Seit etwas über einem Jahr ist Pedro Barbadillo als Leiter der Mallorca Film Commission damit beauftragt, Filmdrehs auf Mallorca zu erleichtern. Der 61-Jährige, dessen Großeltern mütter­licherseits einst vor den Nazis aus Deutschland nach Andalusien flohen, hatte diesen Posten schon von 2010 bis 2012 inne. Dazwischen war er federführend an der Rettung des Programmkinos Renoir in Palma beteiligt, das heute als CineCiutat existiert. Der gelernte Journalist, der übrigens fließend Deutsch spricht, ist außerhalb der Insel vor allem als Dokumentarfilmer bekannt.

Herr Barbadillo, welcher ist Ihr mallorquinischer Lieblingsfilm?

Der Bürgerkriegsfilm „El mar" von Agustí Villaronga aus dem Jahr 2000. Er erzählt wie kein anderer über die Unterdrückung in jener Zeit und stellt eher unbekannte Aspekte der Insel dar. Aber auch „La caja Kovak" von Daniel Monzón aus dem Jahr 2006 und „El perfecto desconocido" von Toni Bestard (2011) sind sehr

sehenswert.

Vergangene Woche ist bekannt geworden, dass Villarongas „Incierta Gloria" und der Kurzfilm „Woody & Woody" von Jaume Carrió für die Goyas nominiert sind, den spanischen Filmpreis. Befindet sich das mallorquinische Kino gerade in guter Verfassung?

Auf Mallorca gibt es viele Leute mit Talent, aber sie erhalten wenig Unterstützung. Weder die öffentliche noch die private Filmförderung haben in den vergangenen Jahren wirklich funktioniert. Ab kommendem Jahr soll es nach jetzigem Stand 600.000 Euro Filmförderung vom Kulturinstitut Illenc geben. Als Mallorca Film Commission wollen wir einen Film Fund einführen, um die Produktionen zu unterstützen.

Was versprechen Sie sich davon?

Katalonien und das Baskenland hatten schon immer eine eigene Filmproduktion. Aber schauen Sie nach Andalusien und Galicien. Dort hat man mit den Fördergeldern eine Filmszene geschaffen, die viele Erfolge feiert. Andalusien etwa mit „7 vírgenes", „El hombre de las mil caras" und „La isla mínima". Das Beispiel des

Mallorquiners Agustí Villaronga zeigt, was passiert, wenn man talentierten Filmemachern nicht bieten kann, was sie brauchen. Er macht jetzt katalanisches Kino.

Mallorca hat also keine Kino­tradition?

Gedreht wird hier schon sehr lange. Es begann mit „El secreto del anillo", einer italienischen Produktion im Jahr 1913 von Giovanni Doria. Der erste große mallorquinische Film kam dann 1925: „El

secreto de la Pedriza" von Francesc Aguiló. Auch die deutsche UFA hat hier einige Filme gedreht, etwa 1929 „Die Schmugglerbraut von Mallorca". In den 60er-Jahren gab es dann einen richtigen Boom, da kamen auch internationale Produktionen wie der britische Film „Women of Straw". Insofern gibt es auf Mallorca eine lange Tradition an Filmdrehs, aber nicht an eigenen Produktionen. Die Insel hat zugleich einige sehr gute Regisseure und Schauspieler hervorgebracht wie eben Agustí Villaronga, Rossy de Palma, Daniel Monzón, Fortuny Bonanova und Simón Andreu.

Was tun, um an diese Tradition anzuknüpfen?

Man braucht Werbung und vor allem Steuervergünstigungen für Filmdrehs. Das sind die Regeln des Spiels. In Spanien betragen die Steuervergünstigungen seit drei Jahren 20 Prozent, so wie fast überall. Wie wichtig das ist, zeigt ein Beispiel: Mir sagte mal eine Vizepräsidentin des Disney-Konzerns, dass sie jeden Produzenten feuert, der ihr einen Dreh in einem Land vorschlägt, das diese Vergünstigungen nicht bietet.

Aber spielen die Filme, die hier gedreht werden, auch wirklich auf der Insel?

Manchmal. In Europa achtet man bei der Filmförderung manchmal da­rauf, dass der Drehort im Film

vorkommt.

Wie bei „Vicky Cristina Barcelona" von Woody Allen?

Gut, das ist ein Extremfall. Da wird der Film zum Marketing-Instrument für eine Stadt. Wie bei anderen Filmen von Woody Allen auch. Manchmal ist es auch so, dass ein Ort einen anderen darstellt. Vancouver etwa war schon in vielen Filmen Kulisse für New York, Los Angeles und andere Städte. Der Dreh dort war billiger.

Welche Stadt wird in Palma nachgestellt?

Keine konkrete. Aber Palma hat viele Vorteile, weil die Stadt so unterschiedliche Architekturstile bietet, von mittelalterlich bis islamisch, von Renaissance bis zum Modernismus und Futurismus, wie etwa im Parc Bit. Vor Kurzem wurden wir um Drehorte in Palma für einen Film gebeten, der im Nahen Osten der 30er-Jahre spielt. Die engen Gassen von Palma können so etwas bieten.

Sie waren zunächst schreibender Journalist. Warum sind Sie ins audiovisuelle Fach gewechselt und Dokumentarfilmer geworden?

Das hat sich so ergeben. Es hat schon im Studium angefangen. Ich war einer der wenigen Journalisten, die in Spanien im Übergang zur Demokratie Deutsch konnten. Es gab damals großes Interesse an den Ereignissen in Spanien. Die deutschen Journalisten hatten nicht immer einen solchen Zugang zu den Quellen wie ich. Ich habe damals als Produzent vor Ort im Jahr vier oder fünf Dokus gedreht. Viele Jahre später habe ich angefangen, meine eigenen Filme zu machen.

