"Es war ein Gefühl, als ob dir ein Profi­boxer mit voller Wucht in den Magen schlägt. Ein dumpfer Schmerz, der die Luft aus den Lungen treibt." Marcus Beuck (56) erinnert sich an die Sekunden, als der BMW 525i mit seiner Freundin Jeanette am Steuer an einem Samstagmorgen im Mai 1996 auf der alten Landstraße Peguera-Andratx von der Straße abkam und mit der Fahrerseite gegen einen Laternenmast krachte. "Reifenpanne. Wir hatten bestimmt 100 Sachen drauf und wollten von einer Restauranteröffnung nach Hause. Jeanette war sofort tot."

Die Wirbelsäule ist tief gebrochen

Beuck zeigt einen Zeitungsartikel über den Unfall. Auf einem Schwarz-Weiß-Foto liegt er mit freiem Oberkörper auf der Straße, sein Unterkörper ist unter einer weißen Decke verborgen. Ein Rettungssanitäter kniet neben ihm, setzt zu einer Herzmassage an. Ein anderer pumpt Sauerstoff in Marcus Beucks Lungen. Seine Rippen, ein Arm, das Schlüsselbein und seine Wirbelsäule sind gebrochen. Dennoch sagt er, dass er Glück gehabt habe. „Meine Wirbelsäule ist ziemlich tief gebrochen. Sonst wäre ich wie Christopher Reeves vielleicht vom Hals ab gelähmt und könnte nicht so ein eigenständiges Leben führen, wie ich es heute kann."

Ein Jahr nach dem Unfall kauft er von einem Freund ein Grundstück in Santa Maria del Camí und lässt darauf ein barrierefreies Haus errichten. Der kleine Holzschuppen, in dem er übergangsweise gewohnt hat, um die Bauarbeiten zu überwachen, steht heute noch in seinem Garten. Ebenso ein kleines Gästehaus, in dem er seine an Alzheimer erkrankte Mutter pflegt. Jedes Detail hat er zusammen mit dem mallorquinischen Architekten Tomeo Bauzá entworfen, der damals gerade frisch von der Uni kam. „Das war meine Art, mental mit dem fertigzuwerden, was damals passiert ist." Später hat Marcus Beuck daraus seinen Beruf gemacht. Er berät Menschen, die ihr Haus oder ihren Garten barrierefrei umbauen lassen wollen.Der Weg zurück nach Mallorca

Davon erfahren, dass er seine Beine nicht mehr benutzen kann, hat er am Tag nach dem Unfall in der damaligen

Clínica Femenía. Als ihm die Ärzte die Diagnose sagen, denkt er: „Okay, jetzt hat es einen Unfall gegeben, aber du bist ein starker Kerl, das wird schon wieder." Man sei in dem Moment ja völlig sediert, und das Gehirn schalte einfach ab, damit sich der Körper erholen kann. Marcus Beuck wird zu weiteren OPs nach Hamburg geflogen, es folgen drei Monate Spezial-Reha in der Hansestadt, wo man ihn langsam an das Leben im Rollstuhl heranführt. „In den Kliniken gehen die Türen automatisch auf, der Boden ist eben, und du bist da zusammen mit anderen Rollstuhlfahrern." Doch die Wirklichkeit da draußen ist eine andere. Vor allem auf Mallorca 1997, wo von Barrierefreiheit kaum einer gehört hat. Trotzdem beschließt Beuck, auf die Insel zurückzukehren. Schließlich hat er sich dort ein Leben aufgebaut.

Er hat die Mode von "Miami Vice" nach Deutschland gebracht

Geboren wurde Marcus Beuck als Sohn einer Anwaltsfamilie im Hamburger Stadtteil Blankenese. Nach dem Abi machte er eine Ausbildung zum Verkäufer im Import-Export-Handel. Er stieg in die Modeindus­trie ein, gründete 1985 die Agentur Hanseatic News. Als Textil-Agent fungierte er als Vermittler zwischen Designer, Fabrik und dem Einzelhandel. „Die goldenen 80er-Jahre", sagt er. „Alle hatten Kohle, keiner hatte Internet, über das man Klamotten bestellen konnte." Jean Paul Gaultier habe zu der Zeit die Herrenmode revolutioniert. Der Desi­gner fing damit an, Schulterpolster in Jacketts zu stopfen und mit Materialen zu experimentieren. Jeder wollte so aussehen wie in der US-Krimi-Serie „Miami Vice". Marcus Beuck brachte diese Mode in Deutschland auf den Markt. „Wir waren die Einzigen, die Leinenhosen mit acht Bundfalten im Angebot hatten, irre."

