Der Tacho zeigt gut 60 Stundenkilometer an, als es die Kurven der Sa Calobra-Straße hinabgeht. Dann verliert die deutsche Urlauberin offenbar die Kontrolle über ihr Fahrrad, stürzt und prallt mit voller Wucht gegen eine Steinmauer. Bewusstlos bleibt die 53-Jährige liegen, ihr Gesicht ist blutüberströmt, das Auge schwer verletzt. Ein Hubschrauber bringt die Frau ins Krankenhaus. Wie schlimm es um sie steht, ob sie überhaupt mit dem Leben davonkommen wird, kann zu diesem Zeitpunkt noch niemand sagen. Doch es scheint glimpflicher abgegangen zu sein, als viele Augenzeugen zunächst befürchten. Bereits am nächsten Tag tritt die verunglückte Radlerin auf eigenen Wunsch den Rückflug nach Deutschland an.

Auf der Insel allerdings ist der Unfall von Mitte Mai immer noch ein Thema - weil etwas passierte, was in jüngster Vergangenheit immer häufiger auf Mallorcas Straßen zu beobachten ist: Es rasen gleichzeitig mehrere Krankenwagen zur Unglücksstelle, wo sich die Sanitäter mitunter regelrecht um das Opfer zanken. Im Vorjahr etwa rückten vier Ambulanzen an, um einen Mann zu versorgen, der sich lediglich das Knie leicht gestoßen hatte. Vorige Woche buhlten auf der Avenida vor Palmas Kathedrale ein gelber Krankenwagen des Rettungsdienstes 061, den die balearische Gesundheitsbehörde IB Salut koordiniert, und die Sanitäter der Privatklinik Juaneda um einen verletzten Motorradfahrer.

Auch in Sa Calobra - wo sich natürlich ein weitaus dramatischeres Bild bot - kamen zwei Kranken­wagen angebraust, einer der 061 und einer der Privatklinik Clínica Rotger. Abtransportiert wurde die Radfahrerin jedoch von einem Helikopter der Guardia Civil, der von der 061 verständigt worden war und das Opfer zusammen mit dem Notarzt der Rotger-Klinik zum ­Landeskrankenhaus Son Espases flog. Dort warteten wiederum eine 061-Ambulanz und ein Rettungswagen der Rotger. Es war Letzterer, der die Frau am Ende einlud und in die in Palmas Innenstadt gelegene Privatklinik brachte anstatt in die nur 50 Meter entfernte Notaufnahme von Son Espases, wo bereits das Notfallprotokoll „Código Trauma“ für Schwerstverletzte aktiviert worden war.

Das bereitstehende Ärzteteam schaute verärgert in die Röhre und informierte IB-Salut-Leiter Miquel Tomàs. Dieser forderte daraufhin ein Gutachten mit detailgenauen Informationen zur Rettung der deutschen Radlerin an, das derzeit von der Justiz­abteilung des Gesundheitsministeriums überprüft wird. „Erst wenn es ausgewertet ist, werden wir sagen können, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist oder nicht“, vertröstet IB Salut-Sprecher Juan Carlos Gonzalez.

Ina Martínez, Sprecherin der Clínica Rotger, versteht die Aufregung nicht. Die Patientin sei von einer Ambulanz der Klinik abgeholt und bei ihnen eingeliefert worden, da dies der Guide der Radler-Gruppe, die die Ausfahrt über den Radreiseveranstalter Max Hürzeler gebucht hatte, so angeordnet hatte. Dies bestätigt auch Hürzeler-Sportdirektor Marcel Iseli. „Der Guide hat den Krankenwagen der Rotger-Klinik selbst gerufen.“ Man arbeite schließlich immer mit Privatkliniken zusammen, da deren Personal in der Regel der deutschen Sprache mächtig sei und man die Gäste dort gut versorgt wisse. Bei öffentlichen Kranken­wagen wüsste man dagegen oft nicht mal, wo die Patienten hingebracht werden, „Und dann handelt es sich womöglich um Inca oder Manacor, wo die Angehörigen nur mit dem Taxi hinkommen.“

Doch wie kommen die Kranken­wagen der Privaten sonst an ihre Kundschaft? Rotger-Specherin Martínez will hierzu keine Auskunft geben - und verweist an den Notruf 112 und den Rettungsdienst 061, die für die Koordination der Kranken­wagen zuständig seien. Das sind zum einen die öffentlichen Ambulanzen von IB Salut, zum anderen externe Anbieter, die im Notfall-System der Balearen-Regierung registriert sind. Ob dies auch für die Krankenwagen der Rotger zutrifft, kann Martínez nicht sagen, da man den Krankentransportdienst an die Firma SSG fremdvergeben habe.

