Als Christine Günther zum ersten Mal nach Mallorca kam, hielt die Fähre direkt vor der Kathedrale in Palma. Den Parc de la Mar gab es damals nicht, nur eine schlammige, nicht asphaltierte Straße führte ins Zentrum. Fliegen war in jener Zeit etwas für Privilegierte, der Flughafen Son Sant Joan war winzig. „Aber das war mir egal. Ich wollte ja eh nicht wieder fliegen. Ich war ja gekommen, um zu bleiben", sagt Günther. 50 Jahre ist das jetzt her. 50 Jahre, in denen Günther die Insel nur für kurze Urlaube verließ. „Von der Öllampe zur Taschenlampe am iPhone habe ich hier alle Epochen miterlebt." Und nicht alle waren einfach.

Die 72-Jährige empfängt die MZ in ihrer großzügigen Eigentumswohnung in Es Calonge bei Santanyí. Auf dem Tisch steht bereits dampfender Tee und Gebäck, die Zentralheizung sorgt für angenehme Temperatur, im Hintergrund läuft deutschsprachiges Radio über einen Flachbildfernseher. Kein Vergleich zu den Verhältnissen, die Christine Günther in ihrer ersten Unterkunft auf der Insel erwarteten, damals im Februar 1968, als sie mit ihrem Mann - einem spanischen Künstler aus Valencia - und dem zweijährigen Sohn Rainer in eine leer stehende Finca zog. „Sie lag sechs Kilometer von Palma entfernt in Richtung Valdemossa. Da war der Hund verfroren, da gab es nichts, keine Uni, keinen Strom, kein fließendes Wasser", erinnert sich ­Günther. Doch das Haus stand nun einmal zur Verfügung, gehörte ihrer in Valencia lebenden Schwiegermutter. Und die junge Familie hatte ohnehin genug vom Leben im pfälzischen Neustadt an der Weinstraße. „Meine Eltern wanderten damals nach Gran Canaria aus, wir entschieden uns für ­Mallorca."

Es war eine Zeit, in der es noch nicht so viele Deutsche auf der Insel gab. „Wir wollten eine deutsche Schule gründen, aber der deutsche Staat lehnte ab, es würde sich nicht lohnen", so Christine Günther. Eine Zeit, in der es keine Autobahnen gab. In der der Tourismus gerade aus den Kinderschuhen herauswuchs und die Menschen nur hinter verschlossenen Türen Mallorquinisch sprachen.

Christine Günther ist eine ordentliche und stilsichere Frau, das sieht man auf den ersten Blick, wenn man sich heute in ihrer Maisonette­wohnung umschaut. An den Wänden hängen zahlreiche Kunstwerke. Von ihrem Mann, von ihrem Großvater und von ihr selbst. „Aber im Gegensatz zu ihnen habe ich erst mit dem Malen angefangen, als ich in Rente gegangen bin", sagt die 72-Jährige und schenkt noch etwas Tee nach. Nur zu Hause vor dem Fern­seher herumhängen, das sei so gar nicht ihr Ding.

Denn Christine Günther ist es gewohnt, unter Menschen zu sein, Dinge anzupacken. Zunächst aus ihrer Zeit als Angestellte in den 70er- und 80er-Jahren in Palma, als sie froh sein konnte, dass sie dank ihres Mannes die spanische Staatsbürgerschaft hatte. „Damals gab es noch keine EU, da war es für Ausländer schwer mit der Arbeitsgenehmigung." Und vor allem aus ihrer Zeit als Gründerin der Immobilienagentur Inmobiliaria Sa Coma. Es war im Jahr 1988, als sie den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, damals bereits getrennt von ihrem Mann und wohnhaft in Cala d'Or. „Ich war auf der Suche nach einem geeigneten Büro mit Telefon in Sa Coma", berichtet sie. Was heute selbstverständlich klingt, war damals gar nicht so leicht: „Hotels oder Restaurants gab es in Sa Coma nicht, der Ort war eine reine Baustelle mit nur drei Telefonanschlüssen auf der gesamten Küstenstraße." Doch Günther hatte Glück, fand etwas Passendes und eröffnete ihr Büro. „Anfangs war es schwer, sich zu behaupten, es waren keine guten Verkaufszeiten." Doch sie hielt durch. Ihr Sohn, der Anfang der 90er-Jahre ins Geschäft einstieg, feiert in diesem Jahr das 30. Firmenjubiläum.

"Ich bin eine Macherin, ich mag es, Dinge anzustoßen und Menschen zusammenzubringen", reflektiert Christine Günther und blickt in ihre Teetasse. Ja, vielleicht sei das einfach ihre Aufgabe im Leben, überlegt sie laut.

Geändert hat sich das bis heute nicht. Noch immer ist sie Anlaufstelle für viele Deutsche, die Jahrzehnte nach ihr die Auswanderung wagten. Günther hat viele von ihnen auf die Insel kommen und viele auch wieder gehen sehen. „Im Alter entscheiden sich dann doch einige für Deutschland." Und nicht immer stellten sich die Auswanderer bei der Integration geschickt an. „Viele, die hierhin kommen, sollten demütiger sein, sich anpassen und nicht so belehrend auftreten", findet Christine Günther. „Den Mallorquinern braucht man nichts von Deutschland zu erzählen, das interessiert sie einfach nicht. Für sie ist schon unerheblich, was auf dem spanischen Festland passiert."

Das weiß sie, weil zu ihrem Bekanntenkreis viele Mallorquiner zählen, weil sie perfekt Spanisch und Mallorquinisch spricht, und weil 50 Jahre auf der Insel nun mal prägen. Trotzdem gehört der Kontakt zu deutschen Residenten zum Alltag von Christine Günther dazu. Mittwochs wird Rommé gespielt - immer reihum zu Hause oder in Bars -, donnerstags gibt sie Spanischkurse - „mit dem Lehrmaterial der MZ natürlich" -, und einmal im Monat geht es zum Residenten-Treff von Mallorca-Urgestein Günter Stalter, einem der wenigen Deutschen, der noch länger als sie auf der Insel weilt. „Und außerdem koordiniere ich kulturelle Veranstaltungen, mache die Menschen darauf aufmerksam, ziehe sie mit."

Dafür hat sie Zeit, seit sie im Jahr 2010 adiós sagte - zur Arbeit, nicht zu Mallorca natürlich. „Weg zu gehen, war für mich nie eine Frage. Ich habe es nicht einen Tag bereut, hier zu sein." Freilich, die Insel sei längst nicht mehr das, was sie früher einmal war. „Hier dreht sich heute alles ums Geschäftemachen, die Idylle von damals ist zu großen Teilen verschwunden", bemängelt sie. Doch es gibt nichts, was sie nach Deutschland zieht. „Da ist doch kein Licht, da werde ich bei Besuchen schon nach drei Tagen depressiv und will zurück auf die Insel." Vieles mag sich geändert haben in 50 Jahren. „Aber ich fühle mich hier immer noch wohl. Und das wird wohl auch so bleiben."