Norbert Maxeiner ist 59 Jahre alt, als bei ihm eine aggressive Form von Hautkrebs entdeckt wird. Doch er ist stark, besiegt die Krankheit - bis der Krebs nach zehn Jahren zurückkehrt. Er wird zum Pflegefall, muss künstlich ernährt werden. Seine Frau Sandra steht ihm bei, pflegt ihn zu Hause. Neun Monate lang, bis zum Ende. Erst wenige Tage vor seinem Tod Ende 2016 wird Norbert Maxeiner in die Berliner Charité eingeliefert. „Ich saß am Bett meines toten Mannes, in tiefer Trauer, und draußen hörte ich lachende Menschen vorbeigehen. Das war so seltsam", erinnert sich Sandra Maxeiner.

Über ihre Erfahrungen mit dem Tod hat sie mehrere Bücher geschrieben. Die MZ trifft die 45-jährige Autorin im Hafen von Portitxol. Sie hat ein offenes Lächeln, wirkt zart, sensibel, einfühlsam und stark zugleich. Eine Frau, die viel Schlimmes erlebt hat und dennoch den Lebensmut nicht verloren hat. „Wir haben uns während zahlreicher Urlaube in Mallorca verliebt", sagt Maxeiner und nippt an ihrem Latte macchiato. Wir, also Norbert und sie selbst.

Mehr als zehn Jahre sei es nun her, dass die beiden gemeinsam ein Haus bei Esporles erstanden, in den Bergen, in der Natur. Nicht, um auszuwandern, sondern um immer mal wieder von Berlin aus hierhin zu kommen. „Schon auf den Schotterwegen, die dorthin führen, kommt es einem so vor, als tauche man ein in eine andere Zeit, in eine andere Welt ohne Hektik und Alltagsstress", sagt Maxeiner. Kurz tritt ein verträumter Ausdruck in ihre Augen. „Mallorca ist eine Kraftquelle für mich", sagt sie schlicht.

Kraft, die der promovierten Politik- und Sozialwissenschaftlerin immer wieder ausging, als sie über Monate hinweg ihren kranken Mann nach dessen Willen umsorgte und gleichzeitig arbeiten ging. „Man vergisst sich selbst, man verliert Kraft und irgendwann kann man einfach nicht mehr", bemerkt Maxeiner in einem Tonfall, der jetzt, gut ein Jahr nach Norberts Tod, nicht leidend, sondern erklärend klingt. Von den Ärzten habe sie sich allein gelassen gefühlt und auch vom System. „Die schickten mich zur Apotheke." Spritzen setzte sie dann per Skype-Video-Gespräch unter Anleitung ihrer besten Freundin - einer Psychotherapeutin und gelernten Krankenschwester. „Das war mein Glück. Aber wie geht es Menschen, die wirklich ganz allein sind?"

Schlecht, fand Maxeiner mit der Zeit heraus. Oftmals seien die Sozialstationen der Krankenhäuser überlastet und auch die Hospize nicht in der Lage, das Leiden der Angehörigen aufzufangen. Letzteres weiß Maxeiner, weil sie jahrelang als Hospizhelferin tätig war. Das Thema Tod ist ihr nicht fremd - im Jahr 2013 starb ihr bester Freund an Prostatakrebs. „Er starb allein, obwohl er eine Familie hatte. Das gab für mich den Anstoß, mich um sterbende Menschen zu kümmern", so Maxeiner. Und doch: Als ihr Mann im Sterben liegt, fühlt sie sich überfordert, als er stirbt, ist sie erschüttert. „Man sagt, das erste Trauerjahr sei das schlimmste. Das habe ich nun hinter mir", sagt Maxeiner und blickt nachdenklich drein.

Andere würden vielleicht an Depressionen erkranken, in einer Sinnkrise enden oder zumindest Gott und die Welt verfluchen für das Unheil, das ihnen wiederfährt.Nicht so Maxeiner. Heute ist ihr christlicher Glaube ausgeprägter denn je, genau wie ihr Lebenswille. Nach dem Tod ihres besten Freundes gründete sie den Verein „Was wirklich zählt im Leben e.V.", der sich für mehr Menschlichkeit in der Gesellschaft einsetzt. Nach dem Tod ihres Mannes begann sie im Rahmen des Vereins auch konkrete Hilfestellungen für Angehörige zu organisieren, die jemanden mit lebensbedrohlicher Krankheit pflegen, oder die erst vor Kurzem einen geliebten Menschen plötzlich verloren haben. „Erste Hilfe für die Seele", sagt Sandra Maxeiner und lächelt. In Berlin und Brandenburg vermittelt der Verein Psychotherapeuten, Notfallseelsorger, Trauerbegleiter und Physiotherapeuten für die Angehörigen der Schwerkranken.

Die Nachfrage sei groß. Deshalb auch das Ziel, die Angebote auf das ganze Bundesgebiet auszuweiten. „Und vielleicht auch irgendwann mal bis nach Mallorca." Kann man es lernen, mit Trauer umzugehen? Maxeiner nickt. „Man will sich nicht vorstellen, dass das Leben weitergeht, aber es ist einfach so", sagt sie mit Nachdruck. Bestimmtheit liegt in ihrer Stimme. Das Leben geht weiter - das lernte sie durch die Passanten, die lachend über den Krankenhausflur am Sterbezimmer ihres Mannes vorbeigingen, und das erlebt sie jeden Tag. Wenn sie mit ihrem Dalmatinerhund Whiskey - ihrer größten Kraftquelle - durch den Wald läuft. Wenn sie mit Menschen zusammen ist, die ihr wichtig sind. Oder wenn sie auf Mallorca stundenlang den Sonnenuntergang in den Bergen beobachtet. „Früher habe ich das so nie gemacht. Im normalen Alltag ist man so in der Mühle drin, dass man das Hier und Jetzt oft nicht wahrnimmt", setzt Maxeiner an und muss selbst kurz grinsen, als sie hinzufügt: „Ich weiß, es klingt banal, aber es sind tatsächlich die kleinen Dinge, die das Leben ausmachen." Vielleicht, so die 45-Jährige und wird wieder ernst, könne man sie erst annehmen, wenn man schmerzliche Erfahrungen gemacht hat.

Auch das Schreiben hilft Maxeiner. Im Jahr 2015 brachte sie ihr Buch „Was wirklich zählt im Leben" heraus: Eine liebevoll-persönliche Sammlung von Interviews, die Maxeiner mit verschiedensten Menschen führte: mit Kranken, mit Firmengründern, mit sozial Engagierten. Oft spiegeln sich die Aussagen mit den Erfahrungen, die sie selbst gemacht hat: dass einschneidende Erlebnisse den Menschen erden und die Prioritäten im Leben verschieben. „Ich habe gelernt, dass ein langes Leben und Gesundheit nichts Selbstverständliches sind, auf das man automatisch Anspruch hat, sondern Geschenke", erklärt sie. In ihrem neuen Buch „Das Geschenk" bringt sie das auf den Punkt. „Auch Niederlagen sind ein Geschenk. Denn sie helfen uns weiterzukommen."

Informationen zu den Büchern und zum Verein: www.was-wirklich-zählt-im-Leben.de