Hinweis: Dieser Artikel ist erstmals im Juli 2017 in der "Mallorca Zeitung" erschienen.

Früher brauchte Ikke Hüftgold keine Perücke, um bekloppt auszusehen. 1995 hat er sich einfach die Haare lang wachsen lassen, hat mit seiner Heavy-Metal-Band „Tuchers Garage Days" Dosenbier im Limburger Park gesoffen und abends ins Mikrofon gerülpst.

Das macht der Hesse heute noch. Also ins Mikrofon rülpsen. „Bleibt ja gar nicht aus, wenn man während des Auftritts Bier trinkt", sagt er. Ikke Hüftgold alias ­Matthias Distel (40) liebt es, zu provozieren. „Bloß nicht im Mittelmaß landen", sagt er. Ikke Hüftgold betrachtet er als eine Satire-Figur, in die er schlüpfen kann. Die Perücke hilft ihm dabei.

Sein Ritual

Seit neun Jahren hegt und pflegt er das fransige Stück Kunsthaar, „Wenn ich nach Hause komme, shampooniere ich sie unter dem Wasserhahn." Reine Handwäsche. Ein Ritual. Sie trocknet dann am Hahn. Früher hatte er mal vier davon. „Zwei gingen im Suff verloren, eine wurde geklaut." Nachkaufen könne man die Toupets nicht. Den Berliner Online-Shop, wo er die vier für 170 Euro pro Stück erstanden hat, gibt es nicht mehr. „Finde mal eine Perücke, die dir nicht vom Kopf fliegt und nach 600 Auftritten noch genauso scheiße aussieht." Probleme eines Ballermann-Künstlers.

Wir treffen Ikke Hüftgold an der Playa, er kommt gerade von seiner Finca, eigentlich wohnt er noch in Hessen. Party-Urlauber sehen ihn. Sie kommen und wollen aufs Foto, bringen Bier mit, werfen sich in den Sand. Ikke lächelt. „Früher habe ich gedacht, ich bekomme mal was auf die Schnauze. Ist aber nie passiert." Ärger gibt es nur von den Anwälten, wenn ihn Helene Fischer, die Toten Hosen oder die Böhsen Onkelz verklagen, weil er deren Lieder „verballermanisiert hat". Man hat sich immer einigen können.

Gar nicht nett

Nach unserem Foto am Strand laufen wir zu seinem Auto, damit er seine Kopfbedeckung in ­Sicherheit bringen kann. Am Ballermann 6 brüllt jemand, „Ikke Hüftgold!", plötzlich singen alle Männer wie auf Kommando: „Timo Werner ist ein Hurensohn." Zurzeit das Ding an der Playa, beleidigender geht es kaum. Seit Fußballspieler Timo Werner öffentlich eine Schwalbe zugegeben hat, grölen die Massen diesen Satz.

Das Phänomen ist unter den Künstlern am Ballermann umstritten. Ikke Hüftgold befeuert es. „Der Ursprung wird mir unterstellt", sagt er. Niemand weiß, wer wirklich damit angefangen hat. Aber Ikke Hüftgold hat es in seine Show aufgenommen. „Ich singe ,Imo Erner ist kein Uhrensohn'. Was die Leute daraus machen, ist ihr Problem." Er grinst, grüßt seine Fans und geht weiter.

Wir kommen am Megapark vorbei. „Mit Perücke darf ich hier nicht rein", erzählt er. Es drohe sonst eine Konventionalstrafe. Der Bierkönig habe ihn groß gemacht, die beiden Lokale konkurrieren miteinander. Trotzdem schaut er immer wieder im Megapark vorbei. Als Matthias Distel darf er das. Schließlich kommt einer der ganz großen Megapark-Stars aus seinem Stall.

Ikke Hüftgold hat Lorenz Büffel mit dem Ballermann-Hit „Johnny Däpp" auf die Bühne gebracht. Mia Julia („Wir sind Malle"), Sabotage („Wir müssen aufhören weniger zu trinken"), Willi Herren („So gehen die Gauchos"), Rick Arena („Alster ist kein Alkohol") und auch Peter Wackel singen Songs, die aus dem Firmenkonsortium Summerfield Music/Labels/Booking/Records stammen, das ihm zusammen mit dem Produzenten Dominik de Leo gehört. Ikke Hüftgold macht nicht nur Quatsch auf der Bühne, er verkauft ihn auch.

