Man könnte sagen, Dominik Wein ist ein Lügner. Glauben Sie ihm nicht, wenn er erzählt, dass sein Ur-Ur-Großvater Alessandro Vino (1833 bis 1899) ein berühmter Maler in Italien war. Sein Ur-Großvater Marco Vino (1864 bis 1916) war kein Winzer, Großvater Maximillian Wein (1894 bis 1967) hat niemals das Buch „Der Teufel lebt in Berlin" geschrieben. Das alles hat Dominik Wein nur erfunden. In Wahrheit ist er der Maler, Buch-Autor, Weinproduzent und Erschaffer von noch viel mehr Dingen, die er angeblichen Ahnen zuschreibt. Doch Wein schwindelt nicht, um Sie übers Ohr zu hauen. Sein Stammbaum ist Kunst um der Kunst willen. Seine Geschichte handelt von Freiheit.

Kindheit auf Mallorca

Seit September 2016 hat der gebürtige Frankfurter wieder ein Domizil auf Mallorca. 1973 war er zum ersten Mal auf der Insel, seine Eltern hatten eine Urlaubs-Finca in Port de Pollenca gekauft. „Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen ist, dass ein Propeller-Flugzeug über einem Strand Süßigkeiten für Kinder abgeworfen hat", sagt Wein. Schon bald waren die bunten Tage auf Mallorca erst einmal vorbei. Als er sieben Jahre alt war, zogen seine Eltern mit ihm nach Südafrika, hinein in das schwarz-weiße System der Rassentrennung. Bis 1994 herrschte in dem Land Apartheid.

„Meine Mutter arbeitete in Johnannisburg als Hotelmanagerin", sagt Wein. „Südafrika kann wunderschön sein, die Landschaften sehen zum Teil aus wie auf Mallorca. Ich hatte eine Kindheit mit Lagerfeuern im Busch, viel Sonne und herzlichen Menschen." Doch je älter er wurde, desto größer wurden die Schattenseiten. „Man durfte den Mund nicht aufmachen, in der Schule hatte ich große Probleme", so Wein. Hiebe auf den Po mit einem Bambusstock waren keine Seltenheit. 13 Mal musste er bis zu seinem Highschool-Abschluss die Schule wechseln, auch weil seine Eltern häufig umzogen. Im Unterricht bereitete ihm das Schreiben Schwierigkeiten. Schon bald stellte sich heraus, das er Legastheniker war, seine Wahrnehmung unterschied sich von der seiner Mitschüler. Wein dachte in Bildern. Um nicht den Anschluss in der Klasse zu verlieren, bediente er sich zum ersten Mal in seinem Leben eines Kunstgriffs.

Sein Trick, um zu lernen

„Um Geschichte zu lernen, habe ich Collagen gemacht. Den Überfall Hitlers auf Polen habe ich gemalt, Fotos zu den Daten auf die Zeichnungen geklebt, um sie zu verinnerlichen." So schaffte er es, keine Klasse wiederholen zu müssen. Die Collagen haben ihn nie mehr losgelassen. „Im Grunde mache ich das noch heute", sagt Wein.

Nach seinem Abschluss begann er Ende der 80er-Jahre ein Design- und Management-Studium in Johannesburg. Er fertigte weiter seine Collagen an, sprühte aber auch Graffitis und malte mit Ölfarben. „Ich wollte mich schon damals nicht in meinem Stil festlegen", sagt Wein. Eines Tages übernachtete eine Filmcrew im Hotel der Eltern und kaufte ihm ein Ölgemälde von William Shakespeare ab, sie brauchten es als Requisite. Wein durfte das Team am Set besuchen und war von da an vom Film fasziniert.Auf nach Hollywood

