Andrés assistiert und Biologe Braulio bei der Ferndiagnose eines Arztes übers Handy doch noch seine Deutschkenntnisse beweisen darf.

Der Film mag vor Klischees strotzen - allerdings kommen weniger die Deutschen, als vielmehr die Einwanderer schlecht weg. Zelebriert wird das Bild des stolzen Spaniers, der der Familie in Spanien Lügengeschichten auftischt. Hugo stellt für ein Skype-Gespräch sein angebliches Manager-Büro inklusive Sekretärin nach - und muss seinem Vater sogar Geld überweisen, weil der vor lauter Stolz der shoppingfreudigen Mutter nichts von der drohenden Zwangsräumung erzählt hat. Und als sich dann die Eltern zum Über­raschungsbesuch ankündigen, ist das Chaos komplett.

Die angeblich so distanzierten und unnahbaren Deutschen dagegen dürfen sogar Herz zeigen - mit spontanem Applaus für den Versöhnungskuss mitten im Berlin-­Marathon. Hugo: „Und ich dachte, die Deutschen wären gefühlskalt."

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