Margot Käßmann, von 2009 bis 2010 Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hat ein anstrengendes Jahr hinter sich. Als Botschafterin für das Reformationsjubiläum häufen sich die Veranstaltungen. Ihr Weg führt sie auch nach Palma, wo die Theologin am Sonnabend (14.10.) im MZ-Club aus ihrem Buch „Sorge dich nicht, Seele" lesen und Tags drauf die Predigt bei einem ökumenischen Gottesdienst in der Kathedrale halten wird. Grund genug, vorab mit ihr zu telefonieren.

Wann waren Sie das letzte mal auf Mallorca?

Ich war erst einmal da und das auch dienstlich. Da war ich noch Bischöfin, habe in der Deutschen Gemeinde einen Gottesdienst gehalten und das diakonische Altenheim besucht. Das ist bestimmt schon zehn Jahre her.

Die Lage in Katalonien spitzt sich immer weiter zu. Verfolgen Sie die Ereignisse?

Ja klar. Ich bin sehr interessiert an Politik. Ich finde zwei Punkte dabei interessant. Es gab mal eine Zeit, da wollten sich alle ständig vereinen, ein vereintes Europa bilden. Jetzt werden überall die regionalen Eigenarten wieder entdeckt. Das hat vielleicht zum Teil in der Verstörung durch die Globalisierung seinen Grund. Menschen wollen ihre Identität wieder stärken. Zum anderen finde ich, dass so etwas nicht verboten werden kann. Weil das wird den Zorn noch weiter anregen. Es wurde ja davon gesprochen, dass es ein Europa der Regionen geben könnte ...

... ein Europa der Regionen?

Es wurde vor Jahren schon in den Konzepten zu Europa besprochen, dass es bei der Vereinigung nicht nur um Länder und Nationen gehe, sondern dass in den Ländern Regio­nen eine Rolle spielen. Nehmen wir mal den Ostseeraum, weil ich hier gerade bin, der hat bestimmte gemeinsame Interessen, die gar nicht an den natio­nalen Grenzen hängen, sondern an der Lage. Da ist Katalonien ein Beispiel. Mit Europaskepsis hat das Konzept aber gerade nichts zu tun.

Am 31. Oktober wird der 500. Reformationstag offiziell in Deutschland gefeiert. Was machen Sie an diesem Tag?

Ich werde um 10 Uhr in der Schlosskirche zu Wittenberg predigen, im normalen Gemeindegottesdienst, darauf freue ich mich schon sehr. Ab 14 Uhr kommt der offizielle Festgottesdienst mit Staatsakt, und in ganz Deutschland wird Feiertag sein.

Wie viel vom lutherischen Reformwillen findet sich noch in der evangelischen Kirche?

Ich denke, dass Luther uns immer noch prägt. Das sehen Sie zum Bespiel darin, dass Luther gesagt hat, jeder getaufte Christ sei Priester, Bischof, Papst. Bei uns sind Synoden zusammengesetzt aus Männern und Frauen, Laien und Ordinierten, Jungen und Alten. Die Kirche wird von allen gestaltet. Der Priester befindet sich nicht in einem Weihestatus über der Gemeinde. Bei uns können Frauen Pfarrerinnen werden, auch das ist Konsequenz aus Luthers Tauftheologie. Außerdem ist Luthers Orientierung an der Bibel immer stark geblieben. Die Predigt versucht an jeden Sonntag, die Bibel in Kontakt, in einen Kontext mit unserem Leben und unserer Zeit zu bringen. Und Luther wollte, dass die Leute selber denken. Fundamentalismus mag kein freies Denken.

Und seine Schattenseiten? Er hat gegen Juden und Muslime ...

... wir haben in diesem Jahr kein Luther-Helden-Gedenken gefeiert, sondern gerade seinen Antijudaismus thematisiert. Bis sich 2015 unsere Synode ganz klar von diesen Luther-Schriften distanziert hat. Das war ein schwerer

Weg, weil manche das Gefühl hatten, unser Luther wird schlecht gemacht. Und: Wir haben ganz klar gesagt, 2017 feiert wir nicht gegen andere, sondern mit anderen. Deswegen finde ich es auch schön, dass wir in der Kathedrale in Palma einen ökumenischen Gottesdienst feiern.

Muslime sind bei dem ökumenischen Gottesdienst nicht dabei.

Wir hatten eine ganze Themenwoche zum Dialog der Religionen in Wittenberg in diesem Sommer, da haben wir mit Muslimen und Juden diskutiert. Auch darüber, dass bei der Dialogfähigkeit zwischen den Religionen der größte Reformbedarf herrscht.

Wären da mehr ökumenische Gottesdienste nicht ein Weg?

Na ja, ich finde, Christen können ökumenische Gottesdienste miteinander feiern. Was andere Religionen betrifft, können wir respektvoll bei der Feier der anderen dabei sein, wie wir das auch in Wittenberg gemacht haben. Das zu mischen, macht aber gar keinen Sinn.

Sie werden aus „Sorge dich nicht, Seele" lesen. Haben Sie sich schon eine Passage ausgesucht?

Noch nicht. Ich habe das Buch meinen Großeltern gewidmet, die ja noch ganz anderes erlebt haben als ich: Krieg, Verfolgung, den Verlust der Heimat. Und wenn die nicht verzagt sind, dann müssen wir auch nicht verzagen.

„Sorge dich nicht, Seele" klingt sehr nach dem Ratgeber-Klassiker „Sorge dich nicht, lebe".

Ich wollte das Buch betiteln: „Du meine Seele singe", aber das fand der Verlag zu kirchlich (lacht). Mein zweiter Vorschlag war: „Für die Seele sorgen", das fanden sie zu sachlich. Dann kamen sie auf „Sorge dich nicht, Seele." Der Carnegie-Ratgeber wurde ja auch schon vor über 50 Jahren geschrieben.

Welche Passagen in der Bibel ärgern Sie?

Es gibt in der Bibel gewalttätige Passagen, die finde ich problematisch. Und dann gibt es Verse, die ärgern mich. Zum Beispiel „Das Weib schweige in der Gemeinde". Wie gerne wurde das benutzt, um Frauen das Wort zu verbieten.

Wo kommt das her?

Der Apostel Paulus hat das geschrieben, an die Gemeinde in Korinth. Aber dem Apostel Paulus ging es mehr darum, das die Frauen offenbar zu viel Aufmerksamkeit auf die verfolgten Christen gezogen haben. Über viele Jahrhunderte ist das benutzt worden, um Frauen das Predigen zu untersagen.

2018 wollen Sie in den Ruhestand gehen. Was haben Sie vor? Viele Deutsche verbringen ihren Ruhestand ja auf Mallorca ...

(lacht) Den werde ich wohl eher auf Usedom verbringen. Da werde ich erst einmal tief Luft holen und sicherlich ein Buch schreiben. Zudem habe ich vier Enkelkinder, mit denen ich Zeit verbringen möchte.