Franz Kraus ist dort angelangt, wo er vor über 30 Jahren schon einmal war: In führender Position in einem Lebensmittel­unternehmen, mit Personalverantwortung für über 70 Mitarbeiter. Der Unterschied: Es ist jetzt sein eigenes. „Ich gehöre zu den Bekloppten", sagt er. „Bekloppte", das sind die Unternehmer, die ein Geschäft sehen, wo andere nur Brachland wahrnehmen. Die nicht auf Spekulationsgewinne setzen, sondern von ihrer Idee so überzeugt sind, dass sie zu beträchtlichen Risiken bereit sind, um sie umzusetzen.

Bekloppt heißt dabei nicht verrückt oder gar unvorbereitet. Bekloppt, das ist rheinländisch. Franz Kraus, der 60-jährige Gründer und Chef der Unternehmensgruppe Fet a Sóller kommt aus Neuwied am Rhein. Er hat einst, nachdem er in der Schule zweimal sitzen geblieben war, eine Lehre in Landesproduktenhandel absolviert. „Da kennt man sich dann mit Getreide, Spritzmitteln, Obst und Gemüse aus", erklärt er.

Zu der Lehre hatte ihn sein Vater verdonnert. Seine Familie war im internationalen Handel mit Industrie­obst tätig, mit Äpfeln, Zwetschgen, Kirschen. Franz Kraus hätte lieber beim FC Andernach Fußball gespielt (durchaus talentiert: Bis die Knochen nicht mehr mitmachten, war eine Profikarriere denkbar). Oder sich über Politik gestritten. Man mag es kaum glauben angesichts vieler seiner heutigen Positionen etwa in Sachen Steuern (pro Touristensteuer) oder Infrastruktur (kontra Autobahnen), aber Franz Kraus brachte es einst bis zum stellvertretenden Vorsitzenden der Schülerunion Rheinland-Pfalz. Er sei dann Anfang der 80er-Jahre aus Protest gegen die Flick-Affäre aus der CDU ausgetreten, sagt er.

In der Lehre lernte er zu lernen. Franz Kraus holte das Abitur im zweiten Bildungsweg auf dem Wirtschaftsgymnasium Bonn nach. Von da an ging es geradliniger weiter: Studium der Betriebswirtschaft und Politik in Münster, Auslandsjahr in den USA, Diplomarbeit über „Marketing im Profi-Fußball", erster Job in einer Werbeagentur.

Eine Marke positionieren, neue Produkte entwickeln, Franz Kraus hat das schon damals in Deutschland gemacht, in der Süßwarenbranche. In der Milka-Hochburg Lörrach, „wo es im ganzen Ort nach Schoki riecht" (Kraus), arbeitete er an neuen lila Produktlinien. Als der Konzern Jacobs Suchard den Firmensitz nach Bremen verlegte, überwarf er sich mit der Geschäftsführung - Franz Kraus hat es nicht so mit den Norddeutschen. Er wechselte zu Katjes Fruchtgummis (Emmerich am Rhein), später zur Stollwerk AG (noch besser: Köln, zumindest damals).

Franz Kraus war erfolgreich, die Wirtschaftsmagazine wurden auf den jungen Manager aufmerksam. Er aber hatte eines Tages die Nase voll von der Managerwelt: „Mir war klar, die kochen auch nur mit Wasser - und das zum Teil menschenverachtend." Nachdem der Familienbetrieb an die Schwester gegangen war - Franz Kraus ist der Zweitjüngste von vier Geschwistern - blieb nur die eigene Unternehmensgründung.

Dass es dann Mallorca wurde, daran ist die Liebe schuld. Zur Insel und zu einer Frau. Franz Kraus sagt, er haben den Meeresgeruch noch in der Nase von jenem 23. Februar 1990, als er in Son Sant Joan aus dem Flugzeug stieg. Es ging direkt weiter nach Sóller, deutsche Freunde hatten ihn auf die ihm bis dahin völlig unbekannte Insel eingeladen. Es waren die gleichen Freunde, die Kraus eine deutsche Designerin vorstellten, die es schon zwei Jahre zuvor nach Sóller verschlagen hatte: Gabi Menz. Die beiden verliebten sich, heirateten 1992 und sind bis heute ein Paar.

Franz Kraus zog zu Gabi, und machte erst einmal ein Dreivierteljahr nichts. Oder doch: Er, der bislang nur Italienisch konnte, lernte Spanisch. „Bin ja ein Sprecher", sagt der Unternehmer, und das ist fast untertrieben: Hat er sich einmal in Fahrt geredet, ist Franz Kraus so etwas wie alle Gäste einer TV-Talkshow auf einmal.

Zunächst tat er das, was viele Deutsche auf Mallorca tun: Er pendelte. Franz Kraus machte sein Renommee als Produktentwickler zu Geld und tingelte von Sóller aus als Berater durch Europas Lebensmittel- und Süßwarenindustrie. Mit der Eisproduktion vor Ort begannen Franz Kraus und Gabi Menz 1994 mit einem weiteren Partner, Jochen Reuter. Eine „spontane Idee", stapelt Kraus im Gespräch rückblickend tief. Ihm sei zugute­gekommen, dass er als Student in Münster in einer italienischen Eisdiele gejobbt und das Handwerk gelernt habe: „Die Kunden nannten mich 'Francesco'." Das eigene Unternehmen, die berufliche Zukunft auf Mallorca, sollte freilich keine Eisdiele sein, sondern gleich eine ganze Eisfabrik, „Sa Fàbrica de Gelats, der Name war Konzept", sagt Kraus.

