Die sandsteinfarbenen Mauern sind voller bunter Graffitis, die Fenster der Wachtürme teilweise zerbrochen, der Stacheldraht verrostet. Doch ansonsten ist das alte Gefängnis nahe der Carretera de Sóller in Palma gut in Schuss. Vor rund zehn Jahren wurde es definitiv geschlossen - die Gefangenen selbst waren bereits 1999 in das neue Gefängnis auf der anderen Seite der Kreuzung von Stadtautobahn und Carretera de Sóller

gezogen. Die Stadt Palma kaufte das 11.791 Quadratmeter große Gelände 2006 vom spanischen Zentralstaat. Genutzt wurde es seither so gut wie gar nicht.

Sonia Bové mag es, Dinge wieder auf Vordermann zu bringen. „Ihnen ein zweites Leben zu geben", wie sie es ausdrückt. Gemeinsam mit ihrem Partner Jesús Ruesgas restauriert und repariert sie alte Möbel und kaputte Haushaltsgegenstände. Und sie ist die Initiatorin eines neuen soziokulturellen Zentrums, das bald im alten Gefängnis entstehen soll. Auch hier ist ihr Motto: Altes nutzen, statt neu zu bauen.

„Wir alle sind Initiatoren", sagt die 41-Jährige bescheiden. Tatsächlich ist das, was gerade in Palmas Künstlerszene entsteht, fast schon eine Bürgerbewegung. Alles begann mit dem Secondhandmarkt „Tira'm els trastos". Hier lernte Sonia Bové eine ganze Reihe anderer Kunstschaffender erstmals näher kennen. Die Modedesignerin María José Orell zum Beispiel, oder die deutsche

Kostümbildnerin Silke Sommer.

Wie enthusiastisch die drei bei der Sache sind, wird bei einem Treffen mit der MZ in einem Café nahe dem alten Gefängnis deutlich. Noch darf die ehemalige Haftanstalt niemand betreten, außer den Reinigungstrupps, die die Stadt in Auftrag gegeben hat. Doch schon bald sollen die Pforten für jedermann geöffnet sein. Offenheit, das ist etwas, das den Initiatoren besonders wichtig ist, in jenen Mauern, die einst die Freiheit der Insassen beschränkten.

„Wir haben uns gegenseitig zugehört und festgestellt, dass uns allen ein Ort fehlt, an dem wir unsere Talente zusammenführen können", erzählt Sonia Bové. Ein Ort, in dem Raum ist für Kreativität, aber auch für neue Unternehmensformen. In dem Synergien geschaffen und neue Koopera­tionen entstehen können. Coworking-Büros, Ateliers, Probenräume, Konferenzsäle, Werkstätten, Märkte, aber auch gastronomische Angebote und Verkaufsräume.

Vor etwa einem Jahr begaben sich Sonia Bové und die Mitstreiter von sechs anderen Künstlerkollektiven auf die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten. „Wir hatten auch das Gesa-Gebäude im Blick", so Modedesignerin María José Orell. Letztlich aber überzeugte das alte Gefängnis sie - und die Idee, ihm neues Leben einzuhauchen, wiederum das Rathaus von Palma.

Dass das Bedürfnis nach solch einem soziokulturellen Zentrum in Palma bei vielen groß ist, das hatten die engagierten Kreativen bereits geahnt. Dennoch waren sie selbst überrascht, als sich auf einen Aufruf vor einigen Wochen rund 70 weitere Künstlerkollektive meldeten und Interesse bekundeten, darunter auch Theatergruppen, Musiker, Zirkusartisten und Comic­zeichner.

Nicht alle sind auf der Suche nach Räumlichkeiten, die sie permanent mieten können. „Für mich als Kostümbildnerin beispielsweise wäre es einfach toll, einen Ort zu haben, an dem ich hin und wieder Filme aufführen kann, an denen ich mitgewirkt habe", so Silke Sommer. Die Kooperation mit den anderen Kollektiven kommt ihr schon jetzt zugute. „Jetzt habe ich direkten Kontakt zu Modedesignern in Palma und umgekehrt", sagt sie und deutet auf María José Orell.

Silke Sommer führte Bové auch in ihrer zweiten Heimat Berlin herum, zeigte ihr ­Beispiele wie das ehemalige Kunsthaus Tacheles, das einst von Künstlern besetzt gehalten wurde. „Aber was wir hier in Palma aufbauen wollen, hat rein gar nichts damit zu tun", betont Sommer. Es gehe um Innovation, nicht um politische Statements oder Alternativkultur. „Was wir wollen, hat weder mit Politik noch mit Religion zu tun", bekräftigt auch Sonia Bové. Vielmehr schwebe ihnen eine Art kreativer Gewerbepark vor.

Mallorca hat schließlich auch andere Branchen zu bieten als die Hotellerie."

„Der Standpunkt auf halber Strecke zwischen Palmas Innen­stadt und der Universität ist ideal", sagt Architektin Aina Soler vom Kollektiv Joves Arquitectes de Mallorca, das ebenfalls von ­Anfang an dabei ist. „Vielleicht kann man so auch verhindern, dass sich alles auf die Altstadt fokussiert." Den Zuspruch der Nachbarn im angrenzenden Viertel Cas Capiscol haben die Kreativen bereits, die sich mittlerweile unter dem Namen „Som sa Presó" („Wir sind das Gefängnis") vereinen. „Das Zentrum kann helfen, Leben in das barrio zu bringen, und das ist wichtig", sagt Aina Soler.

An der Baustruktur müsse man so gut wie gar nichts ändern, auch die räumliche Aufteilung - die Mischung aus kleinen Gefängniszellen, großen Gemeinschaftssälen und dem Außenbereich, in dem sich die Gefangenen einst die Beine vertreten durften - seien perfekt. Palmas Kulturdezernat sieht das ähnlich. 650.000 Euro will die Stadt investieren, um kleinere Reparaturarbeiten zu leisten, vieles nach den Wünschen der Kreativen.

Wie das ehemalige Gefängnis dann verwaltet wird, wer sich um was kümmert, muss erst noch eruiert werden. Anhand von Fragebögen, die die Künstlergruppen ausgefüllt haben und die die jeweiligen Wünsche und Bedürfnisse aufzeigen, sollen konkrete Arbeitsgruppen gebildet werden. Ende Juni soll dann bereits der Außenbereich für eine erste Veranstaltung geöffnet werden. „Von da an möchten wir Schritt für Schritt immer weitere Teile des Geländes instandsetzen", sagt Bové.