Dolça Feliu leitet beim Roten Kreuz auf den Balearen die Abteilung für soziale Inklusion. Ihr Ziel lautet: Chancengleichheit herstellen. MZ traf sie in der Zentrale in Palma de Mallorca zum Interview.

Beim Roten Kreuz denkt man als Deutscher erst einmal an Erste Hilfe und Rettungswagen.

Das ist nur ein Teilbereich von so vielen. Auf Mallorca organisieren wir Rettungsschwimmerdienste an den Stränden, wir haben eine Abteilung, die sich auf die Bedürfnisse von Jugendlichen fokussiert und dann natürlich den großen Bereich der sozialen Inklusion.

Soziale Inklusion klingt erst mal breit gefächert.

Das ist es auch. Wir kümmern uns um Obdachlose, um Menschen mit temporären sozialen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten, um Langzeitarbeitslose. Wir bieten sogar soziale Naturprojekte an. Deshalb: Wenn sich jemand freiwillig engagieren will, dann gibt es da sehr viele Möglichkeiten.

Sprechen Sie damit auch Deutsche an?

Natürlich. Wir haben sehr viele Freiwillige der verschiedensten Nationalitäten, die in unseren Standorten Palma, Manacor, Inca, Sóller, Felanitx, Alcúdia und Capdepera tätig sind und die Festangestellten unterstützen. Und es gibt auch Deutsche, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen. Oft werden Hilfsbedürftige nachher selbst ehrenamtlich tätig. Ich finde das toll, so können sie sich einbringen und etwas zurückgeben.

Also sind es nicht nur Menschen aus den typischen Brennpunktvierteln wie Son Gotleu, die hilfsbedürftig sind und sich an Ihre Organisation wenden?

Gerade, wenn es darum geht, dass Menschen ihre Miete nicht mehr bezahlen können oder keinen bezahlbaren Wohnraum finden, trifft es Menschen aus den verschiedensten Vierteln hier in Palma. Klar, vorrangig wenden sich Menschen aus den sozial schwachen barrios wie Son Gotleu oder Son Banya an uns. Aber Probleme gibt es überall und wir versuchen, jedem zu helfen, der uns darum bittet.

Stichwort Wohnungsnot: Macht sich die neue Regulierung zur Ferienvermietung positiv auf dem Mietmarkt bemerkbar?

Es ist noch zu früh, um das bewerten zu können. Da haben wir noch keine Daten.

Diese Woche wurde bekannt, dass die Zahl derer, die auf den Balearen soziale Hilfsangebote in Anspruch nehmen, im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen ist. Ist die Krise endgültig vorbei?

Also besonders groß ist der Rückgang nicht. Aber es stimmt schon. Viele, die in der Krise ihre Arbeit verloren haben, haben mittlerweile wieder einen Job gefunden. Aber oft sind die Arbeitsbedingungen und das Gehalt sehr schlecht. Deshalb: Wir merken, dass sich die Art der benötigten Hilfeleistungen verändert. Früher brauchten die Menschen Unterstützung, um über die Runden zu kommen. Mittlerweile schaffen es die Menschen häufiger, bis zum Ende des Monats, aber alle außerordentlichen Kostenpunkte wie Weihnachtsgeschenke oder Schulbücher können sie nicht stemmen. Und man muss auch sagen: Der Weg aus der Krise schreitet für die sozial Schwächsten am langsamsten voran.

Hat sich die 2016 eingeführte Sozialhilfe bewährt?

Ja, allerdings wurde sie ja zunächst nur an eine kleine Gruppe bedürftiger, also Familien mit Kindern, ausgezahlt. Aber jetzt wurde sie ausgeweitet, und das merkt man auch.

Ein immer wieder strittiges Thema ist die Frage, warum Mallorca so wenige Flüchtlinge aufnimmt, wo die Bereitschaft zu helfen in der Gesellschaft doch sehr verbreitet zu sein scheint. Das Rote Kreuz koordiniert die Integration der Flüchtlinge. Warum sind es so wenige?

Man muss differenzieren. Im April 2016 haben wir das Flüchtlingsheim an der Playa de Palma aufgemacht. Dort kommen 50 Personen unter, und es stand nie leer. Insgesamt 122 Menschen sind seit der Eröffnung dort gewesen, sie durften sechs Monate bleiben und wurden dann in Wohnungen untergebracht und weiter betreut. Insgesamt haben wir aber 234 Asylbewerbern geholfen und helfen ihnen immer noch. Auch denjenigen, die nicht über das Programm kamen, sondern von alleine.

Mittlerweile sind viele bereits in der Phase der Integration. Was ist Ihre Zwischenbilanz?

Es ist schwer, zu generalisieren. Jeder Mensch ist anders. Wir hatten viele Erfolgsfälle, manche Flüchtlinge arbeiten sogar schon und haben schnell Spanisch gelernt. Aber es gibt auch Menschen, bei denen es noch lange dauern wird, bis sie hier einen Job finden.

Nehmen Sie Probleme von Menschen, die Sie nicht lösen können, gedanklich mit nach Hause?

Ich versuche, immer konstruktiv zu denken. Klar gibt es Situationen, die sehr dramatisch und nur sehr schwer zu lösen sind. Aber es ist möglich, sie zu verbessern.

Würden Sie sich als eine ­Optimistin beschreiben?

Na ja, ich glaube einfach, es ist wichtig, an das zu glauben, was man tut. Und wir haben aus erster Hand die Möglichkeit, Menschen zu helfen, indem wir ihre Situation zumindest etwas verbessern.

Blick nach vorne: Was ist die größte Herausforderung, die in den kommenden Jahren im Sozialbereich auf die Balearen zukommt?

Chancengleichheit herzustellen. (lacht) Ja, das ist eine sehr große Herausforderung. Aber Großes erreicht man, indem man Kleines erreicht. Klar, nicht jeder nutzt seine Chancen gleichermaßen. Aber zumindest die Voraussetzungen sollten grundsätzlich gleich sein. Und wir müssen weiter kämpfen, um die Faktoren auszumerzen, die zu Ungleichheit führen.

Waren Sie schon immer eine soziale Person?

Ich würde sagen ja. Auch als ich klein war, habe ich in meinem Umfeld für die Gleichheit von allen gekämpft und dann auch immer versucht, mich einzubringen.

Jetzt können Sie Ihr Streben nach Gleichheit in Ihrem Beruf realisieren?

Ja, ich finde, es ist ein Privileg. Ich darf an etwas arbeiten, woran ich glaube, was mir wirklich gefällt. Und dann auch noch mit ganz tollen Menschen, die helfen, soziale Ziele zu erreichen.