Ein Senkrechtstarter war das mit dem Eis nicht. Die ersten Jahre seien „sehr, sehr schwierig" gewesen, erinnert sich Kraus. An höherwertiges, teureres Eis hätte sich Mallorca erst gewöhnen müssen. Es sollte lange dauern, bis die Fàbrica de Gelats über Sóller und einige wenige Verkaufspunkte hinaus bekannt wurde. Bald habe sich zudem herausgestellt, dass das Konzept „zu eindimensional" gedacht war: 1996 gründeten Kraus und Menz deswegen noch Fet a Sóller (In Sóller gemacht), um unter diesem Label weitere Lebensmittel herzustellen und zu vertreiben.

Hier kam dann auch eine gemeinnützige Organisation ins Spiel, mit der Franz Kraus bis heute glaubwürdig belegen kann, dass es ihm mit der sozialen Marktwirtschaft ernst ist: Die Behinderten-Werkstätten von Estel Nou übernahmen die Marmeladen-Produktion. Heute sind dort an die 90 Mitarbeiter beschäftigt, die Menschen haben eine Aufgabe, Fet a Sóller feine Marmeladen und Estel Nou eine stabile Einnahmequelle.

Langsam, aber stetig ging es voran: Die kleine Firmengruppe wuchs von zehn auf zwanzig, von zwanzig auf fünfzig, von fünfzig auf die heutigen siebzig Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von derzeit „neun, zehn Millionen Euro". Der vielleicht wichtigste Einschnitt war der Einstieg in den Online-Handel Mitte der 2000er-Jahre. Von den Orangenkisten über die Gourmet-Öle bis hin zum Speiseeis vertreibt Fet a Sóller so ­europaweit ­balearische Produkte. „Im ­Vergleich zu den großen Konzernen sind wir aber immer noch eine Ameise", sagt Franz Kraus.

Keine Ameise ist die Firmengruppe im Orangen-Tal. Seit 2016 gehört zu ihr auch das direkt im Anbau und im Erhalt der Artenvielfalt tätige Unternehmen Horts de Sóller, Kraus schätzt, dass die Eisfabrik und Fet a Sóller über 90 Prozent der örtlichen Zitrusernte aufkauft, inselweit sei es etwa ein Viertel. Sichtbares Zeichen dieser Bedeutung ist auch der 2017 eröffnete Neubau der Eisfabrik im Gewerbegebiet Son Angelats, eine 2-Millionen-Euro Investition, die es nun ermöglicht, bis zu 6.000 Liter Speiseeis täglich zu produzieren.

Manchmal, erzählt Kraus, hieße es in Sóller, dass erst ein alemany habe kommen müssen, um das alles auf die Beine zu stellen. Er widerspreche dann immer: „Ich habe das nicht geschafft, weil ich Deutscher bin, sondern weil ich das gelernt habe." Vor den nationalen Identitäten stehen bei Kraus ohnehin die regionalen Identitäten: Sie seien es, die tatsächlich relevant sind. Und natürlich sei er zunächst einmal solleric, wie die Einwohner Sóllers genannt werden. Er sagt das dann im breitesten Mallorquinisch, denn auch das hat er sich über die Jahre angeeignet. „Ich bin sehr heimatverbunden und identifiziere mich voll und ganz mit dem Tal und seinen Menschen", sagt er, „sonst wäre das alles auch nicht machbar, hier hinter den Bergen."

Anfang Juni wollen seine Frau und er einen neuen Laden an Palmas Rathausplatz eröffnen (der Vorgänger am Carrer Unió ist wieder geschlossen). Im Herbst soll eine neue Halle für die Herstellung von Marmeladen und Eingekochtem hinzukommen, untergebracht in einem Anbau einer alten Textilfabrik in Sóller (die Pläne, die Fabrica Nova zu restaurieren und dort unter anderem ein Industriemuseum einzurichten, sind wieder vom Tisch). Franz Kraus tüftelt immer weiter: An einem nur aus Zitronen bestehenden Zitronenmehl, an Orangenscheiben-Chips, vielleicht auch an Seifen, die wie Obst aussehen, zwei Fotos in seinem Büro deuten darauf hin.

Gabi Menz und Franz Kraus haben keine Kinder. In der Firmengruppe, an der seit ein paar Jahren auch ein befreundetes Ehepaar beteiligt ist, arbeiten inzwischen junge, hoch qualifizierte Leute, auch aus dem Kreis der eigenen Familie. Es ist nicht so, dass sich Franz Kraus nicht über die Nachfolge Gedanken macht, aber sie liegt für ihn noch in weiter Ferne. Sein Geschäft sei „sehr, sehr komplex", sagt er mehrmals. Es ist offensichtlich, dass er unter Strom steht. Franz Kraus bleibt dran. Wie ein „Bekloppter" eben.