Wenn die drei Herren um die 80 in der Dorfbar von Montuïri wüssten, welche Bilder die zierliche junge Frau auf ihrem Laptop am Nachbartisch zeigt, dann würden sie wohl rückwärts vom Stuhl kippen - ob vor Begeisterung oder Schreck, das sei einmal dahingestellt. Denn ­Hera Delgado, so der Name der 31-jährigen Deutschen mit dem schwarzen Top und den gleichfarbigen Hotpants, hat ein sehr spezielles Hobby: Die gebürtige Berlinerin praktiziert Bondage, genauer gesagt Shibari - die japanische Kunst des erotischen Fesselns.

Die ist für sie nicht nur Berufung, sondern auch Beruf: Seit zehn Jahren verdient sie ihr Geld als Produzentin und Regisseurin von Fetischfilmen mit Schwerpunkt auf BDSM, so der Fachbegriff, der sich aus der Abkürzung der englischen Begriffe „Bondage and Discipline, Dominance and Submission, Sadism and Masochism" zusammensetzt. Dass sie für diese ungewöhnliche Tätigkeit mit Anfang Zwanzig ihren Lehr­beruf als Finanzdienstleisterin aufgab, war eher Zufall. Zum einen hatte sie erst kurz zuvor ihre Vorliebe für SM im Allgemeinen und Bondage im Speziel­len entdeckt, zum anderen erklärte ihr ein Bekannter, wie einfach er mit pornografischen Seiten im Netz sein Geld verdiente.

Die junge Frau, die zuvor bei der Oberfinanzdirektion in Berlin gelernt hatte, war begeistert - und machte sich sofort an die Erstellung ihrer ersten Website. Fehlte nur entsprechendes Bildmaterial: „Ich suchte im Netz, doch es gab nur in Latex gekleidete aufgespritzte blonde Barbies, denen gerade mal die Hände über dem Kopf gefesselt waren - das entsprach in keiner Weise meiner Vorstellung von Bondage-Bildern."

Also bat sie Freunde aus der Szene, das zu tun, was sie immer tun, aber eben vor der Kamera. Die authentischen Aufnahmen kamen an, Delgado war im Geschäft. Im Fetischfilm-Geschäft, nicht etwa in der Porno-Branche, wie sie mehrfach und entschieden betont: „In meinen Filmen gibt es keinen Geschlechtsverkehr, bei meinem persönlichen Verständnis von SM steht nicht das Sexuelle im Vordergrund. Das unterscheidet Fetischisten von denen mit Langeweile im Bett."

Doch da der deutsche Gesetz­geber für diese feinen Nuancen nicht empfänglich ist und ihr das Produzenten­leben wegen Drehen vermeintlicher „Gewaltpornos" schwer machte, zog sie vor zweieinhalb Jahren nach Mallorca. „Solange du hier deine Steuern zahlst, ist alles in Ordnung." Und so entstehen ihre Filme, in denen Frauen mit kunstvollen Knoten zusammengeschnürt und dabei gerne auch an der Decke aufgehängt werden, mittlerweile auf Mallorca. Bei Bondage, erklärt ­Delgado, gehe es um Technik, Ästhetik und Knoten, wobei sich schon an der Wahl der Seile - Jute oder Hanf - die Geister scheiden: Sie persönlich zählt sich zur Hanf-­Fraktion, „schon allein wegen des Geruchs - es geht ja darum, alle

Sinne anzusprechen."

Auf Mallorca ist Delgado die einzige „Riggerin", so der Fachausdruck für ihre Tätigkeit - die Frauen, die sie fesselt („Männerkörper sind mir einfach nicht ästhetisch genug"), werden im Szene-Jargon als „Bunnies" bezeichnet. Anfragen bekommt sie zuhauf: Gerade auch Urlauberinnen, die sich von zu Hause aus informieren, ob sie ihrer Leidenschaft auf der Insel nachgehen können, landen dank Internet bei Hera Delgado.

