Miguel Ángel García ist seit ziemlich genau zehn Jahren das Gesicht des staatlichen spanischen Fernsehsenders TVE in Berlin. Regelmäßig analysiert der Nordspanier vor dem Hintergrund des Regierungsviertels die deutsche Aktualität. Neben Deutschland ist er für ganz Skandinavien und Osteuropa sowie Österreich und den deutschsprachigen Teil der Schweiz zuständig.

War Berlin Ihr Wunschziel?

Nein, ich wollte Auslandskorrespondent sein, egal wo. Ich konnte kein Wort Deutsch, als ich hier anfing.

Sie haben schon deutsche Angewohnheiten angenommen. Man hört, Sie fahren hin und wieder mit dem Rad zur Arbeit.

Ich fahre jeden Tag mit dem Rad ins Büro. Und das sind immerhin achteinhalb Kilometer einfach. Ich habe mir jetzt ein Elektrorad zugelegt, und nur wenn es wirklich schneit oder stürmt, nehme ich die U-Bahn oder ein Carsharing-Angebot.

In einem Interview mit einem spanischen Medium kritisierten Sie die Scheinheiligkeit der deutschen Medien. Was meinten Sie damit?

Ist Ihnen noch nicht aufgefallen, dass deutsche Medien das Wort Korruption nie mit Deutschland verbinden? Hierzulande spricht man von Steuerhinterziehung, Geldwäsche oder sonst was. Es werden immer irgendwelche technischen Begriffe herangezogen, die sicherlich nicht falsch sind. Aber ist von Südeuropa die Rede, wird immer sofort von Korruption geschrieben. Die Deutschen sprechen von sich positiv. Klar, jeder weiß, dass Spanien Leichen im Keller und sogar im Straßengraben hat. Die sind sichtbar. Aber ich bin sicher, dass sich hinter der Tür der guten schwäbischen Hausfrau und erst recht in österreichischen Kellern genauso viele Leichen verbergen.

Wie steht es um den Topos, dass die Deutschen mehr arbeiten als die Spanier?

Eine glatte Lüge! In Berlin sagt man freitags um 11 Uhr „Schönes Wochenende", während sich die Leute in Spanien bis spät in die Nacht und am Wochenende den A? aufreißen. Entschuldigen Sie die Wortwahl. Die Deutschen verkaufen sich nur besser. In Spanien wird immer über die Siesta geschrieben. Aber wer macht denn Siesta? Der arbeitslose Andalusier vielleicht, wenn es in Sevilla 40 Grad hat. Bei mir in Berlin gibt es eine Hausordnung, die von 14 bis 16 Uhr eine Ruhezeit vorschreibt. In Deutschland ist die Siesta obligatorisch! Aber das schreibt niemand.

Dafür läuft in Deutschland manches aber verlässlicher ab.

Ich weiß ja nicht, wie das im Rest von Deutschland ist, aber wer nach Berlin mit dem Konzept des zuverlässigen, pünktlichen Deutschen im Kopf kommt, der ist verloren. Ich habe nirgends mehr Unpünktlichkeit, mehr kleine Betrügereien, mehr Lügen als in Berlin gesehen, vor allem bei Telefonfirmen. Berlin ist in mancherlei Hinsicht schlimmer als Marokko. Auch, was die Digitalisierung betrifft. Schauen Sie, unser Büro ist gegenüber des Reichstages und des Kanzleramts. Zentraler geht nicht, aber mein Internet im Büro ist maximal 15 Megabytes pro Sekunde schnell. In Riga gibt es an jeder Straßenecke Gratis-WLAN, in meiner Wohnung in Berlin habe ich in den meisten Räumen gar keinen Empfang. Wenn Angela Merkel immer von der digitalen Agenda spricht, kann ich nur lachen. Dieses Land hat ein ernstes Problem in Sachen Infrastruktur, übrigens auch beim öffentlichen Nahverkehr oder den Schulen.

Ein Thema, das Sie wie uns sehr bewegt, ist der Rechtsruck in Deutschland und in Europa im Allgemeinen. Wie nehmen Sie das in Deutschland wahr?

Für Deutschland sehe ich keine Gefahr. Das ist eine zivilisierte Bevölkerung, in jedem Land gibt es eine kleine Minderheit von Nazi-Sympathisanten. Die AfD beispielsweise hatte in den vergangenen Monaten schon mal 14 Prozent in den Umfragen, jetzt ist sie bei der Hälfte. Wenn es derzeit ein stabiles Land in Europa gibt, dann ist das Deutschland. Der ganz großen Mehrheit ist klar, dass die AfD keine Alternative ist. Mir bereitet aber große Sorgen, dass der rechtsextreme Sprachduktus salonfähig geworden ist und jeden Tag im Fernsehen rechte Politiker auftreten, die alte Nazi-Ideen verbreiten.

Sehen Sie einen Wandel in der deutschen Gesellschaft?

Nicht unbedingt. Es sind aber diejenigen vom Sofa aufgestanden, die dort lange Zeit gesessen haben. Die hört man jetzt lauter. Das sind größtenteils Leute, die den Anschluss an unsere globalisierte Welt verloren haben. Es gibt aber auch eine kleine Gruppe von durchaus Gebildeten, die sich in der äußersten rechten Ecke tummeln.

Ist die Gefahr eines deutlichen Rechtsrucks in Frankreich oder den Niederlanden größer?

Keine Frage. Hier besteht ja ein reelles Risiko, dass sogar Nazis an die Regierung kommen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es gerade diese beiden Länder waren, die die gemeinsame EU-Verfassung ablehnten. In Frankreich ist das größte Problem, dass die Sozialdemokratie völlig zerbröckelt ist. Zu einem Teil ist das ja auch in Deutschland passiert. Den Platz hat Angela Merkel mit der CDU eingenommen. Und jetzt hat sich eben rechts davon die AfD reingedrängt. Das ist eine normale Entwicklung.

Im September ist Bundestagswahl. Welche Prognose geben Sie ab?

Hätten Sie mich vor zwei Monaten gefragt, hätte ich gesagt, Merkel ist alternativlos. Das sehe ich mit dem Schulz-Effekt inzwischen anders, auch wenn es diesen Effekt bisher nur in Umfragen gibt. Im Saarland war der Kramp-Karrenbauer-Effekt dann doch stärker. Die Grünen befinden sich im freien Fall und laufen Gefahr, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Das ist natürlich vor allem für eine mögliche rot-rot-grüne Koalition bedenklich. Ich glaube deshalb zurzeit trotzdem an einen Merkel-Sieg.

Ist eine erneute Merkel-Regierung gut für Deutschland?

Politische Wechsel sind gut. Zwölf Jahre Merkel ermüden ganz schön. Regierungen, die sich mehr als acht Jahre halten, kommen mir verdächtig vor. Das Land braucht neuen Schwung. Es gibt zwar statt fünf nur noch zweieinhalb Millionen Arbeitslose, dafür aber acht Millionen Arme. Das muss jemand in Ordnung bringen.