Es war eine Reise nach New York, die das Leben von Andrea Gutiérrez aus Sóller auf den Kopf gestellt hat. Seit diesem Urlaub an Ostern 2016 bestimmen vor allem Laufstege, Pfennigabsätze und Maße ihre Freizeit - Dinge, zu der die 1,83 Meter große und auffällig schlanke 17-Jährige durch Zufall kam.

„An unserem letzten Tag in New York sprach mich an einem Zebrastreifen eine Frau an und gab mir ihre Visitenkarte", erzählt Andrea. Die Frau stellte sich als Scout einer Modelagentur in New York vor und legte Andrea eindringlich ans Herz, doch nach dem Wochenende ins Büro zu kommen, um ein Fotoshooting machen zu lassen. „Da wir aber am nächsten Tag heimflogen, klappte es nicht. Uns kam die Sache merkwürdig vor, aber meine Eltern haben im Internet geforscht und gesehen, dass es die Agentur tatsächlich gab."

Nie zuvor hatte sie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, eine Laufbahn als Model einzuschlagen. Aber angefixt durch das Erlebnis in New York ließ Andrea ein professionelles Fotobuch erstellen und wurde auf ein Modelcasting in Palma aufmerksam.

Die Agentur Traffic Models mit Sitz in Barcelona und Madrid suchte die „Traffic Faces 2017". Andrea nahm teil und musste eine kurze Präsentation aus Fotos, Videos und persönlichem Gespräch abliefern. Eine Woche später kam der Anruf der Agentur. „Sie sagten, ihnen habe mein Auftritt gefallen, und ich hätte es ins Halbfinale geschafft."

Das war der Moment, an dem Andrea anfangen musste, das Laufen auf dem Catwalk zu üben. „Ich habe Videos im Internet gesucht und mir das selbst beigebracht. Aber ich bin nicht die Geschickteste." Sie musste ein Video einreichen, in dem sie beim Laufen mit Absätzen zu sehen war. Den ganzen Tag sei sie daheim mit den hohen, dünnen Stöckelschuhen herumgelaufen, ihre Eltern filmten sie dabei. „Irgendwann kam dann offensichtlich doch mal ein gutes Video he­raus, denn ich wurde genommen."

Ihre Eltern begleiteten sie zum Finale in Barcelona. Drei Tage lang wurden die jungen Frauen und Männer geprüft. Es gab Shootings, Kurse, wie man sich auf dem Catwalk zu bewegen hat. Unter den Augen von namhaften Designern, wie etwa der Modemarke Custo, fuhr Andrea den Sieg ein. „Dabei war ich die Jüngste im Finale." So durfte sie fortan den Titel „Modelentdeckung des Jahres 2017 Spanien" der nach eigenen Angaben zweitgrößten Modelagentur des Landes tragen.

Andrea flog direkt vom Finale zurück in die Schule, kam mit ihrem Koffer und dem Blumenstrauß ins Klassenzimmer und wurde von ihren Mitschülern am Colegio San Cayetano in Palma de Mallorca gefeiert. Die nächste Station war die Mallorca Fashion Week im Juli. „Dort bin ich von fast allen Designern gebucht worden", erzählt ­Andrea selbst noch ein wenig ungläubig. Neun Auftritte an drei Tagen gab es zu bewältigen. Was nicht ganz einfach sei, denn „jeder Designer will, dass du dich anders bewegst".

Erneut kam eines zum anderen: Designer Jorge Vázquez fotografierte Andrea und schickte die Fotos Esther García, einer Art Modelguru von Spanien. García wählt die Mädchen für alle wichtigen Modeevents des Landes aus. „Sie hat dann angerufen und wollte, dass ich mich in Barcelona mit ihr treffe", erzählt Andrea.

So kam die junge Mallorquinerin im September auch zur Cibeles Fashion Week nach Madrid. Dort ist es laut der Statuten eigentlich nicht gestattet, Minderjährige auf den Laufsteg zu lassen. „In diesem Jahr wurde für mich und vier andere Mädchen aber eine Ausnahme gemacht." Sie hatte zwei fest gebuchte Auftritte in Madrid, spontan hätten sich vor Ort dann weitere drei ergeben.

All das erzählt Andrea seelenruhig mit ihrer angenehmen, aber auffällig hellen Stimme. Wer sie hört, ohne Andrea gegenüberzusitzen, könnte meinen, es mit einer Zwölfjährigen zu tun zu haben. Gleichzeitig erzählt die junge Frau abgeklärt und vollkommen bescheiden von Dingen, von denen andere Mädchen in ihrem Alter auf ewig nur träumen werden.

Andrea kommt an. Gianna Bigoni, ihre Agentin bei Traffic Models, sagt der MZ: „Andrea hat natürlich noch einen weiten Weg vor sich, sie ist noch sehr jung und hat erst angefangen. Aber sowohl auf den Laufstegen in Barcelona als auch in Madrid lieben sie die Designer." Zugute komme ihr dabei, dass Andrea eine „starke Persönlichkeit" habe, „stets an sich glaubt und eine große Begeisterung für Mode zeigt".

So kommt es, dass Andrea bereits zu Schulzeiten gutes Geld verdient. „Das kommt alles auf ein Extrakonto, von dem ich die Spesen wie Hotelübernachtungen zahle. Ich gebe nichts davon für mich aus", sagt sie. Zu ihrem Glück sieht es nicht danach aus, als würde diese Einnahmequelle in nächster Zeit versiegen, Traffic scheint Großes mit ihr vorzuhaben. „Sie soll jetzt erst einmal in Spanien bekannter werden, und dann wollen wir die Karriere im Ausland vorantreiben. Sie soll dann die großen Laufstege in Paris, London, Mailand und New York kennenlernen", lässt Gianna Bigoni wissen.

Dafür darf sich Andrea freilich nicht zu sehr von ihren derzeitigen Maßen 75-57-86 entfernen. „Das ist in meinem Vertrag so geregelt. Es steht allerdings nicht drin, was ich essen und trinken muss", sagt sie. Aber was das angehe, habe sie Glück. „Ich habe die Gene von meinem Vater. Der ist über zwei Meter groß, kann essen, was er will, und wird nicht dick." Zu sehr abmagern dürfe sie aber auch nicht, wirft sie ein. Denn bei den großen Veranstaltungen seien immer auch Ärzte vor Ort, die auffällig dünne Frauen wiegen. „Liegt der Body-Mass-Index unter 17, dürfen sie nicht auf den Catwalk", erzählt Andrea.

Dass die Modelkarriere ihre Zukunft sein wird, glaubt Andrea nicht. „Ich nehme das so lange mit, wie es geht. Aber es kann sein, dass du im nächsten Jahr schon nicht mehr angesagt bist, weil die Designer andere Gesichter suchen." Im besten Fall könne es zehn Jahre funktionieren. Für die Zeit danach hat sie schon einen Plan B in der Tasche. Sie möchte Biologie studieren und in die Forschung gehen.