Vielleicht war der Erfolg von „Despacito" von Luis Fonsi und Daddy Yankee im vergangenen Jahr so groß, dass er in dieses Jahr hineinstrahlt. „Im Monat Mai hat sich noch kein eindeutiger Sommer­hit herauskristallisiert", sagt Daniel Vulic, Chef des Inselradios. „Früher gab es in den Urlaubsregionen immer einen Song, der häufig in den Diskotheken gespielt wurde, zu dem es dann meistens auch einen Tanz gab. Als wir 1996 mit dem Inselradio anfingen, war es zum Beispiel ,Macarena' von Los Del Río." Die Globalisierung der Musik durch das Internet und insbesondere Youtube als Musikplattform habe die Eindeutigkeit des Sommerhits ein wenig verwässert, so Vulic.

Denn natürlich gibt es in unterschiedlichen Ländern auch unterschiedliche Sommerhits. In Deutschland erfasst das Marktforschungsinstitut GfK Entertainment seit 2014 die jeweiligen Sommerhits, auch rückwirkend bis ins Jahr 1990 (MC Hammer „Can't Touch This"). Hier wird auch deutlich, dass die Bekanntheit des Künstlers nicht viel mit seinem Sommerhit-Potenzial zu tun hat. Denn das französische Folkpop-Duo Lilly Wood & The Prick dürfte dem Mainstream-Radiohörer kein Begriff sein. Der Robin-Schulz-Remix ihres Songs „Prayer in C" (laut GfK Sommerhit 2014) ist hingegen fast jedem bekannt. Auch Los Del Río waren vor ihrem Hit nur zwei ältere Herren, die mit ihren Gitarren durch Andalusien zogen. Und wie viele Menschen kannten in Deutschland vor 2017 den Namen Luis Fonsi?

„Despacito" war untypisch

„Despacito" war in mancher Hinsicht ein untypischer Sommerhit. Zumindest wenn man dem US-Magazin „Billboard" glauben mag, das die Sommerhits von 2003 bis 2013 analysiert hat. Gleich in zwei Kategorien zeigt sich der Sommerhit 2017 untauglich: Zum einen sind nur männliche Stimmen zu hören. Zum anderen setzt der Refrain erst bei Minute 1.01 ein - im Gegensatz zu den Sommerhit-tauglichen Sekunden 20 bis 39. Hinsichtlich der Songlänge lagen Luis Fonsi und Daddy Yankee aber richtig. Der durchschnittliche Sommerhit ist im Gegensatz zum Drei-Minuten-Klischee 3.55 Minuten lang. „Despacito" unterbietet diese Marke um sieben Sekunden. „Keiner weiß, warum ausgerechnet 'Despacito' zum Sommerhit wurde", sagt Vulic. Seiner Meinung nach könne es mit der „positiven Stimmung" zusammenhängen, die von diesem Song ausgeht - und die gerade in den politisch wirren Zeiten dringend benötigt werde.

Eine Studie der Streamingplattform Spotify im Jahr 2015 ergab gar eine Formel, um den Sommerhit-Faktor eines Songs zu berechnen. Demnach sei Sommerhit = Tempo + Energie x 1.48 + Tanzbarkeit x 1.17 + Einfluss von echten Instrumenten x 0.17 + positive Grundstimmung x 1.14. Demnach ist der perfekte ­Sommerhit also im Prinzip ein ­flotterer Song, der tanzbar ist, aber eher künstlich klingt und optimistisch daherkommt. Klingt logisch - und bis auf den mangelnden Einsatz von echten Instrumenten - auch ziemlich nach „Despacito".

"Waka Waka"

Ein Faktor, der in diesem Jahr hinzukommen könnte, ist die Fußball-WM. Shakira legte 2010 mit „Waka Waka" einen echten Partyhit hin. Ob „Live It Up" von Nicky Jam zusammen mit Will Smith und Era Istrefi da mithalten kann, bleibt abzuwarten. An Pitbulls „We Are One" von der WM 2014 erinnert man sich eher wenig.

Ein ernsthafter Kandidat in diesem Jahr kommt übrigens von der Insel. Nico Santos ist der Sohn von Melitta-Mann Egon Wellenbrink und ist auf Mallorca aufgewachsen. Sein Hit „Rooftop" hat auf Youtube 27 Millionen Klicks gesammelt und ist zurzeit einer der meistgespielten Songs im deutschen Radio.

Welcher Song auch immer es wird, irgendwann wird er einem auf die Nerven gehen. Weil man das Gefühl hat, dass man ihn ständig hört. Dieser Eindruck aber täuscht, zumindest wenn man bei einem Radiosender bleibt. „Wenn ein Song richtig beliebt ist, spielen wir ihn drei, allerhöchstens vier Mal in 24 Stunden", so Daniel ­Vulic vom Inselradio.