Sie schafften es nicht mehr, sich kennenzulernen. Isabel, die als Säugling adoptiert wurde, und die Frau, die sie 1965 in Palma zur Welt brachte. Ihre leibliche Mutter starb vor sechs Jahren, bevor Isabel überhaupt von ihr wusste.

Wäre da nicht der Zeitungsartikel im „Diario de Mallorca" aus dem Jahr 2012 gewesen, den Isabel zufällig in die Hände bekommen hätte, wüsste sie auch heute nicht, woher sie eigentlich kommt. Im dort veröffentlichten Interview mit María Luisa Servera, der in Mallorcas Inselrat Zuständigen für Adoptionen, las sie, dass alleinstehende Frauen auf der Insel früher unter Druck standen, um ihr Kind zur Adoption freizugeben.

Isabel lebt in Valencia. Seit sie 15 Jahre alt ist, weiß sie, dass sie adoptiert wurde und dass ihr Geburtsort Palma war. Mehr aber auch nicht. Ihre Adoptiveltern hüllten sich in Schweigen oder verstrickten sich in Widersprüche. Der Artikel machte sie hellhörig. „Vielleicht trifft das auch auf mich zu?", fragte sie sich. Sie wandte sich an María Luisa Servera und der Stein kam ins Rollen.

Dank des sorgfältig geführten Archivs der Geburten auf Mallorca konnte Servera den Kontakt zu einer anderen Mallorquinerin herstellen, die 1966 im Krankenhaus in Palma zur Welt kam und ebenfalls adoptiert wurde. DNA-Proben ergaben, dass es ihre leibliche Schwester ist. Eine dritte, die älteste der Schwestern, geboren 1964, konnte ebenfalls ausfindig gemacht werden. Sie stammen alle von der gleichen Mutter ab. Ob auch von dem gleichen Vater, konnte bisher nicht herausgefunden werden.

Eine zweite wichtige Anlaufstelle bei Isabels Suche war Paloma Alcahúz, Präsidentin von „Orígens". Die Vereinigung beschäftigt sich auf Mallorca mit den Fällen von sogenannten „niños robados" (gestohlenen Kindern). Es gibt in Spanien Tausende Fälle unrechtmäßiger Adoptionen in der Franco-Zeit, teilweise auch noch darüber hinaus. Mithilfe dieser beiden Frauen konnte Isabel nach und nach ihr Lebenspuzzle zusammensetzen.

Die Geschichte von Isabels Mutter begann in Orihuela, nordöstlich von Murcia, in der Provinz Alicante. Ihre Mutter war verheiratet und hatte bereits einen Sohn. Alle nannten sie nur Rosa (alle Namen von der Red. geändert), die Beziehung zu ihrem Ehemann war schwierig bis hin zu gewalttätig. Eines Tages eskalierte die Situation, und er warf sie vor die Tür. Der jungen Mutter blieb nichts anderes übrig, als zu ihren Eltern zurückzukehren, doch auch mit ihnen war das Zusammenleben alles andere als einfach.

Isabel weiß nicht, ob Rosa zu dem Zeitpunkt des Rauswurfs bei ihrem Mann bereits schwanger war. Genauso wenig weiß sie, wer der Vater ihres älteren Bruders ist. Fest steht: Rosa zog nach Mallorca. Dort lebte sie vorübergehend in zwei Pensionen und arbeitete im Krankenhaus als Putzkraft. Es war damals üblich, dass alleinstehende schwangere Frauen Monate vor der Entbindung zum Arbeiten ins Krankenhaus kamen, um ihre Schwangerschaft zu verbergen. So ähnlich könnte es im Fall von Rosa abgelaufen sein: Sie brachte ihre Kinder auf Mallorca zur Welt, gab sie ab und kehrte nach Valencia zurück.

Bis 1987 konnte die Identität dieser Frauen, die alleine entbunden und ihr Kind abgegeben hatten, anonym bleiben. Kein Register führte ihren Namen, lediglich in der Übersicht der Geburten tauchten sie auf: dreimal, im Fall von Isabels Mutter, wie sich jetzt zeigte. Ein großes Glück für Isabel und ihre Schwestern, denn nur so konnten sie sich überhaupt finden.

Auch Isabels Adoptiveltern halfen ihr nicht aus ihrer Unwissenheit. Sie erzählten ihr wenig, die Geschichten des Adoptiv­vaters waren verworren und widersprüchlich. Als Isabel drei Jahre alt war, ließen sich ihre Adoptiv­eltern scheiden. Ihre Adoptivmutter verstarb vor vielen Jahren, und die Beziehung zu ihrem Adoptivvater ist bis heute schwierig. „Er wollte mir nichts erzählen, er sagte, er könne dafür ins Gefängnis kommen. Seine Erklärungen änderten sich von einem Tag zum nächsten: Einmal kam er zu mir und sagte, dass es ihn eine Million Peseten gekostet habe, mich zu bekommen, am nächsten Tag sagte er, meine Mutter sei bei der Geburt gestorben, dann wieder, dass sie von einem Seemann schwanger gewesen sei €"

Viele Unterlagen, die sie fand, trugen widersprüchliche Daten oder enthielten schlichtweg falsche Informationen. Laut den Dokumenten brachte ihre Adoptivmutter sie in Valencia zu Hause zur Welt. Was Isabel sicher weiß, ist dass sie einige Tage in einer Privatklinik in Palma verbrachte, bevor ihre Adoptiveltern sie mitnahmen. Ihr Adoptivvater war davon besessen, dass sie auch ja gesund sei. Anders als bei Isabel lief die Adoption ihrer beiden leiblichen Schwestern formal korrekt ab. Auch die Daten stimmen hier. Die Schwestern haben sich nach einem halben Jahrhundert im Februar 2016 erstmals getroffen. Aus dem ersten Treffen wurden mehrere - jetzt sehen sie sich mit ihren Kindern etwa einmal im Monat. „Die Kinder sind ganz begeistert über den Familienzuwachs", sagt Isabel.

Von ihrer Mutter besitzt Isabel nur ein Foto, auf dem man schemenhaft das Gesicht einer jungen Frau erkennen kann. Isabel ist überzeugt: „Sie hätte mir die Wahrheit erzählt. Ich trage ihr gegenüber keinen Groll in mir, ich hätte nur sehr gerne gewusst, ob sie uns freiwillig zur Adoption gab."

Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, Isabel muss aber ihre Lebensgeschichte neu zusammenstückeln. „Ich will alles wissen", sagt sie und sucht nach weiteren Antworten, auch wenn ihr viele Türen verschlossen bleiben. Viele möchten nicht in einer Vergangenheit wühlen, in der es von Lügen nur so wimmelte. Ihr nächster Anlaufpunkt wird das Altersheim in Madrid sein, in dem ihre Mutter ihre letzten Jahre verbrachte. Dort hofft sie, von dem ein oder anderen Heimbewohner mehr über ihre Geschichte zu erfahren.