Auf ihrer Terrasse mit Blick auf die Berge habe schon Picasso gemalt, erzählt Maria de Haan stolz. Nun fertigt die Britin dort ihre Keramiken und Tongefäße. „Ich bin hier glücklicher als je zuvor", sagt die Künstlerin, die im März 2015 von London nach Mallorca gezogen ist. „Ich wollte weg aus der Großstadt, wollte ein ruhigeres Leben." Dass es ausgerechnet Deià wurde, habe aber weder mit der großen Anzahl an Landsleuten in der Nachbarschaft zu tun - von 713 Einwohnern sind immerhin 72 Briten. Noch lockten sie die großen Namen, die seit Jahrzehnten im selben Atemzug mit dem kleinen Tramuntana-Dorf genannt werden, beteuert de Haan. „Robert Graves? Ich muss gestehen, ich habe kein einziges Buch von ihm gelesen." Dass sich der Schriftsteller (??1985) einst in Deià niedergelassen habe, sei allerdings ein weiterer Beweis für die inspirierende Wirkung des Ortes - der längst den Beinamen Künstlerdorf trägt.

Dennoch, Graves ist Deiàs Vorzeige-Brite. Drei Jahre nach seiner Ankunft baute er sich etwas außerhalb ein Häuschen, Ca n´Alluny, in dem seit 2006 ein Museum an ihn und sein Schaffen erinnert. Auch die örtliche Grundschule trägt seinen Namen. Und Anfang des Jahres wurde die erste Gemeinde­bibliothek eröffnet, die seinem 2015 verstorbenen Sohn Joan, einem Musiker, gewidmet ist. Aus Deià weggezogen ist mittlerweile auch Graves´ jüngster Sohn, Tómas, der Grafikdesigner, Autor, und Musiker ist. Er spielt immer noch Bass in der einst mit seinem Bruder gegründeten „Pa amb Oli Band", deren gelegentliche Auftritte in Deià meist zum feuchtfröhlichen Fest werden.

Mit von der Partie ist dann auch der Maler David Templeton, der der Band seine Stimme leiht, egal ob um Elvis oder die Rolling Stones zu covern. Der ehemalige Lehrer aus Cambridge kam bereits 1978 nach Deià - das damals noch ein bezahlbares Eldorado für die versammelte Bohème aus Nordeuropa und -amerika war. „Das war alles schlicht und einfach. Im Restaurant aß man für ein paar Peseten." Inzwischen jedoch seien Hippie-Künstler eine Seltenheit, statt Backpackern sehe man nun Parkscheinautomaten und Verkehrspolizisten. Ja, wer sich heutzutage hier niederlassen wolle, brauche Geld, erzählt Templeton, der in einer urigen Finca aus dem Jahr 1629 haust - und Annehmlichkeiten wie doppelt verglaste Fenster, Heizung und Pool nur vom Blick auf die Nachbarvilla kennt, die gut betuchten Franzosen gehört. „Die kommen aber nur ein paar Mal im Jahr."

Wer sich für Deià als Urlaubsort entscheide, suche einen Rückzugsort, sagt Louise Davis, die als PR-Managerin im Belmond-Hotel La Residencia arbeitet. Allerdings stiegen in dem 1994 eröffneten Fünf-Sterne-Haus nicht nur ihre Landsleute, sondern auch Deutsche, Franzosen oder Skandinavier ab. Dass Deià zu einem immer teureren Pflaster wird, hat vermutlich auch mit dem Hotel zu tun. „Die Gäste kamen einige Male, verliebten sich in den Ort und beschlossen, ihr eigenes Feriendomizil zu kaufen." Und weil Immobilien in dem kleinen Dorf nur bedingt verfügbar seien, stiegen die Preise, erklärt Davis, die 1977 im Auftrag eines britischen Reiseveranstalters auf die Insel kam und seit

20 Jahren im Nachbarort Valldemossa wohnt.

Auch dort lebten viele Künstler, auch dort gebe es einige Briten. „Aber Valldemossa ist viel mallorquinischer", sagt Davis, die schon vor ihrem Umzug nach Mallorca sehr gut Spanisch sprach - im Gegensatz zu vielen Briten in Deià. David Templeton etwa hat nach fast 40 Jahren auf der Insel immer noch das Heftchen mit den unregelmäßigen Verben neben der Toilette liegen, während Maria de Haan, deren Mutter Andalusierin ist, eingesteht, dass sie nur über Grundkenntnisse verfüge.

„Man muss hier kein Spanisch lernen", sagt Louise Davis. Nicht selten wird schließlich gewitzelt, dass in Deià Englisch die offizielle Amtssprache ist. Auch die gebürtige US-Amerikanerin Jackie Waldren, die über die Beziehung von Einheimischen und Zugezogenen in Deià schon ein Buch geschrieben hat, bezeichnet Englisch als lingua franca - neben der Kunst. „Nationalitäten sind hier nebensächlich", sagt Waldren. Und ist damit mit David Templeton, der seinen Freundeskreis als „europäisch" bezeichnet, und Maria de Haan einer Meinung. „Ich mag interessante Leute, egal woher sie kommen", sagt die Künstlerin.

Europa wird in Deià gelebt. Doch der drohende Brexit - jüngsten Umfragen zufolge liegen die Austrittsbefürworter mit fünf Prozentpunkten vorn - wird so gut wie gar nicht thematisiert. Die Kunstszene ist eben nicht allzu politisch. Man trifft sich lieber bei Vernissagen, zum morgendlichen Bad in der Bucht oder in einer der Dorfbars. Und für manche ist Großbritannien nach all der Zeit einfach sehr weit weg. „Ich habe die Insel seit neun Jahren nicht mehr verlassen", sagt Templeton.