Es beginnt mit dem Gang in die Markthalle. Nicht zum Einkaufen, sondern zum Vorglühen strömen die Menschen am Mittag in den Mercat de Santa Catalina. Eine Kleinigkeit essen, ein Bierchen, ein Weinchen und den unvermeidlichen vermú trinken, Freunde treffen, sehen und gesehen werden. Spanier nennen das tapeo (von Tapas). Neuerdings ist das nicht mehr nur das Vorspiel zum üppigen Mittagsmahl mit anschließender Siesta, sondern der Einstieg zum bailoteo, zum Getanze (von baile, Tanz). Und das am helllichten Tag.

Mallorca hat einen neuen Trend: tardeo (von tarde, Nachmittag).

Gegen 17 Uhr quetschen sich die letzten Gäste durch die Gitter des Markttors auf die Straße. In Gruppen schlendern sie den Carrer Cerdà hinunter. An der Ecke zum Carrer de Sant Magí teilt sich der Strom: links gen Kaelum an der Avinguda de l´Argentina, rechts gen Luna an der Plaça del Vapor.

Im Kaelum hat der Einlass bereits um 16.30 Uhr begonnen. Wer erst um 17.15 Uhr kommt, hat erst mal Pech. Dann ist das Kaelum meistens schon voll. Nur wenn jemand geht, darf der Nächste rein, die Schlange vor der Tür ist beachtlich. Die Menschen warten geduldig.

Vor dem Luna ist die Lage an diesem Samstag (5.3.) ganz ähnlich, nur etwas zeitversetzt. „Ist noch nicht offen?", fragt eine Frau kurz vor Einlass um 17 Uhr in die Runde ihrer Freundinnen, die ein Foto von einer Katze machen, die sich auf dem malerischen Platz auf einem Autodach sonnt. Zwei deutsche Rucksacktouristen laufen vorbei. „Sieht aus wie ein Vergnügungsviertel", sagt er zu ihr. In der Schlange steht eine Gruppe geschniegelter Männer. Warum sie kommen? „Es ist wie Party machen, nur tagsüber", sagt Juan. „So haben wir etwas vom Sonntag", ergänzt Antonio.

Genau darauf setzte Ángel Oliveros, als er vor gut einem Jahr mit zwei weiteren Kollegen aus dem Party­gewerbe von Santa Catalina beschloss, das Tardeo-Konzept auf die Insel zu holen. „Auf dem Festland, in Madrid, Barcelona, gibt es das schon länger: Party für Leute, die nicht mehr abends weggehen, weil sie arbeiten müssen oder Kinder haben", sagt der Kaelum-Manager. Ein Jahr lang hätten sie an dem richtigen Konzept gebastelt. „Als wir jung waren, war das Lonja-Viertel voller Bars. Auf ­dieses Ambiente und das Publikum wollten wir setzen", sagt Oliveros. Auch die Musik spielt eine Rolle - ein bunter Mix verschiedener Stile, viele Lieder aus den 80ern und 90ern, aber auf gar keinen Fall ­Reggaeton oder House. „Bei uns gibt es andere Musik als in den ganzen Bars am Paseo Marítimo", sagt Oliveros, der auch einer der DJs im Kaelum ist. Im Gegensatz zu der Partymeile am Meer wollen die Fiesta-Experten in Santa Catalina explizit das einheimische Publikum ansprechen. Es sind zu 90 Prozent Spanier, die kommen.

Die DJs zapfen bewusst die Jugenderinnerungen der Tardeo-Besucher an. Verónica gehört mit 26 noch zu den jüngsten Gästen im Kaelum, trotzdem sagt sie wohlwollend: „Ich mag die Musik, das Ambiente und dass die Leute ein bisschen älter sind." Die meisten sind zwischen 30 und 45, immer wieder sieht man auch mal eine graue Schläfe. Trotz ihrer relativen Jugend hat auch Verónica keine Lust, zu den üblichen spanischen Partyzeiten wegzugehen, also ab Mitternacht. „Ich möchte morgen früh aufstehen und etwas unternehmen", sagt sie und stürzt sich ins Getümmel.

Es läuft ein rockiges spanisches Lied. Die Frau Redakteurin kennt es nicht, die übrigen Gäste sehr wohl. Sie singen inbrünstig mit. Hinter dem DJ schwebt ein bunter Zirkuspferd-Luftballon vor dem Panoramafenster, und hinter dem Ballon strahlt die Sonne am blauen Himmel. Drinnen tanzt und trinkt sich die Menge langsam warm. Strahlende Gesichter, sorgfältig frisierte Häupter, Cocktails in den Händen oder natürlich ein Smartphone. Zum Selfies machen.

Die Stimmung ist ausgelassen bis aufgedreht. Mit zunehmendem Alkoholpegel gleicht die Party am Tage immer mehr ihrer nächtlichen Schwester. Es ist ein kurzes, aber dafür umso intensiveres Vergnügen. Das Kaelum schließt um 21 Uhr. „Ab neun fahre ich die Leute sturzbetrunken nach Hause", sagt Taxifahrer Toni. Und eine Anwohnerin an der Plaça del Vapor amüsiert sich dann über zu früher Stunde torkelnde Mittvierziger.

Dass tardeo auf Mallorca derart erfolgreich werden würde, hätten selbst die Organisatoren nicht erwartet. Vielleicht liegt es an einer historischen Besonderheit: Anfang der 90er-Jahre strömten viele Jugendliche zu den galas de tarde am Paseo Marítimo. „Da sind wir damals alle hin", sagt Ángel Oliveros. Die Nacht war den Volljährigen vorbehalten. Heute sind die Jugendlichen von damals um die 40. „Beim tardeo kommt unsere Musik", erzählt der 41-jährige Toni. Und früher ins Bett kommt man auch.