Moder und Weihrauch. Verstummt ist das antike Telefon im Flur, die Flasche Rioja von 1994 in der Vitrine mag längst niemand mehr trinken. Im Salon droht der verstaubte Kronleuchter auf die wulstigen Brokat­sessel herabzufallen, während von den vergilbten Familienfotos die Angehörigen des einstigen Hausherren seit Jahren ins Leere lächeln. Der Bewohner war, darauf lassen die Universitätsdiplome an den Wänden schließen, ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der sich später offenbar auf Zahnmedizin spezialisierte - und diese sogar in den eigenen vier Wänden praktizierte, wie ein Zahnarztstuhl und allerlei anderes Equipment aus dem vorigen Jahrhundert in einem Nebenraum beweisen. Seit seinem Tod vor mehr als zehn Jahren ist das herrschaftliche Stadthaus in Palmas Calatrava-Viertel verwaist.

Nun wollen seine Erben die stattliche Immobilie mit einer Nutzfläche von 1.200 Quadratmetern loswerden. Zunächst verlangten sie 2,5 Millionen Euro. „Vollkommen überteuert", sagt Christoph Ziegler von der Immobilienagentur Europalma, die derzeit etwa zehn Stadtpaläste im Angebot hat. Inzwischen würde man sich mit 1,4 Millionen begnügen, wodurch das Objekt mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis aufwarte, das Palmas Palast-Markt momentan zu bieten hat. Das zumindest versichert Ziegler, der noch in diesem Jahr mit einem Besitzerwechsel rechnet.

Mehr als das Siebenfache muss man für eines der teuersten aktuell zum Verkauf stehenden Altstadt­häuser aufbringen: Can Oliver nahe der Rambla. Für 10,5 Millionen Euro gibt es allerdings nicht nur einen riesigen Koloss, der mit rund 3.600 Quadratmeter Wohnfläche fast einen ganzen Straßenblock einnimmt, sondern obendrein noch eine dicke Portion Inselgeschichte. Das auch unter dem Namen Can O´Neille bekannte Gebäude, dessen Ursprünge auf das 16. Jahrhundert zurückgehen, gilt als Geburtshaus des mallorquinischen Landschaftsmalers Juan O´Neille i Rosiñol (1827-1907). In den 60er Jahren eröffnete dann eine Familie namens Oliver, die selbst in der planta noble - also im herrschaftlichen Wohnbereich auf der „feinen Etage" - residierte, ein Touristen­lokal im Erdgeschoss. Dort, wo früher Esel und Pferde standen, erfreuten sich fortan die ausländischen Besuchern an Flamenco-Shows, „Ball de bot"-Aufführungen und Hoch­prozentigem von der Insel, wobei vor allem der palo con sifón in Strömen geflossen sein soll.

1990 war damit Schluss. Heute erinnern nur noch ein alter Kühlschrank und die verfallenen Gäste­toiletten an die Spektakel. Die Familie verkaufte zunächst an einen Schweden, der aus Can Oliver angeblich ein Hotel machen wollte, sich dann aber wieder davon trennte. Aktuell ist die Immobilie im Besitz eines Investors aus Barcelona, der vor einigen Jahren immerhin den Dachstuhl vollständig erneuerte, sodass Regen und Feuchtigkeit den Bau nicht weiter zerfressen. Doch seitdem liegt der Palast im Dornröschenschlaf. Im aus dem 18. ­Jahrhundert

stammenden Innenhof, der einst als einer der schönsten der Insel galt, wuchert das Unkraut, die Treppen sind übersät von Taubenkot.

Unter lautem Knarzen öffnet Christoph Ziegler die mächtige Tür zum früheren Hauptsaal der planta noble im ersten Stock. „Das ist das höchste Zimmer in einem Wohnhaus auf Mallorca", sagt der Makler und blickt die neun Meter hohen Wände empor. Farbenprächtige

Kachel­böden und Deckenleuchter zeugen von besseren Zeiten. Im Raum nebenan ragt eine verrostete Badewanne aus einem weinrot gefliesten Wandstück. Es ist dunkel, die hohen Fenster zur Straße hin sind zugemauert, seit sich 2001 hier Hausbesetzer breit gemacht hatten.

„Für das Gebäude liegen Entwürfe vor, es in elf Luxuswohnungen zu verwandeln", erklärt Ziegler, dem beim Verkauf - ebenso wie den anderen Maklern, die dieses Objekt im Angebot haben - eine erquickliche Provision von gut 380.000 Euro winken würde. Theoretisch wären auch die Errichtung eines Stadthotels oder die Nutzung als privates Wohnhaus möglich - wobei in jedem Fall noch mal eine ordentliche Investition von mehreren Millionen Euro nötig wäre, um die alten Gemäuer wieder in Schuss zu bringen.

Was man aus einem Gebäude machen könne, hänge vom jeweils gültigen Flächennutzungsplan ab, erklärt Ria Blum, die das Palma-Büro der Immobilienagentur Porta Mallorquina leitet. Der persönlichen Gestaltungsfreiheit würden außerdem oftmals die Auflagen des Denkmalschutzes Grenzen setzen. „Wenn etwa die Fassade erhalten werden muss, darf man keine größeren Fenster einbauen, auch wenn nur wenig Licht in die Räume kommt."

