Was sie am meisten überrascht, sagt ­Loreto Amorós, ist dass die Leute jetzt anfangen, sie um Rat über Sex zu fragen. „Häufig sind es Männer, die wissen wollen, wie sie ihre Freundin zu einem Dreier überreden können. Es heißt dann immer: Du bist doch so freizügig." Amorós lacht. „Ich weiß nicht, warum die Leute denken, ich hätte ­alles ­ausprobiert, nur weil ich über Sex ­schreibe."

„Música de ascensores" heißt Amorós´ Blog mit erotischen Texten, benannt nach einem Song der spanischen Indieband Love of Lesbian. Amorós schreibt ihn seit knapp sechs Jahren. Im Internet nennt sie sich SoositaX, auch wenn ihr echter Name kein Geheimnis ist. Sie ist 45, Mutter von vier Kindern - der Älteste 22, die Kleinste vier - und Angestellte in einem Buchladen im Zentrum von Palma. Eine Frau die viel lacht und viel redet und sehr ins Detail geht, wenn sie erzählt.

Es sind selten lange Texte, die sich auf dem spanischsprachigen Blog finden, meistens sind sie in Gedichtform. Amorós kombiniert sie mit Bildern aus anderen Blogs der Plattform Tumblr. Meistens sind es Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Nicht pornografisch, auch wenn häufig Geschlechtsorgane zu sehen sind. Es sind eher Bilder, die eine Intimität ausstrahlen, eine Natürlichkeit von Sex zwischen echten Menschen. „Manchmal verbringe ich viel mehr Zeit d­amit, das richtige Foto auszusuchen, als den Text zu schreiben."

Der Blog lebt von dieser Kombination aus Bild und Text. Loreto Amorós schreibt immer aus der Ich-Perspektive: Erzählungen über das Verlangen, die Sehnsucht, die Zweifel. Den Sex. Aber immer sind da auch Gefühle dabei, das Körperliche steht eigentlich nie für sich allein.

Mit 17 habe sie angefangen, die ersten erotischen Texte zu schreiben, nachdem sie das Buch „Amorrada al pilo" von Maria Jaén entdeckt hatte. „Aber diese Texte waren nicht besonders gut. Selbst wenn man in dem Alter schon einen Freund hatte, hat man nicht genug Erfahrung, um ernsthaft erotische Texte zu schreiben. Man muss ein bisschen etwas erlebt haben."

Mit dem, was in den vergangenen Jahren als erotische Literatur durchgeht, will sie nichts zu tun haben „Bücher wie ´50 Shades of Grey´ und die ganzen billigen Kopien davon sind nicht nur schlecht geschrieben. Sie sind im Grunde eine Missbrauchsfantasie, in der es darum geht, dass der Mann die Frau schlecht behandelt und rund um die Uhr kontrolliert. Das hat nichts mit Bondage zu tun und vermittelt ein erschreckendes Frauenbild." Sie halte sich eher an die Klassiker. Anaïs Nin, Henry Miller, die Geschichte der O.

Der Blog findet immer mehr Fans. Immer wieder wird Amorós von ihnen gebeten, ihnen einen Post zu widmen. Inzwischen gibt es erste Überlegungen, ein Buch aus den Geschichten und Gedichten zu machen. „Aber ich will nicht ein weiterer dieser Blogger sein, die meinen, ein Buch rausbringen zu müssen, weil sie ein paar Follower haben."

Die Bitten um Ratschläge zum Thema Sex - in letzter Zeit empfehle sie häufig das Buch „Schlampen mit Moral" von ­Dossie Easton und Janet W. Hardy - sind nicht die einzigen Reaktionen auf ihre Texte. „Ich bin immer wieder überrascht, dass die Leute glauben, einem alles sagen zu können, nur weil man über Sex schreibt."

In der Tat. Wer ernsthaft denkt, dass sexuelle Belästigung nur etwas ist, was Flüchtlinge in lauschigen Silvesternächten an Hauptbahnhöfen betreiben, hat das Internet nicht gesehen: „Nicht alle Frauen laufen so rum wie du. Du schreist nach Schwänzen, Puppe". „Du siehst auch wie eine Nutte". „Es zeugt von Eiern, dass du dich traust, über Machismo zu reden, während du auf deinem Profilfoto halb deine Titten zeigst und so verdorben guckst." Das sind drei Tweets, die Amorós allein am Freitag (15.1.) zwischen 12 und 15 Uhr bekommen hat.

Die vielen fotopollas, also Fotos von Penissen, die sie von Männern bekommt, zählt sie schon gar nicht mehr mit. „Am Anfang war ich allerdings überrascht, was soll ich damit?" Mittlerweile erkennt sie schon bei der Freundschaftsanfrage am Profilbild, ob sie ein Penisbild bekommen wird oder nicht. „Bei Typen, die oben ohne, mit Waschbrettbauch posieren, weiß man: Wenn er das Bild nicht heute schickt, macht er es morgen."

Amorós hält dagegen, wehrt sich gegen die sexistischen Angriffe und die Beleidigungen. Am Samstag (16.1.) veröffentlichte sie auf Anfrage eines Journalisten Privatnachrichten, die sie von fremden Männern bekommen hat. Sie lassen die Tweets fast harmlos erscheinen. Sie komme meistens damit klar, sagt Amorós im Interview. Nur einmal, vor vier Jahren, habe es eine Situation gegeben, wo sie der Hass aus dem Netz wirklich ­schockiert habe. Amorós hatte gerade erfahren, dass ihr kleiner Sohn an einer sehr seltenen Krankheit litt. Sie schrieb darüber auf Twitter. „Ein Typ von der PP schrieb zurück: ´Hättest du halt abgetrieben, du Kommunistenschlampe.´ Das hat mir die Sprache verschlagen, und ich habe auch nicht geantwortet. Seine Parteigenossen haben ihn aber in die Schranken gewiesen."

Ab und zu trifft sie sich auch mit Leuten, die sie über das Internet kennenlernt. „Manche sind dann echt beleidigt, wenn ich nicht mit ihnen Sex haben möchte. Aber wenn ich mich zum Kaffee verabrede, dann will ich Kaffee trinken. Wenn ich Sex wollte, würde ich das schon wissen lassen."

Die Menschen in ihrem Leben gehen unterschiedlich damit um, dass sie über Sex schreibt. „Mein aktueller Freund liest meine Texte, vielleicht auch weil er selbst schreibt. Mein letzter Freund aber hat das nie gemacht. Er hätte sich nicht wohl damit gefühlt." Und die Kinder? „Meine älteren beiden Söhne wissen, dass ich das mache. Aber ich glaube nicht, dass es sie groß interessiert."

Angst vor den ganzen Verrückten, mit denen sie sich anlegt, habe sie keine, sagt sie. Tatsächlich ist sie äußerst entspannt im Umgang mit privaten Informationen, postet etwa Bilder von ihren beiden jüngsten Kindern. „Was ich nicht mache, ist zu schreiben, dass ich jetzt irgendwo Bestimmtes hingehe. Aber ansonsten poste ich das, worauf ich Lust habe. Was soll schon passieren? Werden sie meine Kinder entführen?" Und auch wenn sie vergangenen Sommer auf fast jeder Party angesprochen und gefragt wurde, ob sie SoositaX sei. So berühmt sei sie dann doch nicht, sagt sie.

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