Wenn Miguel Àngel Guerrero an die Partys auf Dorffesten denkt, die auf Mallorca in diesem Sommer noch anstehen, rauft er sich die Haare. Er ist Vater eines halbwüchsigen Sohns. „In den vergangenen Jahren ist es unter den Jugendlichen immer beliebter geworden, zu diesen verbenas zu fahren, um sich möglichst schnell zu betrinken", sagt das Mitglied der Elternvereinigung Federació d´Associacions de Pares i Mares d´Alumnes (Fapa). Zu dieser Entwicklung hätten die sozialen Netzwerke entscheidend beigetragen. Zwar gebe es die Dorffeste schon seit Ewigkeiten, aber die Jugendlichen hätten sie Zug um Zug unterwandert und zum Teil zu reinen Besäufnissen umfunk­tioniert. „Wir Erwachsenen haben dort mittlerweile nicht mehr so viel zu melden." Inzwischen gehe das so weit, dass einige Bürgermeister dorffremde Besucher in den sozialen Netzwerken fast beknieten, bloß nicht zu kommen, um chaotische Zustände zu vermeiden. „Damit nicht so viele Leute kommen, sind manche Gemeinden dazu übergegangen, die verbena mittwochs und nicht wie früher samstags anzusetzen."

Ärgernis „Birracruzis"

Die Lokalpolitiker seien sich des Problems zwar bewusst, würden aber noch nicht beherzt genug handeln, sagt Gloria Ferrer, ebenfalls Mitglied des Elternverbandes. Wie anders sei zu erklären, dass etwa die Gemeinde Inca ein morgendliches öffentliches Besäufnis namens „Birracruzis" zuließ, das von Barbetreibern organisiert wurde. Das Spektakel fand am Samstag (23.7.) zwischen 9 und 12 Uhr statt, in den vergangenen Jahren war es mal in Alcúdia, mal in Pollença und mal in Santa Margalida immer samstagvormittags über die Bühne gegangen. Eine Freundesgruppe hatte den „Bier-Kreuzweg" vor zehn Jahren erfunden. Die Teilnehmer zahlen 20 Euro und werden dafür uniformiert und ausgerüstet. Am Ende verputzen sie gemeinsam eine Paella. „Immerhin haben wir erreicht, dass derjenige, der die meisten Gläser

herunterkippt, nicht mehr wie früher einen Preis bekommt."

Die Elternvertreter bemängeln, dass es in Spanien kein landesweites Gesetz gibt, das den Alkoholkonsum der Minderjährigen im öffentlichen Raum verbietet. „Polizisten haben deswegen keine legale Handhabe, einen Teenager auf der Straße anzuweisen, dass er mit dem Trinken aufhören muss", sagt Miguel Àngel Guerrero. Einzelne Gemeinden könnten zwar - wie kürzlich in Algaida geschehen - Verbote aussprechen oder Eltern mit Bußgeldern belegen, aber das komme zu selten vor.

Außerdem seien in Spanien Jugendliche nicht verpflichtet, zu bestimmten Uhrzeiten zu Hause zu sein, so Gloria Ferrer. Das Jugendschutzgesetz in Deutschland ­dagegen definiert genau, um wie viel Uhr Schluss ist. Unter 14-Jährige müssen grundsätzlich bis 22 Uhr zu Hause sein. Werden sie von Polizisten aufgegriffen, können die Eltern mit Bußgeldern belegt werden. Das Jugendschutzgesetz definiert auch, wann ein Minderjähriger Alkohol trinken darf. Der Konsum ist für bis 14-Jährige verboten und danach bis zum 16. Lebensjahr nur in Anwesenheit von Eltern erlaubt, wobei dies nur für Wein, Bier und daraus hergestellte Mixgetränke gilt. Harte Spirituosen sind bis zum Erreichen der Volljährigkeit untersagt.

Einstiegsalter: 13,9 Jahre

Die Sorgen der Insel-Eltern werden durch die Umfragen eines Europäischen Netzwerks für Suchtprävention (Irefrea) belegt. „Auf den Balearen hat die Bereitschaft der 14- bis 17-Jährigen, sich am Wochenende gezielt zu betrinken, in den vergangenen Jahren deutlich ­zugenommen", sagt Montse Juan, die für das Netzwerk in Palma arbeitet. „Der Prozentsatz liegt jetzt bei 32, vor zehn Jahren waren es noch unter 30 Prozent und vor 20 Jahren unter 20 Prozent." Besorgniserregend sei die Entwick­lung besonders bei den ­Mädchen: „37 Prozent betrinken sich an Wochen­enden gezielt." Insgesamt 77 Prozent der 14- bis 17-Jährigen hat den Angaben von Irefrea zufolge im Jahr 2015 Alkohol konsumiert, das Einstiegsalter beträgt statistisch 13,9 Jahre. Die Jugendlichen decken sich zumeist in Supermärkten mit Alkohol ein. „Oft schicken sie volljährige Bekannte vor und warten draußen", berichtet Montse Juan.

Unverantwortliche Eltern

Die Elternvertreter und die Expertin für Suchtprävention geben unverantwortlichen Vätern und Müttern einen Teil der Schuld für den ungehemmten Alkoholgenuss. „Ich kenne Leute, die ihren Kindern Alkohol mitgeben, damit sie auf der verbena den trinken und nicht anderen, womöglich gepanschten", sagt Miguel Àngel Guerrero. Dabei müsse es doch darum gehen, den Alkohol ganz zu verbannen. Laut den Umfragen des Irefrea-Netzwerks hat die Bereitschaft der Eltern, das Trinkverhalten des Nachwuchses zu tolerieren, über die Jahre deutlich zugenommen. Interessant ist, dass die Mütter inzwischen lange nicht mehr so nachgiebig wie die Väter sind. Früher war es umgekehrt.

Parallel dazu üben den Elternvertretern zufolge Bar- und Restaurantbetreiber im Kleinen, Brauereien, Winzer und Spirituosenkonzerne im Großen Druck auf die Politik aus. „In Spanien hat die Alkohollobby mehrfach Schutzgesetze verhindert", weiß Gloria Ferrer. Wobei bei den Konzernen, was Minderjährige anbelangt, zu ihrer Überraschung ein Umdenken einzusetzen scheint. „Die unterstützen aus Imagegründen zunehmend Forderungen, Alkohol für Teenager einzuschränken." Dennoch: Bis zur Rigorosität, die in Spanien seit Jahren beim Tabakkonsum gilt - das Rauchen in Bars und Restaurants ist bekanntlich streng verboten - sei es noch ein weiter Weg.