Er wollte Kohle machen

Angefangen hat alles 2008. „Ich wollte mit Musik Geld verdienen. Meine Band Skarabäus hatte sich gerade aufgelöst, ich saß im Studio und habe ein Kinderhörspiel produziert." Da schlug ein Kumpel vor: „Mach doch mal was Asoziales, schreib einen Ballermann-Song." Niemals, das sei doch das Letzte, der Abschaum der Musik, habe er geantwortet, woraufhin der Kumpel Kai Sommerfeld (daher auch der Name Summerfield Music) meinte, dass er das wahrscheinlich auch gar nicht könne. „Fahr zur Tanke, hol zwei Kisten Bier, und wenn du wieder hier bist, habe ich den ersten Song fertig", habe er geantwortet.

Es dauerte zwar ein bisschen länger, aber 48 Bier später war das erste Lied im Kasten. „Nur singen wollte es keiner, also musste ich es machen. Aber ich hatte einen Ruf als Rockmusiker zu verlieren. Also habe ich mir die Pe­rücke bestellt." Aus Matthias wurde Ikke, der Name stammt von einem früheren Punk-Song. „Nur ohne Nachname wollte ich nicht auf die Bühne", das sei ja „halbschwul, da hat Dominik auf meinen Bauch gezeigt und Hüftgold gesagt."

Auf dicke Hose machen

Zu ihrem Song produzierten sie recht aufwendig ein Video, stellen es ins Internet. „Plötzlich hat sich Peter Wackel bei uns gemeldet. Ich hatte keine Ahnung, wer das ist." Doch Wackel fand das Video gut, man traf sich im McDonald's von Limburg und machte auf dicke Hose. Zwei Songs würden Wackel noch zu seinem neuen Album fehlen, so der Sänger. Innerhalb von zwei Tagen könne man liefern, versprach Distel. Gesagt, getan. Wackel war so begeistert, dass er Distel zum Opening des Bierkönigs einlud und versprach, ihn für ein Lied auf die Bühne zu holen. Die Chance!

„Um vor dem Auftritt richtig Promo zu machen, habe ich Postkarten mit dem Namen des Songs 'Mein kleines Pony' gedruckt. Auf der Rückseite stand 'heute schon geritten?' und zum Ankreuzen ja, nein, vielleicht. Dazu haben wir ein Kondom auf die Karte getackert, und zwar so, dass es kaputt war", sagt Distel. Und er habe Schnaps ausgegeben. Viel Schnaps. „Als ich dann auf die Bühne durfte, haben mich 200 Leute vom Vortag gefeiert. Beim nächsten Opening durfte ich drei Lieder singen." Und er schrieb Lied um Lied. „Man muss mir nur ein paar Schlagworte zurufen, und ich mache einen Song daraus."

Ikke summt seine Ideen ins Telefon

Noten lesen könne er nicht. „Melodien summe ich in mein iPhone. Den Einfall zum Mia-Julia-Hit 'Wir sind Malle' hatte ich auf dem Klo. Es kann auch sein, dass ich mal ein Gespräch abbreche, weil ich eine Songidee habe." Nebenbei besitzt er einen Gartenbaubetrieb mit 25 Arbeitern. Dazu kommen noch die 150 Auftritte, die er jährlich abreißt. Das schlaucht. „Irgendwann wird Ikke einen Abgang machen. Aber das sage ich schon seit zwei Jahren."

Ziele? „Mia, Büffel oder Ikke müssen den Eurovision Song Contest gewinnen. Auf jeden Fall würden wir mit den Stimmen aus Spanien nicht auf dem letzten Platz landen."

Pläne? „Zum diesjährigen Opening habe ich Tom Gerhardt auf die Insel geholt. Ein Traum wäre es, den zweiten Teil des Kinofilms ,Ballermann 6' zu drehen. Tom sitzt am Drehbuch. Der Spaß würde allerdings sechs bis acht Millionen Euro kosten."

Der Traum des Ikke Hüftgold ist der Albtraum für die Mallorquiner, die dem zweiten Teil der Proleten-Komödie wohl keine Drehgenehmigung erteilen würden. Ikke Hüftgold grinst. „Unter Druck kann ich am besten arbeiten", sagt er.