Klar ist die Lage hingegen in der Privatklinik Juaneda: Die drei Krankenwagen, die im Südwesten der Insel unterwegs sind, sowie die zusätzliche Ambulanz, die in den Sommermonaten in Alcúdia sta­tioniert ist, seien seit 2014 in dem Register aufgeführt, sagt Simone Luca Meli, der bei Juaneda als Ärztlicher Leiter für den Krankentransport zuständig ist. Jeden Morgen teile man dem Rettungsdienst 061 mit, wie viele Juaneda-Ambulanzen zur Verfügung stehen und ob diese mit Arzt oder nur mit Sanitäter unterwegs sind. „Wenn es dann bei 061 zu Engpässen kommt oder wir näher am Unfallort dran sind, werden wir alarmiert.“ Zudem würden Hotels, Reiseveranstalter, Mitarbeiter oder ganz gewöhnliche Bürger bei Juaneda einen Krankenwagen anfordern.

Als offenes Geheimnis gilt inzwischen aber auch die Taktik, dass Krankenwagen den Polizeifunk abhören, da die Beamten als erste über Unfälle informiert werden. Bis die öffentliche Ambulanz das offizielle „Go“ der 061 erhalte, könnten die privaten Konkurrenten somit schon mal einen kleinen Vorsprung herausfahren, heißt es. Juaneda-Arzt Meli will von solchen Praktiken nichts wissen. Über einen Mangel an Patienten jedenfalls könne man nicht klagen, sagt der Mediziner dann. Manchmal müsste man sogar zusätzliche Krankenwagen von Fremd­firmen, die abrufbereit zur Verfügung stehen, anfordern.

Auch den in Polizeikreisen immer wieder laut werdenden Vorwurf, dass bei lukrativen Unfallopfern der Ambulanzen-Andrang weitaus größer sei als bei kostenintensiven Herzinfarkt-Patienten, weist Meli zurück. „Je höher die Kosten, desto mehr ist über die Versicherung abgedeckt.“ Außerdem gehe es nicht darum, sich den Kranken um jeden Preis unter den Nagel zu reißen. „Wenn jemand es wünscht oder in besonders schweren Fällen bringen wir die Patienten auch in öffentliche Krankenhäuser wie Son Espases.“ Das habe schließlich auch mit Respekt vor dem dortigen Personal zu tun.

Warum wurde dann die Radlerin nicht dort behandelt? Dazu könne er, ohne die Hintergründe des Falls zu kennen, nichts sagen, entschuldigt sich Meli. „Aber als Privatperson meine ich: Wäre es meine Schwester gewesen, wäre es mir lieber gewesen, man hätte sie direkt in Son

Espases versorgt.“

Grund zur Sorge: Preisdumping im Krankentransport

Die Gesundheitsbehörde IB Salut vergibt den Krankentransport an externe Unternehmen. Im Zuge der erneuten Ausschreibung des Notfall-Transports gehen nun die Gewerkschaften FSTES und UGT auf die Barrikaden, da sie angesichts der Vergabe­kriterien und des Preisdumpings schlechtere Arbeisbedingungen für balearenweit rund 250 Mitarbeiter befürchten. Kritisiert wird, dass die Budgets für Personal und Unterhalt der Krankenwagen dermaßen auf Kante gerechnet seien, dass die Unternehmen nur mithilfe von Lohnkürzungen oder Entlassungen Gewinne erzielen könnten. Das Vergabeverfahren solle deshalb bis zum Amtsantritt der neuen Landesregierung auf Eis gelegt und dann überarbeitet werden.