Alles begann mit einem kleinen Fleck am Knie, den sie 2013 entdeckte. Vorsichtshalber ließ Inselresidentin Natasha Hall ihn untersuchen - und erhielt die erschreckende Diagnose Hautkrebs. Nachdem sie dank eines operativen Eingriffs wieder genesen war, riet der Arzt zu einem Bluttest: Die Aggressivität des entfernten Tumors sowie ihre familiäre Krankengeschichte könne auf eine genetische Veranlagung hinweisen. „Meine Oma starb noch vor meiner Geburt an Brustkrebs, und auch meine Tante erkrankte vor nicht allzu langer Zeit daran," erzählt die 40-jährige Britin, die seit sechs Jahren auf Mallorca lebt, in ihrer Wohnung in der Altstadt von Palma.

Doch im Landeskrankenhaus Son Espases wurde der Gentest verweigert: Da beide Erkrankungen bei Verwandten der väterlichen Seite auftraten, sei die Wahrscheinlichkeit der Vererbung zu gering, so die Ärzte. „Ein großer, nicht nur in Spanien vorherrschender Irrtum", so Hall. Die Künstlerin bat zunächst ihre Familie in England, sich testen zu lassen: „Doch selbst meine Tante, die ja schon erkrankt war, hatte zu große Angst vor dem Testergebnis", erinnert sich die zierliche Frau. Also reiste sie selbst nach Großbritannien und zahlte die 3.000 Pfund teure Untersuchung aus eigener Tasche. „Eigentlich wollte ich das Risiko nur ausschließen." Um so niederschmetternder das Ergebnis: Hall ist Trägerin des mutierten Gens BRCA2. Die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken, liegt in ihrem Fall bei 90 Prozent.

Ihr erster Gedanke habe ihren Kindern gegolten, erzählt sie: „Was bedeutet das für sie? Wie gehen wir damit um?". Eine Psychologin unterstützte sie in der Entscheidung, Sohn Kiran (12) und Tochter Innes (8) alles zu erzählen. „Schließlich liegt die Wahrscheinlichkeit für die beiden, die gleiche Gen-Mutation zu haben, bei 50 Prozent. Ich wollte dass sie wissen, wie man mit so etwas umgeht. Das ist eben auch ein Teil dieser Reise des Mutterseins. Und die beiden waren meine größten Unterstützer."

Denn Hall hatte sich schon vor Erhalt der Ergebnisse entschieden: Sollte der Test positiv ausfallen, würde sie sich einer beidseitigen Mastektomie unterziehen. Für die vorsorgliche Entfernung des Drüsengewebes der Brust erhielt sie - angesichts der Testergebnisse aus England - in Son Espases denn auch problemlos einen Termin.

Zu der seelischen Belastung, die eine solch schwere Entscheidung mit sich bringt, kamen emotionale Probleme hinzu: Der Vater ihrer Kinder, mit dem sie seit 16 Jahren zusammenlebte, war mit Halls Entscheidung für den Gentest und die anschließende Operation nicht einverstanden. Er trennte sich nicht nur von ihr - sondern beantragte auch das alleinige Sorge­recht für die Kinder. „Ich sei nach der Operation doch ohnehin nicht in der Lage, gut für die beiden zu sorgen." Hall kämpfte - und erstritt das geteilte Sorgerecht.

Das alles erzählt sie nicht etwa verbittert, sondern mit einem Lächeln auf den Lippen. „Es gibt eben nicht immer ein Happy End. Und ich habe viel Unterstützung von Freunden und Familie erhalten", sagt sie. Die braucht sie nach wie vor: Nach dem Eingriff am 15. Mai ist ihre Bewegungsfreiheit immer noch eingeschränkt. Hilfe bekommt sie unter anderem auch von ihrem neuen Partner, den sie im Januar - also kurz vor der Operation - kennenlernte.

Vier Chirurgen waren während der Operation anwesend: „In ­Spanien wird die Mastektomie und der anschließende Wiederaufbau der Brust in einem Aufwasch erledigt," berichtet sie. Hall entschied sich für Silikon - für eine Rekonstruktion mit Eigengewebe „war ich einfach nicht dick genug", lacht sie fröhlich. Überhaupt spricht sie über das ernste Thema mit viel Humor. „Das Standardsilikon-­Modell in Spanien ist zum Glück tropfenförmig - in den USA hingegen sind es diese unnatürlich hervorstechenden Baywatch-­Brüste ?", sagt sie.