Die ist wählerisch und fesselt nicht jede: „Ich muss Lust haben, die Leute anzufassen." Deshalb trifft sie potentielle Bunnies auch erst einmal zum Kaffeetrinken und Kennen­lernen, bevor es zur Sache geht. Beziehungsweise nicht zur Sache geht: „Viele kommen mit falschen Vorstellungen und sind enttäuscht, wenn ich sage, dass ich hetero bin und sie nicht sexuell berühren werde".

Doch wenn´s nicht darum geht - warum lassen sich die Frauen dann verschnüren? Es sei ein Phänomen unserer Zeit, sagt Hera Delgado, in der Frauen stark sein und mit beiden Beinen auf dem Boden stehen müssten. „Wer gefesselt ist, kann nichts falsch machen. Da kannst du loslassen, dich richtig fallen lassen. Ich vergleiche es mit Tanzen: Der eine führt, der andere lässt sich führen." Überhaupt gebe es erstaunlich viele Parallelen zum Tango - Hingabe, Leidenschaft und Emotionen.

Ihr selbst geht es vor allem um Letzteres. „Ich steh drauf, Emotionen auszulösen." Wie bei den beiden sich fremden Frauen, die sie vor Kurzem in nackter Umarmung aneinanderschnürte - „vor allem um zu schauen, was es danach in ihrem Umgang miteinander bewirkt." Sie hätten sich dann übrigens gut verstanden.

Selbst ein Bunny zu sein, kommt für Delgado, die poliamourös lebt, nicht in Frage: Einerseits sei sie ein Kontrollfreak, der selbige nicht gerne aus der Hand gebe, zum anderen könne das Gefesseltwerden durchaus auch mit körperlichem Schmerz verbunden sein - „und ich bin ein Weichei". Bei den von ihr geschnürten Frauen hingegen löse dieser leichte, aber konstante Schmerz, der gerade dann entstehe, wenn die Bunnies an einem in der Decke befestigten Ring hängen, Endorphine und damit Glücksgefühle aus - „aber eigentlich kann man das mit Worten nur schwer erklären."

In Erklärungsnot geriet sie auch gegenüber ihrem Vater, einem gläubigen Christen, der erst durch einen Fernsehauftritt der Tochter von deren Beruf erfuhr. Er habe das in den falschen Hals gekriegt und gedacht, sie sei ein ­Porno-Star. ­„Vielleicht hätte ich es ihm vorher erzählen sollen", sagt Hera Delgado, während sie in ihrem koffeinfreien ­Milchkaffee rührt. Über SM brauche sie nach wie vor nicht mit ihm zu reden - „aber wir sprechen wieder miteinander."

Geredet wird auch bei dem monatlichen SM-Stammtisch, den Delgado - die trotz ihres Nach­namens übrigens durch und durch deutsch ist - auf der Insel ins Leben gerufen hat, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Rund zehn Deutsche nehmen daran teil. Der Versuch, auch die Einheimischen einzubeziehen, gestaltete sich schwierig - kaum ein Spanier wage es, sich öffentlich als Bondage- oder gar SM-Fan zu outen. Die gelbe Quietsche-Ente mit Knebel und Maske, die sie als Erkennungszeichen auf den Tisch der Bar stellte, räumte sie auf dringende

Bitte der spanischen Teilnehmer denn auch wieder in die Tasche.

Um Bondage - in einigermaßen diskretem Rahmen - trotzdem etwas bekannter zu machen, organisiert Delgado die lokale Ausgabe des am 28. Juni weltweit stattfindende Bondage-­Picnic. Am abgeschiedenen Strand der Cala s´Algar bei Portocolom wird dann gefesselt - getreu der Vorgaben aber nur in bekleidetem Zustand. Der erste Event dieser Art fand 2009 in Barcelona statt, um zu zeigen, dass Bondage „gar nicht so Schmuddel ist, wie alle denken."

Bei dem Picknick handle es sich nicht um eine kommerzielle Veranstaltung, betont Delgado - auch sonst nimmt sie für das Fesseln der Frauen kein Geld. „Da hätte ich kein gutes Gefühl, weil ich das so gerne mache," erklärt sie zum Abschied, bevor sie die Bar verlässt. Die ahnungslosen Rentner am Nebentisch werfen noch einen letzen, wohlwollenden Blick auf das zierliche Persönchen. Wenn die wüssten.