Zeitungsartikel beginnen selten am Anfang. Sie sollen knapp das Neuste zuerst berichten. In diesem Fall lohnt es sich jedoch, weiter etwas weiter auszuholen, das in der vergangenen Woche zelebrierte Happy End der Story für den Schluss aufzuheben und diese Geschichte, die uns von Krieg und Familienschicksal aber auch von Gastfreundschaft, Solidarität und über Generationen gehaltene Loyalität erzählt, am Anfang zu beginnen.

Es war einmal vor über 100 Jahren, genauer gesagt im Jahr 1914, als der deutsche Kapitän Waldemar Herrnbrodt den Auftrag erhielt, mit seinem Schiff „Mathilde" von Flensburg in See zu stechen, um eine Ladung Holz von Schweden nach Menorca zu bringen. Die Mutter seiner fünf Kinder war verstorben, seine Nachkommen musste er in der Obhut seiner Schwester lassen.

Als er den Hafen von Mallorcas Nachbarinsel erreichte, überschlugen sich die schrecklichen Ereignisse. Der Erste Weltkrieg machte eine Rückkehr zu seiner Familie unmöglich. Vier lange Jahre musste er das Schiff im kleinen Hafen von Mahón hüten. Die Bevölkerung der Insel - Spanien war im Ersten Weltkrieg neutral - erwies sich dabei als außerordentlich gastfreundlich. Insbesondere der damalige deutsche Konsul auf Menorca, Taltavull Gallens, unterstützte ihn dabei, zumindest einen Teil der Mannschaft über Italien zurück in die Heimat reisen zu lassen.

Für Geschichtsunterricht ist hier kein Platz. Sie wissen schon, Novemberrevolution, Niederlage, Flucht des Kaisers. Nach vier Jahren auf Menorca musste plötzlich alles ganz schnell gehen. Das Schiff „Mathilde" musste unverzüglich in Frankreich abgeliefert werden, um damit die immensen Reparationszahlungen zu tilgen. Kapitän Herrnbrodt erhielt den Befehl, sofort aufzubrechen. Ihm blieb nicht einmal die Zeit, sich anständig zu verabschieden, geschweige denn sich gebührend für die ihm erwiesene Gastfreundschaft zu bedanken.

Doch seinen Kindern erzählte er anscheinend ausführlich von den netten Menorquinern. Und seine Kinder erzählten es ihren Kindern. Jedenfalls machte sich Enkelin María Herrnbrodt - benannt nach der menorquinischen Marienkirche - vor gut zehn Jahren auf den Weg, um die Insel zu besuchen. Vor Ort suchte sie nach einer Möglichkeit, sich für die Gastfreundschaft zu bedanken, die einst ihrem Großvater zuteil wurde. Schließlich beschloss sie, die bereits erwähnte Santa-Maria-Kirche im Zentrum von Mahón mit dem schönsten Glockenklang auszustatten, den man sich denken kann. Acht Glocken wurden in Maria Laach gegossen, die modernste Aufhängung in Straßburg in Auftrag gegeben. Die neuen Glocken sollten sogar im Einklang mit der berühmten Orgel der Kirche spielen können.

Um diese Jahrhundert-Danksagung zu verwirklichen - unter anderem musste der Kirchturm ob der neuen baumelnden Schwergewichte verstärkt werden, - setzte sich ein Mann unermüdlich ein. Sie werden es ahnen: der auf Menorca allgemein geachtete bisherige Honorarkonsul Matthias Roters.

Und nun, am Ende dieser rührenden Geschichte, wie versprochen die Nachricht: Am Freitag (29.4.), an Roters 75. Geburtstag und gleichzeitig der letzten Stunde seiner 34-jährigen Amtszeit als Honorarkonsul, wurde im Beisein von Konsulin Sabine Lammers aus Palma und dem Generalkonsul von Barcelona, Rainer Ebele, sowie weiterer Diplomaten, Geistlicher, Musiker und Politiker eine Bronzetafel an der mit neuen Glocken bestückten Kirche enthüllt, die mit lateinischer Inschrift an diese 100-jährige Geschichte erinnert. /tg