Vor sechs Jahren kam Peter Wehr aus der Türkei nach Mallorca. Im Frühjahr wird der 54-Jährige nach elf Jahren im Ausland wieder nach Deutschland zurückkehren. Doch vorher predigt er an Heiligabend um 15.30 und 17 Uhr bei der ökumenischen Christvesper vor Tausenden Deutschen in der Kathedrale.

Die Christvespern in Palma sind die größten deutschsprachigen Messen außerhalb Deutschlands - sind Sie vorab aufgeregt?

Nein, aber konzentriert. Ich bin sehr gerne in der Kathedrale, und es ist mir wichtig, den Gottesdienstbesuchern die frohe Botschaft von Weihnachten mit auf den Weg zu geben.

Wie wirkt die Kathedrale dabei auf Sie?

Natürlich sind der gefüllte Kirchenraum, die wunderbare Architektur und die schöne Musik ein ganz besonderes Erlebnis. 2009 hielt ich dort zum ersten Mal die Predigt zur Christvesper. Die Lichter, der gotische Raum, die vielen Besucher - die festliche Stimmung hat mich damals sehr ergriffen.

An Heiligabend kommen 4.000 bis 5.000 Menschen, wie viele sind es in den regulären Messen?

Auf Mallorca gibt es sonntags vier deutsche Gottesdienste. Auf einer Urlaubsinsel sind die Besucher­zahlen natürlich sehr schwankend. Aber am Ostersonntag kommen zum Beispiel mehr als 300 Besucher in unsere schöne Kirche Santa Cruz in Palma.

Wie gehen Sie mit den für Weihnachten typischen U-Boot-­Christen um?

Ich frage nicht nach den Motiven und freue mich über jeden, der an ­Weihnachten in den Gottesdienst kommt. Das zeigt ja, dass die Kirche in unserer säkularen Welt eine Rolle spielt - und sei es als Träger sozial-karitativer Dienste. Ich glaube, in unseren Zeiten kommt hinzu, dass viele Menschen erahnen, dass die christliche Religion, unser Glaube, auch ein wesentlicher Bestandteil unserer Kultur und unseres Gemeinwesens ist.

Worum geht es in Ihrer Predigt?

Natürlich thematisiere ich die Ereignisse vor mehr als 2.000 Jahren - die Geburt Christi und das Weihnachtsevangelium. Damit ist auch der weihnachtliche Wunsch verbunden: Friede auf Erden allen Menschen seiner Gnade - oder man kann auch sagen: Allen Menschen guten Willens. Den Weihnachtsfrieden in die Welt zu tragen, das liegt dann an uns.

Werden Sie die Flüchtlingskrise ansprechen ?

An Weihnachten ziehen sich Menschen in den Kreis der Familie oder Freunde zurück. Gleichzeitig bewegt sie, was um sie herum geschieht, weil es das Fest der Menschlichkeit ist. Die Flüchtlingskrise beschäftigt viele, und ich spüre eine große Verunsicherung. Es gilt, Menschen Obdach zu gewähren und zu helfen, deren Leben wirklich bedroht ist, deren Heimat praktisch nicht mehr existiert wie in Syrien. Abgesehen davon erhebt sich die Frage: Was wird in fünf oder zehn Jahren sein, wie werden wir zusammenleben? Gerade wer Kinder hat, sorgt sich darum, ob unsere Lebenskultur erhalten bleibt mit ihrer Freiheit, Gerechtigkeit und Achtung eines jeden Menschen und verschiedener Lebensentwürfe. Das Grundgesetz beginnt durchaus weihnachtlich: Die Würde des Menschen ist unantastbar!

Wie schlagen Sie den Bogen von der Weihnachtsgeschichte zu diesen Themen?

Das Leben ist zu aller Zeit nicht ­sicher, es ist immer auch bedroht. Davon erzählt auch die Geschichte der Krippe in Bethlehem und der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten. Der christliche Glaube ist in Europa kulturstiftend und die Basis unserer Wertegemeinschaft. Der Blick auf gänzlich andere Kulturen mit ihren zum Teil dynamischen und offensiven Religionen zeigt: Wenn wir unsere kulturelle Prägung bewahren wollen, muss auch die Basis bewahrt werden. Wir müssen uns auf unsere christlichen Werte besinnen und dürfen uns nicht scheuen, für sie einzutreten. Vielleicht ist es so, wie die Kanzlerin gesagt hat: Es gibt nicht zu viel Islam, sondern zu wenig ­Christentum in unserem Land.

Wie begegnet man als Christ sinnvoll einer anderen Religion?

Mit Achtung und Respekt. Denn beides gehört zu unserem Selbstverständnis und Menschenbild. Doch bedarf es zugleich einer Selbstvergewisserung der eigenen Überzeugungen: Wenn wir uns im Klaren sind, wer wir sind und wo unsere Wurzeln liegen, dann gibt es Raum für ­Toleranz und Offenheit. In Deutschland können Menschen anderer religiöser und kultureller Prägungen Aufnahme finden, zu Gast sein und sich integrieren. Dabei wird auch vielfach geholfen, aber es gibt einen Pfad, eine Leitkultur. Ich nehme wahr, dass viele Menschen in Europa unser kulturelles Erbe bewahrt sehen wollen.

Wie wollen Sie den Wert des christlichen Glaubens an Heiligabend vermitteln?

Beide Kirchen haben in den vergangenen Jahrzehnten Mitglieder verloren, was letztlich zurückzuführen ist auf eine Art „Verdunstung" des christlichen Glaubens im öffentlichen Leben und vielleicht auch auf weniger Bedarf an Religiosität. Jeder ist selbstverständlich frei zu wählen, ob er Gott in sein Leben lässt. In manchen Phasen ist man vielleicht weiter weg von Gott oder wendet sich ab. Gott, so der Glaube der Christen, wendet sich aber niemals ab von uns. Weihnachten mit all seinen Lichtern, der Musik und seiner frohen Botschaft ist eine offene Tür.