Aus dem Zelt dringt Gesang. Ein Evergreen: „Stand By Me" von Ben E. King. Ein Mann klampft auf der Gitarre, gut 40 Stimmen fallen ein. Die Frauen und Männer, die da für den Auftritt am Abend proben, sind alle in orangefarbene Polos gekleidet, wie drei weitere über das Gelände von Sa Canova verteilte Gruppen auch. Und nein, es ist nicht die Auferstehung Bhagwans auf Mallorca, sondern eine Teambuilding-Maßnahme. Nach Sa Pobla auf Mallorca angereist sind 190 Vertriebler von Bionorica­, einem der weltweit führenden Hersteller­ pflanzlicher Arzneimittel. Auf ihren­ Polos prangt der Schriftzug Sinupret Extract.

Es ist ein Heimspiel. Am Abend wird auch der Bionorica-Gründer und Inhaber Michael Popp wenn nicht singen, so doch zumindest in die „Bütt" steigen, wie er selbst sagt, um das Team auf Produkte und Unternehmen einzuschwören. Es gibt derartige Veranstaltungen jetzt sehr oft hier. Der Event-Verantwortliche Álvaro García erzählt, er sei jetzt häufiger in Sa Pobla als am Firmensitz in Neumarkt in der Oberpfalz.

Michael Popp hat das Mustergut bei Sa Pobla Ende 2013 aus dem Besitz der in einem anderen Institut aufgegangenen Sparkasse Sa Nostra erworben. Sa Canova, das ist eine 14 Hektar große landwirtschaftliche Institution auf Mallorca mit einer großen Sammlung von Johannisbrot-, Zitrus-, Mandel- und Olivenbäumen sowie sämtlichen autochtonen Rebsorten Mallorcas. Ganze Generationen von Schülern hat man hier mit der Landwirtschaft vertraut gemacht. „Für mich ist der Kauf ein Stück Lebensqualität", sagt Michael Popp, der auf Mallorca auch schon das Weingut Castell Miquel besitzt. „Lebensqualität", das ist ein Begriff, den der 1959 in Nürnberg geborene Pharmazeut bei allen möglichen Gelegenheiten verwendet.

Es habe ihm freigestanden, was er mit Sa Canova anstelle, sagt Popp: „Es gab keine Auflagen, aber man hat gehofft, dass wir etwas Ordentliches daraus machen." Bionorica baut hier jetzt etwa das für Bronchipret benötigte Thymian an, wobei ein Großteil der bei Bionorica­ verarbeiteten Pflanzen anderswo herstammen, aus Llubí, Porreres oder Manacor, von insgesamt über 100 Hektar Anbaufläche.

Das Mustergut ist jetzt vor allem eine Incentive-Finca für Bionorica­: „Wir werden hier immer mehr

tolle landwirtschaftliche Produkte generieren, die wir dann etwa an die Arzthelferinnen und unsere Kunden in Deutschland weitergeben", sagt der Bionorica-Chef. Die ersten 50.000 Gläser Orangenmarmelade seien schon produziert.

Angedacht ist auch, Urlauber hier aufs platte Land zu locken, so wie sie bereits - nicht zuletzt dank der Werbung in Sixt-Mietwagen - zum Weingut Castell Miquel bei Alaró gelotst werden. „Dafür muss Sa Canova aber erst bekannter werden", sagt Popp, „noch macht es keinen Sinn, dass hier jemand sitzt und auf Besucher wartet."

Obwohl doch schon weit über 50, strahlt Popp stets ein wenig von einem in eine Modelleisenbahn vernarrten kleinen Jungen aus. Bei dem gemeinsam mit einem Oberpfälzer Architekten neu hergerichteten Haupthaus habe er bis hin zu der Auswahl der Fliesen alles entschieden, sagt er. „Die anderthalb Jahre des Umbaus waren eine tolle Zeit, das hat Spaß gemacht." Es klingt nicht so, als ob das gelogen sei.