Welche Vorteile bietet der Dokumentarfilm gegenüber dem geschriebenen Wort?

Dokumentarfilme können sehr beeindruckend sein, aber ihr Effekt hält nur für kurze Zeit an. Ein Artikel kann auch nach Jahren herangezogen werden. Dokumentarfilme sind wie Schaum, sie verpuffen und verschwinden dann schnell wieder. Wobei sich das durch Videoplattformen wie Youtube ändert. Manche meiner Filme finden sich im Internet wieder. Zwei davon waren von den Fernsehsendern zensiert. Sie wurden dann ins Internet hochgeladen und haben dadurch wahrscheinlich mehr Publikum gefunden, als wenn sie nur im Fernsehen gezeigt worden wären.

Wovon handeln Ihre Filme?

Hauptsächlich sind es Filme, die ein aktuelles Thema behandeln. Bei den zensierten Filmen ging es um die Leichtigkeit, mit der man an private Daten kommen könnte. Konkret, wie einfach ETA-Terroristen an die Privatadressen von Polizisten kommen können. Das war den Sicherheitskräften zu gefährlich. Der andere Film handelte von den gesundheitlichen Gefahren, die von Mobilfunkmasten ausgehen. Hier hat die Mobilfunkbranche Druck auf den Sender ausgeübt, den Film nicht zu zeigen. Ich habe aber auch einen Film über Pablo Pineda gemacht, der trotz Downsyndrom die Uni abgeschlossen hat. Und mein vorletzter Film handelte von Big Data. Ich suche mir Themen aus, von denen ich glaube, dass die Leute darüber Bescheid wissen sollten.

Vermissen Sie das Filmemachen?

Ich kann es gar nicht richtig vermissen. Seit 14 Monaten bin ich bei der Mallorca Film Commission, bis zuletzt habe ich Filme gedreht. Und wenn ich aufhöre, werde ich wieder Filme machen. Ich habe laufend Ideen für neue Dokus.

1996 sind Sie nach Mallorca gezogen. Sie sollen zuvor bedroht worden sein.

Ich hatte einen Film über die Madrider Neonazi-Szene gedreht. Daraufhin geriet ich ins Visier dieser Leute. Sie tauchten immer wieder vor meiner Haustür auf. Das war sicherlich ein Grund. Aber Madrid war damals eine sehr harte Stadt. Zudem ist meine Frau Agraringenieurin und hatte Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Also haben wir einen Ort gesucht, wo wir beide gut arbeiten können. Eigentlich wollten wir nur ein Jahr hierbleiben. Nun sind es fast 22.

In der Zeit sind Sie zu einer der bekanntesten Figuren der mallorquinischen Kulturszene geworden. Wie kam das?

Ich habe mich schon immer in Verbänden und Vereinigungen aus der Branche engagiert, damit wir

stärker sind. So habe ich etwa den Verband der balearischen Produzenten mitbegründet. Später war ich bei der Film Commission und habe bei der Rettung des CineCiutats mitgemacht. Das hat sich potenziert. Mir macht das sehr viel Spaß.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Deutschland?

Gelebt habe ich dort nur wenig. Nach meinem Studienabschluss in Madrid war ich sechs Monate bei der Deutschen Welle in Köln. Zuvor hatte ich schon für deutsche Fernsehsender gearbeitet, aber auch hin und wieder für den „Spiegel" oder „Die Welt" geschrieben. Ich habe zwar auch dort Familie, aber mein Verhältnis zu Deutschland war immer eher durch die Arbeit geprägt. Es gab Phasen in meinem Leben, da habe ich mehr auf Deutsch gearbeitet als auf Spanisch. Ich bewundere Deutschland vor allem für die Aufarbeitung der Nazi-Zeit. Das war sehr mutig. In Spanien versucht man hingegen, die Diktatur zu verdrängen. Nur die deutsche Wirtschaftspolitik ist aus spanischer Perspektive etwas aufdringlich. Aber ich liebe die Sprache. Ich lese sehr viel auf Deutsch.

Und das deutsche Kino?

Als Vertreter des ­deutschsprachigen Filmes bewundere ich besonders Michael Haneke. Ich mag aber auch Tom Tykwer und Filme wie „Das Leben der Anderen" oder „Goodbye Lenin".

Wie steht es um die Zukunft der Kinosäle?

Düster. Jetzt haben hier in Palma auch die Kinos im Einkaufszentrum Porto Pi geschlossen. Großer Mist, wenn Sie mich fragen. In Frankreich kann es schon vorkommen, dass ein Bürgermeister zurücktreten muss, wenn das Kino in seiner Stadt schließt. In Spanien hat man es verpasst, eine ganze Generation ins Kino zu locken. Meine Tochter ist 15, Kino ist für sie überhaupt nicht mehr interessant. Und das, obwohl sie viele Stunden am Tag audiovisuelles Material konsumiert, seien es Filme, Serien oder Videos. Aber eben auf dem Handy oder auf dem Laptop.

Ist es denn so schlimm, wenn es keine Kinos mehr gibt?

Der Kinobesuch hat etwas Liturgisches. Der Akt des gemeinsamen Sehens ist genauso wichtig wie der Film selbst. Aber natürlich schaue ich mir auch Sachen auf dem Laptop an. Und ich habe zu Hause einen kleinen Beamer. Man darf die kleinen Bildschirme nicht verteufeln. Aber es ist eben nicht dasselbe, wenn im Kino alle gemeinsam lachen. Kino ist ein sozialer Ort.