Geschichten in bewegten Bildern erzählen war noch besser als Collagen. Er versuchte sein Glück in Hollywood, jobbte in Los Angeles als Nachtportier, nahm schlecht bezahlte Aushilfsjobs an, um mit den Studios Kontakte zu knüpfen - ohne wirklich voranzukommen. Nach ein paar Monaten gab er auf, kehrte nach Deutschland zurück. „Ein Freund hatte in München ein Studio für Bildverarbeitung mit Mac-Computern. Die durfte ich am Wochenende benutzen." Weins Idee: digitale Collagen entwerfen und verkaufen. „Das war Anfang der 90er-Jahre, wo noch niemand wusste, was Photoshop ist", sagt er. Die digitale Kunstzeitung „Pablo" wurde auf ihn aufmerksam, veröffentlichte eines seiner Werke. „Von da an konnte ich immer mehr Aufträge an Land ziehen. Das ging so weit, dass ich Titelseiten für Magazine wie den ´Focus´ entworfen habe." Werbeagenturen engagierten den Künstler, er machte sich einen Namen in der Branche, der FC Bayern gehörte zu seinen Kunden.

„Mit 33 hatte ich alles, was ich wollte. Nur meinen Traum vom Filme­machen, den drohte ich zu verlieren." Dominik Wein schrieb sein erstes Drehbuch. In „Circumstances" (Umstände) heuert ein Hollywood-Produzent einen arbeitslosen Schauspieler an, um für eine Reality-Show eine Bank auszurauben. Was der Schauspieler nicht weiß: Der Banküberfall ist echt €Freud und Leid

Auf eigene Kosten produzierte Wein einen Trailer in der Hoffnung, damit Geld von der Filmförderung zu bekommen. Fehlanzeige! Wohin er auch ging, stieß er auf Ablehnung. Begründung: Ihm würde der Abschluss einer Filmhochschule und Erfahrung fehlen. Enttäuscht zog Wein 2007 nach Berlin.

Hier hatte er finanziellen Erfolg damit, dass er mit Ölfarben gemäldegroße Fotos nachzeichnete, die den Alltag in Großstädten zeigten. „Sieht schön aus, ist künstlerisch aber eher langweilig", sagt Wein. Er probierte eine weitere Filmidee aus, schrieb die Geschichte: „Der Teufel wohnt in Berlin", basierend auf der urbanen Legende, dass im Pergamonmuseum das Böse haust. Wieder wollte keiner den Film produzieren. Doch diesmal sollte die Geschichte nicht in der Schublade enden. Wein machte ein Buch daraus. „Als Legastheniker viel zu schreiben, ist wirklich harte Arbeit", sagt Wein.

Die zündende Idee

Er schlug Galeristen vor, das Buch zusammen mit seinen Bildern auszustellen. Sie lehnten ab. Wein solle sich weiter auf seine Kunst konzentrieren, die hätte Wiedererkennungswert. So bediente er sich zum zweiten Mal in seinem Leben eines Kunstgriffes. „Was wäre, wenn nicht ich das Buch geschrieben hätte, sondern mein Großvater?", überlegte Wein. Dann könnte er Bilder von Teufel und Engel malen und alles zusammen ausstellen. Und da er gerade in Italien unterwegs war, fügte er der Geschichte noch einen italienischen Maler namens

Alessandro Vino hinzu, sein angeblicher Ur-Ur-Großvater. „Ich wollte schon immer im Stil des

19. Jahrhunderts malen €", so Wein. Um das Vorhaben zu testen, verschickte er E-Mails an Freunde und Bekannte: Ich habe herausgefunden,­ dass mein Opa ein Buch geschrieben hat! Die Reaktionen: Glückwunsch, toll, spannend. „Keiner stellte Fragen, ob die Geschichte auch stimmt."

Der Stammbaum wächst

Von der Idee, des künstlerisch gestalteten Stammbaums waren die Galeristen begeistert. „Und ich konnte verschiedene Stile auf einmal ausstellen, war frei in meinem Gestalten", sagt Wein. Anfang Dezember 2010 waren das Teufels-Buch, dazu Bilder und erste Gemälde von Alessandro Vino in Weins erster „History"-Ausstellung in der „Platoon Cultural Development" in Berlin zu sehen. Weins Stammbaum begann zu wachsen und verzweigte sich.

