500 Jahre, nachdem Martin Luther - so zumindest geht die Geschichte - an das Portal der Schlosskirche von Wittenberg seine 95 Thesen nagelte, wird am kommenden Heiligabend eine evangelische Pastorin vor den Altar der Kathedrale in Palma treten und auf Deutsch über die

Weihnachtsgeschichte predigen.

Die Symbolik ist unverkennbar - und doch ist es an und für sich nichts Ungewöhnliches: Die deutschsprachige ökumenische Christmette ist seit 1973 eine Institution, und die Pastorin Heike Stijohann hat auch schon 2014 zu diesem Anlass gepredigt.

„Wir sind hier zu Gast in einem katholisch geprägten Land, das ist mir bewusst, wenn wir auf Mallorca das Reformationsjahr feiern", sagt Heike Stijohann, die seit gut zwei Jahren auf der Insel arbeitet. Doch die größten inhaltlichen Differenzen seien schon längst beigelegt. „Die theologischen Kernpunkte der katholischen und protestantischen Kirche sind heute sehr ähnlich." Überhaupt falle der Kirche in Zeiten, in denen wieder Stimmen nach „dem starken Mann" laut würden, in denen Parteien wie die AfD an Wählerstimmen gewännen, um sich abzugrenzen, eine verbindende Rolle zu. „Sie müssen das Gemeinsame hervorheben", sagt die 55-Jäh­rige. Und meint damit nicht nur die Beziehung der Christen unter­einander, sondern der Menschen als Gemeinschaft.

Luthers Ausspruch „Dem Volk aufs Maul schauen" bedeute, die Menschen ernst zu nehmen, sagt Stijohann. Die Kirche müsse immer wieder kritisch schauen, wo zum Beispiel junge Menschen abgehängt würden, die sich nicht mehr mit den religiösen Ritualen identifizierten. Hinschauen, was die Menschen bewege, das sei Aufgabe der Kirche.

Das Gemeinsame, das Verbindende zu finden, klappt zumindest auf Mallorca schon sehr gut: „Die Beziehungen zu den katholischen Kollegen sind ausgezeichnet", sagt Stijohann, „anders würde das auch gar nicht gehen." Ein eigenes Gotteshaus hat die ­protestantische Auslandsgemeinde bis heute nicht. Begegnungen, zum Beispiel bei Trauungen, kämen alleine schon deswegen zustande, weil man sich bei der katholischen Kirche ­einmieten müsse. „Da ergeben sich viele Gespräche, wo wir uns über Gemeinde unterhalten."

Richtig beginnen mit dem Reformationsjahr will die Pastorin erst mit der Mandelblüte Ende Februar, wenn viele Residenten zurückkehren und wieder vermehrt Touristen auf die Insel kommen. Dann wird Stijohann gemeinsam mit anderen Gemeindemitgliedern das Thema Reformation mit Lesungen, geschichtlichen Filmen zu Luther, Diskussionsrunden oder humorvollen Originaltexten zu Luthers Tischreden einem breiten Publikum zugänglich machen.

Einen ganz besonderen Termin hat sie auch schon festgezurrt. Margot Käßmann, die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, wird als Botschafterin für das Reformationsjubiläum in der Woche vom 13.-15. Oktober 2017 auf Mallorca aus ihrem neuen Buch lesen und einen Gottesdienst in der Kathedrale abhalten. Ein Posaunen- und Trompetenchor aus Lippe tritt zu diesem Anlass ebenfalls auf.

Zunächst allerdings muss Heike Stijohann all ihre Energie auf die Vorweihnachtszeit lenken, denn diese ist erfahrungsgemäß hektisch: Neben den normalen Aufgaben wie Gottesdiensten, Seelsorge, Hochzeiten und Gefangenenbesuchen bereitet sie Adventsfeiern, die Weihnachtsgottesdienste und -Predigten vor und beratschlagt mit den Reiseveranstaltern, wie die vielen Besucher der Christmette in die Kathedrale gelangen sollen.

Bis zu 2.000 Menschen pro Gottesdienst werden zu den beiden ökumenischen Christmetten in der Kathedrale am 24. Dezember erwarte, die Stijohann gemeinsam mit dem neuen katholischen Pfarrer Andreas Falow gestaltet. Die Gedanken zur Predigt lässt die Pastorin schon länger innerlich reifen. „Die Predigt muss alltagstauglich sein, aber eben nicht nur für diesen einen Tag", betont sie. Gerade weil viele Menschen, die sonst keinen Gottesdienst besuchen, an Weihnachten in die Kirche kommen, möchte sie ihnen eine besondere Botschaft mitgeben. Stijohann will der Sehnsucht, die viele Menschen innerlich spüren und die häufig im Alltagstrubel zu versacken droht, eine Stimme geben.

Die Pastorin, die ihr Theologiestudium in Münster und Bielefeld absolvierte, nimmt für die Lesung Passagen aus der Weihnachtsgeschichte. Dieses Jahr wird es eine Stelle aus Jesaja sein. Es geht darin um Licht und Dunkel, Lesung und Predigt sollen Wege weisen, wie Menschen heute Licht in ihren Alltag bringen können. Und wenn dann 2.000 Menschen gemeinsam bekannte Weihnachtslieder singen, „ist das ein unbeschreibliches Gefühl", freut sich die Pastorin.

Heike Stijohann fühlt sich wohl auf Mallorca. Die teilweise pragmatisch gelebte Ökumene auf der Insel gefällt ihr. „Manchmal kommen Menschen spontan im Gottesdienst vorbei, auch wenn sie katholisch sind. Und umgekehrt natürlich genauso." Der „Mangel" an deutschsprachigen Gottesdiensten der jeweiligen Konfession lasse interessierte Christen über den Tellerrand schauen.

Was Visionen und Pläne ihrer Arbeit als Pfarrerin angeht, bleibt sie bescheiden und pragmatisch: Abendliche ökumenische Abend-Andachten in der Gemeinde San Fernardo, das wäre schön. Dann könnte man auch für Urlauber einen leichten Zugang zum Gottesdienst schaffen. Stijohann wünscht sich eine Kirche mit offener Tür, eine Kirche im Vorbeigehen.

Anfangszeiten der Gottesdienste in der Kathedrale: 15.30 und 17 Uhr.