Was schenkt man jemandem, der 80 Jahre alt wird und längst alles besitzt, was er braucht? In Binissalem hatte man da eine schöne Idee. In dem kleinen Ort in der Inselmitte werden seit inzwischen 65 Jahren jährlich zu den Festes des Vermar, dem Weinfest, die Einwohner des Ortes geehrt, die im Laufe des Jahres ihren 80. Geburtstag feiern. 2017 sollte es etwas Besonderes sein. „Wir wollten die verschiedenen Lebenswege unserer 80-Jährigen aufzeichnen und für die Familien in einem Buch festhalten", erklärt Antònia Sans, die im Rathaus von Binissalem am Empfang arbeitet und selbst an dem kleinen Büchlein als Interviewerin mitgearbeitet hat. Acht Ehrenamtliche besuchten von Februar bis April die 34 Jubilare und ließen sich aus deren Leben erzählen. Eigentlich wären es 49 Binissalemer gewesen, die in diesem Jahr ihren 80. Geburtstag feiern. „Aber nicht alle wollten mitmachen, manche waren auch nicht in der gesund­heitlichen Verfassung", erzählt Antònia Sans.

Die Interviewer bekamen von den Senioren zunächst fast immer eines zu hören: „Ich habe gar nichts Interessantes aus meinem Leben zu erzählen", wie Antònia Sans lachend berichtet. Habe man dann aber erst einmal Vertrauen gefasst, waren manche kaum noch zu

bremsen. Die Senioren kramten Fotoalben heraus und erzählten Anekdote um Anekdote. Manche Interviews hätten zwei Stunden gedauert, sagt Antònia Sans.

Der Querschnitt durch die Lebenswege der 34 Befragten könnte vielfältiger kaum sein. Da gibt es diejenigen, die in Binissalem zur Welt kamen und ihr ganzes Leben dort verbracht haben. Die, die aus einem anderen Ort der Insel etwa der Liebe wegen nach Binissalem zogen, und Exoten wie Roberto Wray, einen Engländer aus London, der inzwischen seit 1979 auf Mallorca lebt. Aufgrund einer Asthma-Erkrankung kam er als Neunjähriger in die Obhut einer Pflegerin in Calais. Sein Vater war gestorben, als Roberto noch ein Kleinkind war. Mit 14 kehrte er nach Hause zurück und stellte fest, dass seine Mutter erneut geheiratet hatte. Er floh in den Militärdienst und studierte dort Kommunikations­technik. Wray reiste nach Singapur, Indien und Australien und wurde zu einem herausragenden Segler. Später heuerte er auf einem Segelschiff als Skipper an und war vor allem im Mittelmeer unterwegs. Auf Malta lernte er seine spätere Frau Katherine kennen, mit der er dann nach Mallorca zog.

Vier der Interviewten stammen vom spanischen Festland, die restlichen 29 sind Mallorquiner. So wie etwa Pedro Vallès Pol, der mit

14 Jahren seine Lehre im Steinmetzbetrieb seiner Eltern begann. Der kleine Familienbetrieb hatte bereits 1908 die Steine für die Neugestaltung der Kathedrale von Palma durch Gaudí geliefert. Auch der Leuchtturm von Formentor oder der Schildkrötenbrunnen am Borne in Palma wurde mit dem Rohmaterial aus Binissalem gefertigt. Später wurde Pedro Vallès zum kreativen Bildhauer und fertigte kleine Wappen für den Glockenturm der Kirche in Sencelles, die Kirche in Valldemossa oder auch das Pueblo Español in Palma an.

Oder da ist die Geschichte von Catalina Costa Romaguera, Tochter eines renommierten Kochs, der bei der Bankiersfamilie March angestellt war und auch mal für den Schah von Persien kochte. Ein reicher Brite hatte ihm angeboten, mit ihm nach England zu gehen und dort als sein persönlicher Hauskoch zu arbeiten. Der Vater aber wollte die Insel nicht verlassen. Catalina Costa wuchs in Palma auf, ein Teil der Familie lebte in Frankreich. Als sie ihren Mann Tolo kennenlernte, der in Binissalem eine Eisenwarenhandlung führte, zog sie in den Weinort um. Dort war Catalina Costa aufgrund ihrer Fremdsprachenkenntnisse (Französisch und ein wenig Englisch) die erste Anlaufstelle für Ausländer, die in Binissalem ankamen.

Und wie in wohl jedem Ort der Insel gibt es auch in Binissalem andalusische Einwanderer, die aufgrund der beschränkten Arbeitsmöglichkeiten ihre Heimat verließen, um auf der Insel ihr Glück zu versuchen. María José Cruz Reyes verließ mit ihrem Mann Antonio Ramón das Dorf in der Provinz Huelva, in dem sie lebten. Weil sie auf Mallorca Bekannte hatten, verschlug es sie nach Binissalem. Dort führte das Ehepaar eine Bäckerei, eine Metzgerei und einen kleinen Lebensmittelladen.

So gibt es noch 30 weitere Geschichten von Menschen, die sich in Binissalem zur Ruhe gesetzt haben. Die Erstauflage des Büchleins ging auf Kosten des Rathauses an die Jubilare und ist bereits vergriffen. „Weil wir aber so viel positive Rückmeldung bekommen haben, wird gerade eine zweite Auflage gedruckt, die dann verkauft werden soll", erzählt Antònia Sans. Um den Jahreswechsel dürfte das auf Katalanisch erschienene Büchlein im Rathaus von Binissalem wieder erhältlich sein.