„Alessandro Vinos große Liebe war Isabella. Er malte ihr erstes Treffen am Strand. Als Isabelle schwanger wurde, heirateten die beiden", erzählt Wein. Doch Alessandro wollte sich voll und ganz der Kunst verschreiben. Frau und Kind passten nicht in sein Leben. Sie trennten sich, Isabella ging zurück in ihr italienisches Heimatdorf Tellaro. Alessandro verbrachte einen Winter auf Mallorca, um zu malen. Hier hatte er 1873 eine Affäre mit Maria Camps Mata, Tochter eines Oliven-Farmers aus Santa Maria. Alessandro verließ Mallorca, ohne zu wissen, dass Maria schwanger war. In ihrer Not heiratete sie den Apotheker in Santa Maria, Antoni Bestart Calafat.

Zurück auf der Insel

„Die Mallorca-Wendung in der Geschichte hat damit zu tun, dass ich eine Wohnung in Santa Maria habe", sagt Wein. Die historische Apotheke gibt es wirklich, am Plaça de la Vila. In ihr stellte Dominik Wein die Geschichte aus. Im Restaurant Can Pulit gegenüber hängt noch heute ein Gemälde von Maria, auf dem Tresen stehen Rotwein-Flaschen der Familie Vino und eine sagenhafte Haut-Creme, hergestellt von einer gewissen Lucia Bestart Camps: The Magic of Lucia.

„Lucia war die Tochter von Alessandro und Maria und wurde die jüngste Apothekerin ihrer Zeit", sagt Wein. „Später verliebte sie sich in einen Fotografen aus Barcelona, mit dem sie 1914 in die USA auswanderte. Sie hatten sieben Kinder, sieben weitere Geschichten, die erzählt werden wollen."

Weins Gemälde kann man kaufen, einige kosten 4.000 Euro. Die von ihm produzierten Rotweine, deren Etiketten kleine, abtrennbare Kunstwerke sind, gibt es ab 35 Euro. Die Haut-Creme dagegen nur als Geschenk. „Das alles ist ein neues Genre", sagt Wein. „Manche nennen es Konzeptkunst, ich sehe die Arbeit eher als Collagen an." Und da sich das Gesamtwerk nicht von selbst erzählt, hat er einen Plan gefasst.

Seine Pläne

„Von Anfang an habe ich den Schaffensprozess auf Video festgehalten", sagt er. Das gesammelte Material will er zu einer Dokumentation zusammenfassen. „Vielleicht könnte man ihn auf dem Evolution! Filmfestival auf Mallorca zeigen", so Wein. Wer weiß, vielleicht wird dafür eine seiner Tanten zu einer Dokumentar-Filmerin.

Es gab auch eine Zeit, da wuchs Wein der Stammbaum buchstäblich über den Kopf. „Fast jeder Charakter hatte eine Facebook-Seite, die ich pflegen musste", sagt er. Da gab es noch eine Tante, die Limonade herstellte. Einen Boxer, der im Ring starb, einen Modedesigner in London, einen DJ in New York und zuletzt Kim Wein, die Street-Art machte.

„Die Facebook-Seiten habe ich inzwischen aufgegeben", sagt Wein. Er wohnt zwar noch in Berlin, verbringt aber mehr und mehr Zeit auf Mallorca. „Ich habe gerade angefangen, eine neue Art von Bildern zu malen, sie haben Bubbles", sagt er. Die Bubbles ähneln Seifenblasen und wirken auf der Leinwand wie Wassertropfen.

Und dann ist es irgendwie passiert. Zum ersten Mal seit sieben Jahren hat Dominik Wein seinen eigenen Namen unter eines seiner Kunstwerke geschrieben.

Nächste Ausstellung auf Mallorca

12. bis 21. Mai 2017, History Exhibi­tion, „Magic Lucia", Livingdreams Mallorca, Placa Hostals, 19, 07320 Santa Maria Del Cami