Drei Freundinnen. Sie kommen alle aus Deutschland und leben seit Jahrzehnten auf Mallorca. Und keine von ihnen kann sich vorstellen, wieder zurück in die alte Heimat zu ziehen. Weil sie alle auf Mallorca ihr Glück gefunden haben. Das ist die Geschichte von Renate Pons ­Riutort, Christine Ille und Ingrid Kubnick. Sie waren Auswanderer der ersten Stunde. Sie kamen auf der Insel an, als es hier kaum Ausländer und schon gar keine deutschen Ärzte oder Schulen gab. Heute schauen sie gern aus Spaß bei Vox „Goodbye Deutschland! Die Auswanderer" an. Mit ihren Anfängen auf Mallorca hat das wahrlich nichts zu tun. Die MZ durfte bei einem ihrer Treffen im Rialto Living im Carrer Sant Feliu in der Altstadt von Palma dabei sein.

Die Ausgangslage

Renate Pons Riutort (81), die Mutter von Sabina Pons, die im zurückliegenden halben Jahr die MZ-Leser mit ihren Geschichten aus der Sicht einer Tochter eines Mallorquiners und einer Deutschen unterhalten hat, stammt aus der Nähe von Aachen. In Deutschland lernte sie den Mallorquiner Santiago Pons kennen. ­Gemeinsam kauften sie bei Köln ein Haus. Renate arbeitete bei der Deutschen Krankenversicherung DKV. „Dann wollten wir 1965 aber Kinder, und mein Mann sagte, lasst uns nach Mallorca gehen. Dort haben wir Familienanschluss und können die Kinder einfacher großziehen." Die Eltern von Renate hatten keine Zeit, sich um die Kinder zu kümmern, und ein Hausmädchen war

finanziell nicht drin.

Ganz anders war die Situation bei Christine Ille. Die 74-Jährige wurde in Düsseldorf geboren und verließ 1968 mit 26 Jahren und ihrem libanesischen Partner sowie einem US-amerikanischem und einem italienischen Freund Deutschland, um im andalusischen Granada eine Pizzeria zu eröffnen. Das klappte zu Beginn überhaupt nicht, der Amerikaner und der Italie­ner stiegen aus, Ille und ihr Freund übernahmen den Laden. „Nach kurzer Zeit brummte das Geschäft. Die Leute kamen aus den Dörfern bis nach Granada, um bei uns zu essen." Bis dann drei Jahre später ihr Freund plötzlich an Krebs starb. Mithilfe ihrer Mutter konnte Ille die Pizzeria noch zwei Jahre weiterbetreiben. Dann aber wollte die Mutter wieder nach Deutschland. „Ich hingegen konnte mir in dem Moment nur ein Leben in ­Spanien vorstellen." Eine Stellenanzeige in der Zeitung war schließlich die Lösung. Die Tui suchte Stewardessen für Spanien, Ille bewarb sich und kam über Umwege irgendwann nach Palma. Dort lernte sie ihren Mann, einen Mallorquiner, kennen, der zunächst Reiseleiter war und sich nach und nach zu einem einflussreichen Unternehmer im Tourismus hocharbeitete.

Ingrid Kubnick verließ ihre Heimat Fulda deutlich später. Im Jahr 1970 entschied ihr Mann, der Metzgermeister Horst Abel, deutsche Bratwürste auf Mallorca zu verkaufen. Seine Frau und der fünfjährige Sohn Dirk begleiteten Horst. Damals ahnten sie nicht, dass der Name Abel Jahrzehnte später stellvertretend für deutsche Wurstwaren auf Mallorca stehen würde. Auf der Insel kamen Tochter Alexandra und Sohn Andreas zur Welt, bevor die Ehe 1979 in die Brüche ging. Ingrid trat den Weg zurück nach Deutschland an, Horst und die Kinder blieben auf der Insel und arbeiteten weiter am Wurst-Imperium. Ingrid heiratete erneut und kam vor acht Jahren nach der Pensionierung mit ihrem zweiten Mann wieder auf die Insel. „Meine Kinder hätten gerne gesehen, dass ich früher komme, aber ich wollte warten, bis ich in Rente gehe."

