Das ist sie, das ist Clara Hammerl. Die große stattliche Schauspielerin Carmen Molinar trägt am Filmset in der Bibliothek von Pollença die sonst mittelbraunen Haare streng zu einem ergrauten Dutt hochgesteckt, die hochgeschlossene farblich gedeckte Bluse und der bodenlange Rock geben ihr etwas Majestätisches. „Es ist eine der faszinierendsten Rollen, die ich jemals gespielt habe", sagt die 51-jährige Deutsche, die seit Jahren zwischen Cala Ratjada und Norddeutschland pendelt.

Das Leben der Clara Hammerl (1858-1931), das ist tatsächlich ein ganz großer Filmstoff. Die gebürtige Ostpreußin heiratete 1889 in Berlin ihren Deutsch-Schüler, den Pädagogen Guillem Cifre de Colonya, und zog mit ihm nach Pollença. Dort bauten sie die heute noch bestehende Sparkasse Colonya sowie eine fortschrittliche Schule auf. Die Deutsche und der mallorquinische Freigeist wurden angefeindet, mussten sich mit der Kirche herumschlagen. Ein Sohn und zwei Töchter starben im Kindesalter. Als sich ihr von den Schicksalsschlägen geplagter Mann das Leben nahm, leitete Clara Hammerl als erste Frau in Spanien eine Sparkasse. Später zog sie weiter nach Madrid und Berlin, zerstritt sich mit ihren beiden verbliebenen Kindern, vertrug sich wieder und starb schließlich in Armut in Argentinien.

Dieses Leben soll also nun verfilmt werden, an einem einzigen Drehtag für ein 45-minütiges Dokudrama im öffentlich-rechtlichen Balearen-Sender IB3. Für Molinar, die in Deutschland eine Synchronsprecherschule betreibt und gelegentlich auch auf Mallorca Workshops gibt, ist die Rolle eine große Chance, sich als Schauspielerin auf der Insel zu positionieren.

Der Kontakt zwischen ihr und der Produktionsfirma MN-Studios sowie den beiden Regisseuren Lluís Prieto und Toti García war durch das Evolution Filmfestival zustande gekommen. Als die Anfrage, ob sie nicht die Clara Hammerl spielen wolle, ins Haus flatterte, sagte die gebürtige Hamburgerin sofort zu. Die Deutsche passt schon optisch perfekt auf die Rolle: Mit ihren hohen Wangenknochen und dem ovalen Gesicht sieht sie der Auswanderin von damals täuschend ähnlich. Molinar überzeugte beim Casting und bekam die Rolle. Zuvor fragte eine Aufnahmeleiterin sie noch, ob sie auch Mallorquinisch sprechen könne. „Ich dürfe auch mit starkem deutschem Akzent sprechen. Da dachte ich, ach, das rocke ich schon."

Molinar begann sich mit Clara Hammerl zu befassen. Sie puzzelte sich die Informationen selbst zusammen: Sprach mit dem Historiker Pere Salas, der gerade ein Buch über Clara Hammerl veröffentlicht hat, und las die von ihm in der MZ veröffentlichten Forschungsergebnisse. Auch mit dem zweiten Regisseur Toti García tauschte sich Molinar über die historische Figur aus.

Blieb noch das Problem der Sprache. Die deutsche Schauspielerin, die seit vielen Jahren auf der Insel lebt, spricht fließend Spanisch und versteht Mallorquinisch recht gut. Aber die Inselsprache selbst zu sprechen, das sei dann doch eine große Herausforderung gewesen. Das Drehbuch war auf Katalanisch, eine befreundete Schauspielerin half Molinar, einige Stellen zusätzlich in den Pollençiner Dialekt umzuschreiben. Drei Wochen Zeit hatte sie dazu. „Bei der Vorbereitung lernt man die Rolle, beim Schauspielern muss man sie fühlen. Hätte ich viel über die Sprache nachdenken müssen, hätte das nicht geklappt", sagt Molinar.

Carmen Molinar hat die He­rausforderung gemeistert, wie man an diesem Drehtag (17.11) in Pollença beobachten kann. Clara und ihr Mann unterhalten sich im Büro, die Schauspielerin stolpert über ein Wort. Die Szene soll in einer einzigen Aufnahme gedreht werden, Molinar steht unter Hochspannung. Doch schon der zweite Versuch gelingt, in klarem

pollençin hält sie bis zum Ende der Szene durch.

Die Sprache war das eine. Eine Rolle lebt aber erst dann, wenn man sich wirklich mit einer Figur identifizieren kann. Angesichts der wenigen historischen Unterlagen sei es nicht einfach gewesen, sich in die damalige Zeit hineinzuversetzen, sagt Molinar. Die Art sich auszudrücken, zum Beispiel, war eine andere, gesetzter, weniger impulsiv. Minutiös notierte sich Molinar alles, was sie zu Clara Hammerl fand. „Wann spielt welche Szene, in welcher Phase des Lebens war Clara zu dem jeweiligen Zeitpunkt, das sind alles entscheidende Details, wenn man eine Rolle spielt", sagt die erfahrene Schauspielerin. Nach und nach sei sie mit der Figur Clara Hammerl verschmolzen. Aus Carmen Molinar wurde in den drei Wochen Vorbereitungszeit Clara Hammerl.

Am Set wird gerade eine weitere Szene gedreht: Carmen ­Molinar wringt ein feuchtes Tuch aus, reicht es ihrem Ehemann, um das Gesicht ihrer sterbenden Tochter Emma abtupfen zu können. Molinar spricht sachlich, aber klar, stützt ihren Ehemann, der am Bett des Mädchens fast zusammenbricht. Clara, die Starke, ihr Mann der Schwache. Und Schnitt.

Clara Hammerl war jedoch zugleich verletzlich, ungerecht, widersprüchlich - auch das macht den schauspielerischen Reiz dieser Figur aus. Zu Lebzeiten ihres Mannes waren die beiden ein eingespieltes Team. Auch diese Vertrautheit mussten ­Carmen Molinar und ihr Film-Ehemann erst einmal hinkriegen. „Das klappte gut, weil er sich ebenfalls intensiv vorbereitet hatte." In einer Szene am Fenster habe Molinar diese Natürlichkeit gespürt. „Da haben wir auch natürlich gesprochen, weniger getragen."

Der Drehmarathon beginnt morgens um 6 Uhr am Cap Formentor und endet um Mitternacht. Dreißig Jahre Altersunterschied spielt Molinar an diesem Tag. Ihre anfangs glatten Gesichtszüge werden im Laufe des Tages faltiger. Am Abend ist sie völlig fertig. Das positive Feedback des Teams, sagt sie, habe ihr geholfen, den Dreh zu überstehen. Und dann schlüpft Carmen Molinar wieder aus ihrer Rolle. Von einem Moment zum nächsten wird aus der ergrauten Clara Hammerl wieder die lebensfreudige Hamburgerin: Carmen Molinar mit den braunen Haaren. Aber auch eine Molinar, die durch diese Rolle gewachsen ist und sich im Mallorquinischen jetzt ein wenig zu Hause fühlt.

Der Film soll Anfang 2017 ausgestrahlt werden. Den genauen Sendetermin finden Sie dann in der MZ.