Auf Mallorca angesprochen und auf die Diskussionen rund um die zunehmende Belastung durch die Urlauber werden die Antworten beliebiger. Auf die Frage, wie er, der seit 1993 regelmäßig auf der Insel ist und hier schließlich auch wirtschaftet, den Wandel der Insel erfahren hat, fällt ihm spontan nur ein, dass es jetzt mehr internationale und bessere Restaurants gebe. Aber vielleicht ist eine tiefschürfendere Beschäftigung mit mallorquinischen Befindlichkeiten auch zu viel verlangt von einem, der von Mallorca aus nach Kasachstan weiterreist, um dort die Bionorica-Geschäfte voranzutreiben.

Auf Sa Canova ist jetzt auch immer häufiger Russisch zu hören. Die Staaten der ehemaligen Sowjetunion sind wichtige Märkte für das Unternehmen, das 2015 244 Millionen Euro umgesetzt hat, davon etwa ein Viertel in Russland (es hätte noch mehr sein können, wenn der Rubelkurs nicht so im Keller gewesen wäre). Die Russen stünden den Deutschen näher als die Spanier oder Italiener, findet Popp und erzählt von engen Freunden. Von einem bedeutenden HNO-Arzt in Moskau etwa, auf dessen 60. Geburtstag er war: „Rechts saß seine Ehefrau, links saß ich, mit Blick auf den Kreml, auf den Roten Platz, und ich sagte mir: Vor 25 Jahren hätte das keiner geglaubt. Das ging mir richtig durch die Haut."

Staunen darüber, wie weit sein Unternehmen und er es gebracht

haben, auch das gehört zum „kleinen Jungen" Popp, der schon als Schüler in der Firma seines Großvaters jobbte, die er als 28-Jähriger übernahm. „Ich hätte nie gedacht, dass wir auf Weltkongressen der Schulmedizin eines Tages unsere Ergebnisse mit pflanzlichen Arzneimitteln vorstellen können. Das waren früher ja zwei Welten!"

Und es geht immer weiter. Der Mittelständler aus der Oberpfalz verhandelt in Brasilien und in

Mexiko über die Zulassung seiner derzeit zwölf Arzneimittel, startet gerade den Vertrieb in Indien und freut sich über den Umsatzzuwachs in China (nur in den USA, da hat er sich ein blaues Auge geholt). „Wir können in Richtung 500 Millionen­ Euro Umsatz marschieren, jetzt muss man schauen, in welchen Märkten, in welchem Zeitraum." Die Produktionskapazitäten seien jedenfalls da. Wenn im Winter die großen Erkältungswellen die Runde machen, soll es bei Bionorica, auch das ist schon vorgekommen, keine Engpässe mehr geben.

Und da wäre noch ein weiterer Markt, der sich auftut: „Lebensqualität generieren für Schwerstkranke und Austherapierte, fast ohne Nebenwirkungen und auch ohne Suchtpotenzial." Voraussichtlich ab dem 1. Januar 2017 werden in Deutschland Arzneimittel mit Cannabis-Wirkstoffen verschreibungs- und erstattungsfähig. Bionorica forscht seit Jahren auf diesem Gebiet und hat mit Dronabinol ein solches Arzneimittel im Angebot. Popp hält den Ball trotzdem flach: „Was das heißt, weiß noch keiner, weil die Auflagen sehr hoch sind - der einzige Vorteil ist, dass die Kassen das wahrscheinlich leichter erstatten. Der Markt ist begrenzt - im Moment sind es ein paar Tausend Patienten - und wir glauben nicht, dass er sich sofort verdoppelt oder verdreifacht. Es bleibt ein Betäubungsmittel, das auch entsprechend verordnet werden muss, und die Kassen werden zusehen, dass es nur die absolut austherapierten Patienten bekommen."

Die Schülergruppen werden übrigens immer noch über das Landgut geführt, auf Unternehmenskosten. Dass Sa Canova nicht mehr das Sa Canova ist, das die Mallorquiner kennenlernten, heißt nicht, dass es bei Bionorica nicht gut aufgehoben wäre. „Es ist die landwirtschaftliche

Geschichte der Balearen, die wir hier erhalten", sagt Michael Popp.