Arbeiten auf Mallorca

Ziemlich schnell nach ihrer Ankunft merkten alle drei, dass man auch auf Mallorca viel arbeiten musste, um ein Auskommen zu haben. „Doppelt so viel wie in Deutschland", findet Ingrid Kubnick rückblickend. „Ich habe oft zwei Schichten gemacht." Sie und ihr Mann begannen an der Playa de Palma mit einem kleinen Geschäft und verkauften deutsche Fleisch- und Wurstwaren. „Viele deutsche Touristen waren mit dem Frühstück in den Hotels unzufrieden und wollten Wurst und Schinken. Das kannten sie aus der Heimat - und es war unsere Marktlücke."

Der Laden lief bestens, absoluter Renner war den ganzen Tag über warme Fleischbrühe. „Die haben wir für fünf Peseten pro Tasse verkauft." Peu à peu erweiterten sie das Geschäft und eröffneten nebenan eine Cafeteria. Außerdem gründete Horst Abel bereits 1970 seine Wurstfabrik im Carrer Despuig, einer Querstraße des Carrer Indústria.

„In Köln bei der DKV war ich um halb vier fertig, an der Playa de Palma stand ich von Montag bis Sonntag bis nachts um zwölf in unserem Souvenirgeschäft", berichtet Renate Pons. Der treusorgende Schwiegervater hatte der Deutschen - durchaus vorausschauend in den 60er-Jahren - an der Playa einen kleinen Laden eingerichtet, in der sie Postkarten, Zeitungen und Andenken an Urlauber verkaufte. Später sattelte Renate auf Lederwaren um, und kam sich dabei immer wieder mit Christine Ille in die Quere, die ganz in der Nachbarschaft an der Playa de Palma ebenfalls ein Lederwarengeschäft hatte. „Sie hat mir immer die Lieferanten weggeschnappt. Wir haben uns damals nicht einmal angeschaut, wir waren echte Konkurrentinnen", erzählt Christine und lacht laut los.

Fremde Sprache

Während Ingrid und Christine auf die Insel kamen, ohne ein Wort Spanisch zu sprechen, kannte Renate durch ihren mallorquinischen Mann die Sprache zumindest rudimentär. Christine lernte schnell und bewegte sich jahrzehntelang außerhalb ihres Geschäfts ausschließlich in spanischen oder mallorquinischen Kreisen. „Ich habe bis vor etwa zehn Jahren in meiner Freizeit kein Deutsch gesprochen, ich musste meine Zunge erst wieder dafür lockern", sagt sie.

Auch Renate war durch ihren Familienanschluss viel im spanischen Sprachraum unterwegs, hatte aber vor allem zu Beginn durch ihr Souvenirgeschäft an der Playa de Palma viel Kontakt mit Deutschen. Außerdem fungierte sie als Dolmetscherin, als Ingrid 1970 auf die Insel kam und zufällig zunächst in das Gebäude zog, in dem das Geschäft von Renate untergebracht war. „Vor allem bei den beiden Schwangerschaften hat sie mir sehr geholfen und mich zum Arzt begleitet. Ich wäre ja aufgeschmissen gewesen", berichtet Ingrid.

Kindererziehung und Schule

Als die Kinder dann da waren, sind sie weitgehend ohne Deutsch aufgewachsen. Zweisprachige Erziehung war damals unüblich. Heute bedauern Christine und Renate diesen Umstand. „Aber wir waren einfach so integriert in die spanische Kultur, dass es merkwürdig gewesen wäre, mit unseren Kindern Deutsch zu sprechen. Der Rest der Familie hätte nichts verstanden, was uns unhöflich erschien", sagt Christine. Es war allerdings nicht so, dass sie es nicht probiert hätten. „Ich habe eine Zeit lang versucht, mich jeden Tag eine halbe Stunde mit meinem Sohn hinzusetzen und Deutsch zu sprechen, doch er hat nur gesagt: no tengo ganas, tengo sed", berichtet Christine.

Ingrids Kinder sprechen sowohl Deutsch als auch Spanisch und Mallorquinisch. „Wobei Mallorquinisch unter Franco natürlich keinen leichten Stand hatte", erzählt Christine. Sie freut sich umso mehr darüber, dass die jungen Leute auf Mallorca heute so selbstbewusst ihre Inselsprache benutzen. „Me encanta", entfährt es ihr.