1992 beschloss er, dass es Zeit für etwas Neues sei. Er verkaufte seine Agentur und fuhr mit seiner 98 PS starken Harley-Davidson Fatboy runter nach Spanien. In Barcelona nahm er die Fähre nach Mallorca. „Ich wollte dahin, wo die Sonne untergeht und landete in Port d'Andratx." In einer Apotheke fragte er nach einem Zimmer, kurze Zeit später hatte er eins. „Das war damals kein Problem."

Die Maschine ließ er an dem Schicksalstag stehen

Eine Zeit lang arbeitete er für einen Bootsverkäufer, „doch das war nicht so das Wahre." 1993 kam er auf die Idee, einen Klamottenladen in Peguera zu eröffnen, schließlich hatte er noch die ganzen Kontakte zu der Modebranche. „Der Laden hieß Mack'x und lief wie eine Bäckerei." Er hatte gut zu tun, knüpft Freundschaften, verliebte sich. Am 24. Mai 1996 fuhr er mit seiner Fatboy zu der Eröffnungsfeier eines neuen Restaurants in Peguera. Er ließ die Maschine stehen, wollte mit seiner Freundin Jeanette in ihrem neuen BMW 525i nach Hause fahren.

Motorrad gefahren ist er seitdem nie wieder. Die Maschine steht heute gut konserviert im Hausflur. Man begegnet ihr mit Ehrfurcht, wie einem T-Rex im Naturkundemuseum. Eine brutale Schönheit, ein Relikt aus wilden Zeiten. Marcus Beuck benutzt sie als Regal, auf der Sitzbank steht eine Sporttasche, in ihren Eingeweiden stecken Putztücher und Zubehör zum Schnorcheln. Als Rollstuhlfahrer lernt man, praktisch zu denken. „Man muss viel ausknobeln", sagt er. Im Alltag gehe es häufig darum, wie man wo hinkommt.

Die kleinen Tricks beim Haus-Umbau

Wenn Marcus Beuck ein Haus umbauen lässt, achtet er darauf, dass es möglichst viele kurze Wege gibt. „Um das Nudel­wasser abzugießen, will ich nicht durch die halbe Küche fahren." Man bemerkt es bei ihm zu Hause nicht auf den ersten Blick, dass der Küchentisch ein paar Zentimeter höher steht, dass man mit dem Rollstuhl das Spülbecken unterfahren kann oder dass die Türen etwas größer sind. „Genau darum geht es ja", sagt er. Er arbeitet nicht nach DIN-Normen, sondern nach seinen Erfahrungen. So hat die kleine Mauer um seinen Pool nicht nur einen dekorativen Zweck. Sie erleichtert es, sich von seinem Rollstuhl aus ins Wasser zu schwingen.

Seit Ende der 90er-Jahre habe sich auf Mallorca in Sachen Barrierefreiheit einiges getan, sagt Beuck. Der Flughafen Palma sei einer der rollstuhlfreundlichsten weltweit. Mit speziellen und ganz neuen Hubwagen wird man direkt aus dem Flugzeug gehoben. „Schnell, effizient, freundlich, funktioniert", sagt er. In Hamburg habe er kürzlich eine Stunde im Flugzeug warten müssen, bis er abgeholt wurde. Bemerkenswert findet er auch die Hilfsbereitschaft der Spanier. Der menschliche Faktor mache vieles wett.Aldi und Lidl seien vorbildlich

Zumal es ja noch genügend Hindernisse gibt. Eines der größten Probleme sei, dass es so wenig Behinderten-Parkplätze gebe. Und die wenigen, die es gibt, sind häufig zugeparkt von Leuten, die nicht auf sie angewiesen sind. „Die meinen es ja nicht böse, aber auf den engen, regulären Stellplätzen komme ich nicht aus dem Auto raus. Bitte parkt unsere Plätze nicht zu!" Aldi und Lidl seien vorbildlich, da gebe es genügend Platz. Ein anderes Problem sei, dass die Bürgersteige zu hoch sind. Selbst Behördengänge seien häufig schwierig. „Am Bezirksamt in Santa Maria gibt es eine Stufe, da komme ich nicht rein." Auch in Gebäuden lauern kleine Fallen, die einen aus der Bahn bringen können. „Nervig sind links gestrickte Teppiche in Hotelfluren, da fährt man immer gegen die Wand."

Gut findet Marcus Beuck das Vorhaben der Balearen-Regierung, die Plaça Major von der Rambla aus für Menschen mit Gehbehinderung besser zugänglich zu machen. Gerade dort sei die Situation „ätzend." Im Parkhaus gebe es zwar einen Fahrstuhl, aber in den passe man mit einem normalen Rollstuhl nicht rein. Statt des geplanten elektrischen Fahrsteigs sollte aber lieber eine Rampe gebaut werden. „Eine Treppe braucht kein Mensch", sagt Marcus Beuck.