Wer die geräumige Werkstatthalle von Ralf Stüsser auf Mallorca betritt, der bemerkt schnell: Hier ist ein Deutscher am Werk. Unzählige kleine Schublädchen, alle mit feiner Handschrift markiert, sorgen für jene Ordnung, die den Deutschen so gern nachgesagt wird. „Jede Schraube hat ihren Platz", sagt Stüsser und grinst.

Trotz seines ausgeprägten Ordnungssinns und seiner Korrektheit - Stüssers Erscheinung ist alles andere als spießig: langes, zu einem Zopf zusammengebundenes Haar, Dreitagebart, schwarzes Schlabber-T-Shirt, Jeans und Cap. Alles andere würde auch nicht in das Metier passen, dem sich der 54-Jährige widmet. Er ist Kfz-Elektrikermeister, staatlich geprüfter Kraftfahrzeugtechniker und führte mehr als 20 Jahre lang eine Harley-Davidson-Werkstatt in der Nähe von Köln. „Wir hatten rund 200 feste Kunden, es lief gut." Trotzdem entschied er sich zusammen mit seiner Frau Corinna und Hund Manfred, Deutschland zu verlassen - oder vielleicht auch gerade deshalb. „Wir hatten sehr viel Stress, einen riesigen Bekanntenkreis und wenig Zeit für uns."

Und so hieß es vor einem halben Jahr Auswandern im Großformat, denn die komplette Werkstatt und die zwei eigenen Harley-Davidson-Maschinen des Paars mussten natürlich auch mit, als es gen Mallorca ging. Die Insel sei toll, auch, weil auf das Wetter Verlass sei, sagen die Rheinländer. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Ausgerechnet an ihrem Umzugstag am 19. Dezember gab es ein Unwetter in Spanien und auf den Balea­ren. Fast wäre die Fähre in Barcelona wegen des Wellengangs nicht losgefahren, fast hätten sie nicht all ihre Sachen aus dem 7,5-Tonner-Lkw mit ebenso schwerem Anhänger bekommen, weil auf ihrer neu erworbenen Finca zwischen Felanitx und Porreres alles unter Wasser stand. Aber eben nur fast.

Deutsche Privatfernsehsender hätten ihre Freude beim Dreh gehabt. „Tatsächlich haben Vox und RTL bei uns angefragt und wollten unsere Auswanderung filmen", berichten die Stüssers. Aber sie lehnten ab. „Sich vor der Kamera zum Deppen zu machen, muss nicht sein." Heute können sie über das kleine Umzugsdrama lachen. „Es war auf jeden Fall ein Abenteuer, das wir nicht vergessen werden."

Positiv denken, das ist etwas, das Ralf und Corinna Stüsser zu eigen scheint - auch, wenn ihrem Neustart auf Mallorca etwas Essenzielles fehlt: die Kunden. 20.000 Euro haben sie allein in die Umgestaltung der 400 Quadratmeter großen Halle am Rand des Inseldörfchens Petra gesteckt, die sie im Frühjahr bei ihrer mühseligen Suche nach einem geeigneten Standort für die neue Werkstatt entdeckten. Seit dem 1. April ist der Betrieb unter dem Namen „Custom ­Schmiede" geöffnet, doch zu tun hat Ralf Stüsser bisher nicht viel. „Uns war klar, dass es dauern wird", sagt er. Jeden Sonntag nehmen er und Corinna mit ihren Harleys an den Touren teil, die vom HOG-Club Palma angeboten werden. Aus Liebe zum Fahren und um potenzielle Kunden kennenzulernen.

„Es gibt rund 2.000 Harley-Davidson-Maschinen, die fest auf der Insel sind, hinzu kommen die der Touristen", sagt Ralf Stüsser. Er hat sich schon vor der Auswanderung über die Situation auf der ­Insel schlaugemacht und weiß, dass es zwei Konkurrenzwerkstätten gibt: eine in Palma und eine in Cala Ratjada. „Wir liegen mit ­unserer jetzt genau dazwischen, das ist gut", so Stüsser. Außerdem ist er auf die Programmierung und Überarbeitung von Einspritzanlagen der Bikes spezialisiert, also darauf, den Motor zu optimieren, wenn Abgasanlagen oder Luftfilter verändert wurden. „Ein Alleinstellungsmerkmal", hofft er.

Unter einem gewissen Druck stehe man natürlich, ewig ­reichen die finanziellen Rücklagen nicht aus. Doch die Stüssers sind nicht zimperlich: Corinna, die in Deutschland im Büro der Firma ihres Mannes arbeitete, füttert nun für ein bisschen Geld Katzen und tritt bald einen Job als Haushaltshilfe an, um etwas dazuzuverdienen. „Na klar", sagt sie unbekümmert, „wir wussten ja, was auf uns zukommt und dass ein Neustart nicht leicht ist."

Ralf Stüsser kann sich vorstellen, etwas anderes zu machen, wenn sein Unternehmen tatsächlich nicht funktionieren sollte. „Dann mache ich etwas mit Booten oder übernehme Hausmeistertätigkeiten", sagt er. „Aber so weit sind wir noch lange nicht."

Nur eines sei keine Option: zurück nach Deutschland zu ziehen. Zu gut gefielen ihnen die Insel, das Klima und vor allem die Leute. „Wir lernen fleißig Spanisch", sagt Corinna. „Und hier in der Werkstatt hilft uns das hier ?", fügt sie hinzu und hebt grinsend eine Vokabel­liste hoch. Wörter wie Luftfilter (filtro de aire) und Zündkerze (­bujía) stehen darauf. „Das Schönste für uns ist, wenn uns die Spanier anerkennen. Bisher haben wir nur richtig gute Erfahrungen mit den Einheimischen gemacht." Vor allem mit dem Vermieter ihrer Finca. „Das hat sofort gepasst." Leidenschaft verbindet eben: Auch er hat eine Harley-Davidson.