Was die Kindererziehung betraf, gab es offenbar kein besonderes Konfliktpotenzial zwischen den Kulturen. Das mag zu einem Teil auch daran gelegen haben, dass sich in dieser Zeit die mallorquinischen Männer nicht über Gebühr an der Erziehung beteiligten. Christine erinnert sich allerdings daran, dass das Thema Einschulung nicht ganz reibungslos verlief. Sie rang lange mit sich, bevor sie ihren Sohn schließlich in Sa Cabaneta, wo die Familie lebte, direkt in die Dorfschule schickte. „Eine Bekannte hatte mir vom Colegio Luis Vives in Palma erzählt, einer Privatschule. Ich bin dort mal vorbeigefahren. Da saßen dann alle Mütter in ihren Autos kurz vor Schulschluss in ihrem Nerz, und da habe ich mir gesagt: Mein Sohn soll normal aufwachsen und seine Schulfreunde im Dorf haben." Später ging er in Son Ferriol auf die Schule.

Sabina, die Tochter von Renate, besuchte die halbstaatliche Schule Madre Alberta. „Ich habe sie jeden Morgen von Sometimes, wo wir wohnten, in die Schule gefahren und nachmittags abgeholt. Unser Auto war damals morgens um 9 Uhr nahezu das einzige auf der Straße."

Die Mallorquiner

„Wärst du doch in Düsseldorf geblieben", stimmt Christine plötzlich den Schlager aus dem Jahr 1968 von Dorthe Kollo an. Ernsthaft? „Nein, um Gottes willen. Ich habe meinen Weggang nie bereut." Deutschland in den 60er-Jahren sei ein tristes Land gewesen, in dem nie gelacht wurde. „Das wurde zwar von Jahr zu Jahr besser, aber an eine Rückkehr habe ich nie gedacht."

Die Mallorquiner, das sagen sie alle drei, haben sie so schnell und herzlich aufgenommen, dass sie einen leichten Start auf der Insel hatten. Obwohl die Männer zu dieser Zeit noch richtige „Machos" gewesen seien. Nicht ihren Frauen gegenüber („das hätten wir uns nicht bieten lassen", sagt Christine). Aber in der eigenen Familie seien sie die reyes gewesen. Christines Mann war vorher mit einer Mallorquinerin verheiratet. Er klagte manchmal, wie einfach er es doch im Vergleich zur deutschen Frau mit einer Insulanerin hätte. „Er war es gewohnt, bedient zu werden, und wusste im eigenen Haus nicht, wo die Gläser standen", sagt Christine. Beklagen wollen sich Renate und Christine aber nicht: „Unsere Männer haben exzellent für uns gesorgt." Beide sind inzwischen seit Jahren tot.

Lebensstandard

Mallorca war für die drei Freundinnen in den 60er- und 70er-Jahren ein Paradies. Den Lebensstandard konnte man nicht mit dem in Deutschland vergleichen, sagt Renate Pons. „In Köln konnten wir uns keine Putzhilfe leisten, hier auf der Insel kam unsere Putzfrau jeden Tag." Christine und Ingrid hatten gar von früh bis spät ein Hausmädchen. Dazu konnten sich die Familien jedes Jahr ausgiebige Reisen leisten. „Wir sind immer im November verreist, wenn auf der Insel alles wie ausgestorben war", erzählt Christine. „Es gibt nichts, wo wir nicht waren."

Das einzig Beschwerliche seien zu Beginn die Reisen in die alte Heimat gewesen. Auf dem Flughafen musste man seinen Koffer nach dem Ausladen auf dem Rollfeld abholen. „Da gab es am Anfang nur ein Zelt statt eines Flughafengebäudes", sagt Renate. Und die Verbindungen waren schlecht. „Man konnte die Flüge nicht im Voraus buchen. Ich habe manchmal zwei Tage am Flughafen verbracht, bis es einen Flug gab, und noch Plätze frei waren", erzählt sie. In der Propellermaschine ging es gen Köln. Aber nicht für allzu lange: Daheim waren und sind sie auf Mallorca.