Es ist schon eine Ewigkeit her, als Sebastià Roig i Montserrat zum ersten Mal mit Russland in Berührung kam. „Ich arbeitete 1985 im Innenministerium der Balearen unter dem damaligen Ministerpräsidenten Gabriel Canyelles", so der jetzt 64-jährige Mallorquiner zur MZ. Der Politiker und Klein-Verleger nutzte die Gelegenheit, als Mitglied einer Delegation der Landesregierung offiziell die damalige Sowjetunion zu besuchen. „Wir wurden permanent bewacht und durften nicht aus Moskau heraus", erinnert er sich. 32 Jahre nach dieser Reise erhielt Sebastià Roig am 11. Juli im Regierungssitz Consolat de Mar in Anwesenheit des russischen Botschafters in Spanien, Yuri Konchagin, und von Ministerpräsidentin Francina Armengol (Sozialisten) die Ernennungsurkunde zum ersten Honorarkonsul des Riesenlandes überhaupt auf den Balearen.

Wäre am 26. April 1986 nicht der Atomreaktor von Tschernobyl explodiert, wäre Roigs Russland-Trip von 1985 womöglich lediglich eine Anekdote in seinem Leben geblieben. Doch ein viel intensiveres Erlebnis mit russischen Menschen rührte Sebastià Roig so sehr, dass er sich mit der Zeit in jenes Land geradezu vernarrte: „Nach der Katastrophe lud die Balearen-Regierung 60 teils verstrahlte Ärzte und Militärs nach Mallorca ein, die sich an der Konstruktion des sogenannten Sarkophags beteiligt hatten", sagt der Politiker, der schon seit Jahrzehnten auch einen kleinen Verlag in seinem Heimatort Campos mit eigener Druckerei betreibt. „Meine Aufgabe war es, mich um sie zu kümmern." Dabei kam es, wie sich Roig erinnert, mitunter zu herzzerreißenden Szenen. „Wir weinten damals viel." Aus ­Mitgefühl ließ Roig die Frachträume des Aeroflot-Jets, mit der die Gäste zurück in ihre Heimat flogen, mit Sóller-Orangen füllen - eine Frucht, die in dem von Mangel geprägten damaligen kommunistischen Riesenreich eine absolute Rarität war.

Es entstand ein immer intensiverer Kontakt. Mit viel Hingabe und Anstrengung erreichte Sebastià Roig in den Jahren danach, dass immer wieder kranke russische Kinder oder Waisen aus entlegenen Städten wie Tomsk, Murmansk oder Krasnojarsk auf die Insel geflogen wurden, auf dass sie hier einige Zeit unbeschwert Ferien machen konnten. Dabei arbeitete er mit der in Andorra ansässigen NGO „Infants del Món" („Kinder der Welt") zusammen. Den guten Menschen von Campos rührte dieses Engagement so sehr, dass er einen beinlosen Jungen namens Sergej adoptierte. Er flog immer öfter in den osteuropäischen Staat, lernte neue Freunde kennen und verwandelte sich mit der Zeit in so etwas wie einen Wahl-Russen.

Inzwischen zu einem jungen Mann geworden, nahm Roigs Adoptivsohn Sergej im vergangenen Jahr als Mitglied des spanischen Nationalteams an den paralympischen Segel-Wettbewerben in Rio de Janeiro teil. „Ein Jahr zuvor war er bei der Weltmeisterschaft in Kiel Fünfter geworden", sagt der Neu-Diplomat.

Wenn Roig nicht gerade das Familienleben mit seinem Adoptivsohn pflegt, widmet sich der Kleinverleger in seinem Wohnhaus mit Meerblick in Sa Ràpita seinen Büchern.

Seine Beschäftigung mit Büchern will sich der inzwischen 64-jährige Sebastià Roig trotz des neuen Jobs nicht nehmen lassen. Einige Stunden dafür in der Woche hatte er sich bei den Gesprächen mit Yuri Konchagin ausdrücklich frei gehalten. „Zuletzt verlegte ich einen Band mit alten Fotos von Mallorca", sagt er. Demnächst will er ein Werk verbreiten, das sich mit dem von Seeleuten benutzten altkatalanischen Vokabular in dem 1490 erschienen Ritterroman „Tirant lo Blanc" von Joan Martorell und Martí Joan de Galba beschäftigt. Ansonsten konzentriert er sich auf Kochbücher und Romane.

Doch jetzt hat natürlich die Arbeit als Honorarkonsul Vorrang für Sebastià Roig i Mont­serrat. Die hatte er - wie er sagt - ausdrücklich nicht gesucht, sondern sie wurde ihm von Konchagin, den er schon seit 2014 kennt, im vergangenen Jahr angetragen, obwohl es eine größere Zahl anderer Bewerber gab. „Wegen der Sommerferien gestaltete es sich in den letzten Wochen nicht einfach, unser Büro am Passeig Mallorca 14 einzurichten", sagt Sebastià Roig. „Doch am 1. September können wir endlich loslegen." Moskau habe es für nötig befunden, dieses Honorarkonsulat - das dritte neben Valencia und Sevilla - einzurichten, „weil ja etwa 9.000 Russen ständig auf den Balearen leben". Außerdem erwarte man nach schwächeren Jahren infolge des Konfliktes von Russland mit der Ukraine und des Rubel-Wertverfalls gegenüber dem Euro wieder bessere Jahre im Tourismus. „Nächstes Jahr soll es erstmals eine direkte Linienverbindung zwischen Moskau und Palma mit der Staatslinie Aeroflot geben", sagt der Honorarkonsul. Bis dato gelangen die Urlauber aus dem Riesenland nur mit Charterflügen auf die Insel.

Wobei es sich bei den Russen, die sich für die Insel inte­ressieren, nicht um All-inclusive-Touristen, sondern um begüterte Menschen handelt. „Der typische russische Mallorca-Urlauber reist mit Familie, scheut große Hotels und sucht eher ruhige kleinere Herbergen", definiert Sebastià Roig die Kundschaft aus dem hohen Nordosten. „Er ist zudem kulturell sehr interessiert." Während die Russen vor allem nach Mallorca und Ibiza reisen, bleibt Menorca - „das ist ja fest in britischer Hand" - bislang noch außen vor.

Mit der feierlichen Ernennung zum Honorarkonsul ist für Roig ein Traum in Erfüllung gegangen. Der Russland-Fan ist damit, wie er sagt, ein Stück mehr er selbst geworden.