Den Eindruck, dass seit einiger Zeit immer mehr der stattlichen Altstadthäuser zum Verkauf stehen, bestätigen sowohl Ziegler als auch Blum. „Und ich wünschte, es wären noch wesentlich mehr, denn die Nachfrage ist viel größer als das Angebot", sagt auch Alejandra Vanoli von Mallorca Sotheby´s International Realty. Viele der Häuser stehen seit Jahren leer. Wer verkaufen will, hat oft die schlechte Marktsituation während der Krise ausgesessen. Jetzt dagegen, wo immer mehr Ausländer sich einen Zweitwohnsitz im casco antiguo gönnen wollen, wittern viele die Chance auf hohe Verkaufserlöse. Wobei es nicht selten vorkomme, dass ein Besitzer oder eine Erbengemeinschaft mit ihren irrwitzigen Preisvorstellungen weit übers Ziel hinausschießen. Völlig überteuert ist in Ria Blums Augen etwa das 1.400 Quadratmeter große, renovierungsbedürftige Objekt zwischen Sindicat- und San Miguel-Fußgängerzone, das 6,5 Millionen Euro kosten soll. Das entspräche einem Quadratmeterpreis von mehr als 4.600 Euro. „Für alles, was erst noch renoviert werden muss, sind je nach Lage und Meerblick nicht mehr als 1.000 bis maximal 1.500 Euro drin", sagt Blum. Zumal es einen nur 100 Quadratmeter kleineren, dafür aber vollständig sanierten und in zehn Luxusapartments aufgeteilten Palast aus dem 18. Jahrhundert schon für 5,4 Millionen Euro gibt - Gaszentralheizung, doppeltverglaste Echtholzfenster und amerikanisches Nussbaumparkett inklusive. „Gut verkaufen lässt sich eigentlich nur, was über Terrassen, Garagen und Aufzug verfügt", sagt Alejandra Vanoli.

Dass die Mallorquiner in letzter Zeit immer verkaufsfreudiger werden, könnte auch am Gebäude-TÜV, der „Inspección técnica de edificios" (ITE) liegen, den Palmas Bauten seit Ende 2008 vorweisen müssen. Bevor sie ihre baufällige oder gar einsturzgefährdete Immobilie sanieren oder eine Strafe riskieren, wenn sie es nicht tun, verkaufen viele lieber. Zumal nicht jeder Eigentümer das Geld für eine umfassende Renovierung aufbringen kann.

Verkaufen will zudem ein Graf, der bis heute den von Ferdinand VII. geschaffenen Titel „Conde de España" trägt und in dessen Besitz sich der Stadtpalast Posada de los Cartoixos befindet. Das 5,3 Millionen teure Anwesen nahe des Museo de Mallorca diente bis ins 19. Jahrhundert den Mönchen der Kartause von Valldemossa als Palma-Residenz, danach erwarb es besagte Adels­familie. Einen Käufer suchen auch die beiden Herrenhäuser in der Nummer 1 und 3 der Carrer del Sol, wo derzeit die Tourismushochschule ETB untergebracht ist. Die ­Eigentümer hätten bereits neue Räumlichkeiten im Parc Bit in Aussicht, in die die Hochschule umziehen soll, erzählt Ziegler. Für 4,2 beziehungsweise 3,5 Millionen Euro - oder 7 Millionen im Doppelpack - sind die beiden Gebäude, eines davon mit traumhaftem Innenhof, nun zu haben. „Unten, wo früher die Pferdeställe waren, ist sogar eine Garage mit zehn Stellplätzen vorhanden."

„Die Interessenten sind zu 90 Prozent Ausländer", sagt ­Alejandra Vanoli von Mallorca Sotheby´s International Realty - darunter vor allem Deutsche, Briten, Skandinavier. „Wir haben eine Liste von Kunden, die gezielt etwas für Luxushotels oder -wohnungen suchen", berichten Ria Blum und Jan Diedrich von Porta Mallorquina.

„Bei Objekten in dieser Preisklasse fordern die Verkäufer erstmal eine Bankauskunft - was ausschließen soll, dass hier jemand sein Schwarzgeld los wird", weiß Christoph Ziegler zu berichten. Überstanden hat die Bonitätsprüfung offenbar der italienische Industrielle, der jüngst ­Interesse an Can Oliver bekundet hatte und anschließend mit Pelzmantel und wehender Mähne zum Besichtigungstermin erschienen ist. Den Stadtpalast wollte er als Wohnhaus für sich und seine Familie nutzen. „So jemanden kann man sich auch lebhaft hier drin vorstellen," sagt Ziegler, als er das schwere Tor abschließt und die Alarmanlage wieder aktiviert. „Da wüsste man, dass der Palast in guten Händen ist."

So jemanden zu finden hofft auch Blanca Palau de Comasema, Miteigentümerin des gleichnamigen ­Herrenhauses - die umgehend klar stellt, dass es sich bei Can Palau de Comasema um eben eine solche casa señorial handle, und keinen Stadt­palast, wie die historischen Stadthäuser fälschlicherweise oft genannt werden. „Mein Wunsch ist, dass sich jemand in das Haus verliebt", sagt die

Mallorquinerin, die sich nach langem Zögern zusammen mit den anderen Erben zum Verkauf des Hauses ihrer Großeltern in der Carrer Sant Jaume entschieden hat. Dass damit ein weiteres Stück von Palmas Historie in die Hände von Menschen gerät, die mit der Geschichte und Kultur der verwinkelten Altstadtgassen nichts am Hut haben, gibt sie unumwunden zu. Sie hoffe, dass der neue Besitzer dem Gebäude, mit dem sie so viele Erinnerungen verbinde, zumindest die angemessene Wertschätzung entgegenbringe. Ein deutscher Künstler liebäugelt wohl mit Can Palau de Comasema. Aber die erbetenen 3,8 Millionen Euro schüttle man eben nicht mal so aus dem Ärmel. „Nicht mal als Deutscher."