In Sachen nationaler Unterschiede beim Umgang mit der präventiven Operation ist Hall mittlerweile Expertin. So weiß sie zu berichten, dass die Ärzte in Großbritan­nien stets auch die Entfernung der Brustwarze empfehlen. In Spanien hingegen tendieren die Mediziner dazu, sie zu erhalten. „Ich habe mich dann mit meinem spanischen Chirurgen zusammengesetzt, und wir haben uns bei einem Bier über meine Brustwarzen unterhalten", kichert sie - am Ende konnte sie ihn von der Haltung der britischen Kollegen überzeugen.

Bevor sie sich dem Eingriff unterzog, feierte sie mit Freunden eine Brust-Abschiedsparty. Es gab nicht nur spanischen Tetilla-Käse und mamelletes-Gebäck aus Sencelles, auch die Luftballons und der Quinoa-Salat waren wie Brüste geformt. Eine Freundin leitete eine gemeinsame Yoga-Session, bei der die Teilnehmer die Übungen mit verbundenen Augen und ohne Oberteil absolvierten - die entsprechenden Filmaufnahmen will Hall später für die künstlerische Aufarbeitung ihrer Geschichte nutzen. Auch ihre Kinder waren bei der Abschieds­party dabei: „Ich habe sie lange gestillt, und sie sollten einfach nochmal die Möglichkeit haben, sich von meinen natürlichen Brüsten zu verabschieden." Auch wenn andere ob dieser Entscheidung skeptisch gewesen seien: „Meine Tochter war begeistert. Überhaupt gehen Kinder ganz anders mit diesem Thema um, als wir Erwachsene uns das vorstellen."

Dass viele ihrer Freundinnen fast schon neidisch kommentieren, nach der OP könne sie nun trotz ihres Alters wieder Spaghetti-Tops ganz ohne BH tragen, lässt Hall schmunzeln. „Darum ging es mir natürlich nicht." Doch obwohl sich heutzutage viele Frauen bewusst für die reine Amputation entscheiden, wollte Hall die Rekonstruktion. „Ich fühlte mich einfach zu jung, um ganz ohne Brüste herumzulaufen. Ich bin Anfang Vierzig, ich will an den Strand gehen, mich ausziehen können, mich weiblich fühlen," sagt sie: „Und auch meine Kids wollten mich lieber mit Brüsten als ohne."

Noch weiß sie nicht, ob ihr Körper die Silikoneinlagen vielleicht abstößt: „Da muss man abwarten, aber dieses Risiko gehe ich ein." Ein anderes will sie dafür ausschließen: Sobald sie sich von der Brust-OP und der noch ausstehenden Rekonstruktion der Brustwarzen erholt hat, wird sie sich auch die Eierstöcke entfernen lassen. Denn die sind bei Frauen mit mutiertem BRCA2-Gen ebenfalls extrem anfällig für eine Krebserkrankung.

Durch ihren offenen Umgang mit der Problematik will sie Mut machen: ihren Leidensgenossinnen und -genossen, denn, auch das wissen viele nicht: Männer können ebenfalls an Brustkrebs erkranken. „Der Eingriff, für den ich mich entschieden habe, kann Leben retten", sagt sie. „Und auch den Test würde ich allen, in deren Familien diese Art von Krebs­erkrankungen aufgetreten sind, absolut empfehlen."

Dass ihr der Gentest auf der ­Insel verweigert wurde, darüber ärgert sie sich heute nicht mehr. Hall verteidigt im Gegenteil das spanische Gesundheitssystem: „Hier bleibt man nach diesem Eingriff sechs Tage im Krankenhaus, in Großbritannien hingegen muss man schon nach zwei Tagen nach Hause", lobt sie. Sie hofft, die Ärzte hier ein wenig sensibilisiert zu haben. Am Ende, sagt sie zum Abschied, gehe es ihr vor allem um Aufklärung. Nicht nur für Frauen und Männer, die das Gen in sich tragen könnten. Sondern vielleicht auch ein bisschen für die Ärzte.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 11. Juni (Nummer 788) lesen Sie außerdem:

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