Jenseits der Eingangstür empfangen die Räumlichkeiten von Marynails in Inca ihre Besucher mit einem stechenden Geruch: eine Mischung aus Acrylpulver und Modellierflüssigkeit, aus der die Inhaberin Mary Chavarny und ihre Schülerinnen künstlichen Fingernägeln Pinselstrich um Pinselstrich die gewünschte Form verleihen.

Im Oktober hat das Team von Marynails bei den „Nail­ympics" in Madrid acht Medaillen gewonnen. Chavarnys Schülerinnen waren das erfolgreichste Team des Wettkampfs. Vor fünf Jahren machte die 46-Jährige ihr Hobby im Zuge der Wirtschaftskrise zum Beruf, seither gibt sie Kurse in Nagelkosmetik. Ihr Geheimnis: „Ich bringe meinen Schülerinnen mehr bei, als sie für den Wettkampf brauchen." Etwa 90 Prozent ihres Geschäfts generiert sie aus Workshops. Für einen zwei­tägigen Einführungskurs verlangt sie 250 bis 350 Euro.

Bei den Turnieren müssen ihre Schülerinnen in jeweils zweieinhalb Stunden ein komplettes Nagelset formen und gestalten - egal ob für eine klassische Französische Maniküre oder ausgefallene Bemalungen. „Eine Französische Maniküre dauert sonst eineinhalb Stunden, aber wir werden nach Perfektion bewertet, deshalb haben wir im Wettbewerb mehr Zeit", sagt Chavarny.

An diesem Donnerstag (3.12.) nehmen sieben Frauen an einem ihrer Kurse teil. Im Hinterzimmer sitzen vier von ihnen an Tischen voller kleiner Tiegel und pinseln oder feilen an einem ihrer Fingernägel. Es herrscht konzentrierte Stille. Am Kopfende des Raumes drängen sich die anderen Frauen - zwei blond, zwei schwarzhaarig - um einen einzelnen Tisch. Chavarny dekoriert den rechten Ringfinger von Aina Gomila mit einem sogenannten Stiletto-Nagel: knapp fünf Zentimeter lang, altrosa Nagelbett, goldglitzernde Spitze, waffenartig.

Die drei Schülerinnen, die jede ihrer Bewegungen mit Argusaugen verfolgen, werden im Februar an einem Wettbewerb in Valencia teilnehmen. „Was mache ich, wenn eine Spitze stumpfer ist als die anderen?", fragt eine von ihnen. „Dann feilst du sie ein wenig seitlich ab", sagt die Lehrerin, „das gibt sonst Abzug und jeder Punkt zählt".

„Ich würde Mary gegen keine andere Lehrerin eintauschen", sagt Gomila. Im vergangenen Jahr trat die Anglistik-Studentin das erste Mal bei den Nailympics an und hat die Kategorie „Französische Maniküre" direkt gewonnen. Im Oktober holte die 23-Jährige Gold für ihre „Stilettos". Es war nach einem zwölfstündigen Wettkampftag, an dem Gomila merkte: „Ich will nie wieder etwas anderes machen." Bei den Stilettos bedeutet die Zeitvorgabe von zweieinhalb Stunden Stress: Bei einer Kundin dauert das Prozedere auch mal vier Stunden. „Nicht viele trauen sich, solche Nägel zu tragen", sagt Gomila.

Seit vier Jahren lernt sie von Chavarny, an mehr als 20 Kursen hat sie teilgenommen. Die Frauen sind längst Freundinnen geworden. „Dass wir unsere gemeinsame Leidenschaft teilen, inspiriert mich", sagt die Lehrerin. Dabei dachte Chavarny als ihre heutige Goldschülerin das erste Mal in einem ihrer Kurse saß: „Die kommt nie wieder." Auf einen Verbesserungsvorschlag hatte Gomila trotzig erwidert: „Aber ich habe auf Youtube gesehen, wie das geht."

Heute sagt die junge Frau: „Mary weiß genau, wie sie das Beste aus jedem herausholen kann." Während ihres Kurses wirkt Chavarny oft sehr zurückhaltend. Mit leiser, ruhiger Stimme gibt sie Tipps, ihr Blick ist aufmerksam. Als sie das Werk einer ihrer Schülerinnen begutachtet, zeigt sich die volle Bandbreite ihres pädagogischen Ansatzes: „Super! Bravo!", ruft die Lehrerin, strahlt und umarmt die Schülerin mit einem freudigen Quietschen. Dann kehrt die Konzentration in ihre Augen zurück und Chavarny gibt noch einen Tipp, um die Form des Nagels mit einer Feile zu optimieren.

Für die Ausbilderin sind Fingernägel nicht nur ein bisschen Keratin, sie sind Kunst und Berufung. „Unsere Welt bietet weit mehr als das, was man im Beauty-Salon sieht", sagt sie. Ihr Vater ist Maler, die ausgebildete Ökonomin und Rechtswissenschaftlerin hat seine ruhige Hand mit Gespür für Präzision geerbt. Eine Technik, die sie von zu Hause kennt, zählt beim Nageldesign zu den schwersten überhaupt: Aquarelle. Die Farbe verhält sich auf einem Acrylnagel komplett anders als auf Papier. „Wir fangen mit einem einzelnen Farbfleck an, aus dem wir dann die Muster gestalten," sagt Chavarny.

Ihre eigenen Nägel trägt sie an diesem Tag relativ kurz, dezent bemalt und mandelförmig, also relativ spitz. Das sei bei Männern die beliebteste Form, sagt Chavarny, weil sie etwas Katzenhaftes vermittle. Überhaupt ist sie überzeugt: „Männer, die auf Weiblichkeit achten, schauen auf die Hände - sie sind das Spiegelbild unserer Seele."