Als Seemann hat Jaume Amengual viel von der Welt gesehen, doch die unsteten Zeiten sind längst vorbei. „Ich geh´ hier nicht mehr weg", sagt der 68-Jährige, der seit 1984 in einer etwa 30 Quadratmeter großen Wohnung im Carrer de l´Hostal d´en Bauló mitten in der Altstadt von Palma wohnt. Das Gebäude ist heruntergekommen, aber längst nicht so marode wie der Großteil der anderen Häuser in der kurzen Gasse, wo die Fenster zerbrochen oder zugemauert und die Decken nur dank Stützpfeilern am Einsturz gehindert werden.

Vor wenigen Monaten haben jedoch auch in diesem Winkel des casco antiguo die Baufirmen Einzug gehalten - mit dem Ziel, die schäbigen Bauten von Grund auf zu sanieren und in luxuriöse Apartments zu verwandeln. In einem der Gebäude hat die Firma „36-40 Project Management" bereits mit den Arbeiten begonnen; wenn alle erforderlichen Lizenzen vorliegen, nehme man das Haus von Jaume Amengual in Angriff, sagt Juan de Dios Aguayo, einer der beiden Geschäftsführer. „Allerdings renovieren wir um Jaume herum, er kann in seiner Wohnung bleiben und bekommt sogar noch einen Aufzug, für den er keinen Cent bezahlen muss."

Auch Doña Enriqueta wird ihre Wohnung im ersten Stock der Hausnummer 12 im Carrer de la Carnisseria zwischen Plaça d´en Coll und Kirche Santa Eulàlia behalten. Das restliche Gebäude hat die hochbetagte Mallorquinerin an Agua­yo und seinen Sozius verkauft, die im Frühjahr 2015 mit der Sanierung begannen. Dieser Tage verpassen die Arbeiter den fünf Wohnungen den letzten Schliff. Moderne Annehmlichkeiten wie Badewanne, isolierte Fenster und Fußbodenheizung wurden darin mit original Dachbalken, Fliesen oder Steinmauern kombiniert. Und das Sahnehäubchen: Sogar für den Einbau eines Aufzugs fanden die Architekten am Ende einen Weg, ohne das historische Gemäuer übermäßig zu verunstalten.

Solche Happy Ends sind allerdings selten, seit internationale Investoren sich Palmas Altstadt­gassen nach und nach einverleiben - zumal die rücksichtsvollen Lösungen vor allem der Tatsache geschuldet sein dürften, dass die alteingesessenen Mallorquiner als Wohnungs­eigentümer schlichtweg am längeren Hebel saßen. In den allermeisten Fällen endet der Verkauf einer in der Regel recht verwahrlosten Immobilie jedoch mit dem Auszug der einheimischen Mieter. Die neuen Bewohner sind dann zumeist Ausländer. Die neuen Eigentümer der vier Wohnungen im ehemaligen Haus von Doña Enriqueta etwa kommen aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Norwegen.

Das ist der Trend. Unter Nordeuro­päern ist Palmas Altstadt gefragt wie nie. „Wir haben 2015 sieben Wohnungen hier im Viertel verkauft, unter den Käufern war kein einziger Mallorquiner", sagt Aguayo, während am Eingang des frisch renovierten Hauses eine alte Dame stehen geblieben ist und neugierig ins Treppenhaus lugt. „Eine Freundin von mir hat früher mal im zweiten Stock gewohnt. Wie es da wohl jetzt aussieht?", sagt sie etwas wehmütig.

Bäcker Christian Aparicio, der direkt nebenan die jahrhundertealte Panaderia Fiol betreibt und inzwischen sogar Eigentümer der Backstube samt angeschlossener Wohnung ist, kann den „brutalen Wandel", den Palmas Altstadt seit nahezu zehn Jahren erfährt, aus nächster Nähe mitverfolgen. Allein in der Straße ein Stück abwärts seien im vergangenen Jahr zwei Gebäude verkauft worden, erzählt er. In einem entstünden Luxusapartments. „Das andere hat angeblich eine von der irischen Band The Corrs gekauft, die dort ein Boutiquehotel eröffnen will", glaubt Aparicio zu wissen. Völlig unrealistisch wäre das nicht - Corrs-Drummerin Caroline etwa ist großer Inselfan und hat 2002 in Deià Hochzeit gefeiert.

Quadratmeterpreise zwischen 8.000 und 15.000 Euro für Meerblick-Penthaus

Dass es vielen Einheimischen offenbar nicht schwerfällt, sich von ihren teils seit Generationen in Familienbesitz befindlichen Immobilien zu trennen, verwundert den Bäcker nicht. „Wenn ein Investor ein attraktives Angebot macht, überlegen viele nicht zweimal." Die wenigsten hätten selbst das Geld für die Sanierung - oder wegen ihres fortgeschrittenen Alters die Kraft dazu.

Bevor die neuen Besitzer zu Werke gehen können, müssen sie allerdings oftmals erst die verbliebenen Bewohner loswerden. „Mit Geld lässt sich das schnell regeln", ist Bäcker Aparicio überzeugt. Wer als Investor nicht warten wolle, bis ein Mietvertrag auslaufe, helfe eben mit einer kleinen Entschädigungszahlung nach. Ein junges Paar ein paar Straßen nahm die 2.000 Euro - schwarz natürlich - gerne. Damit ist schon mal die Maklerprovision und die halbe Einrichtung für die nächste Wohnung bezahlt. Anderen Mietern dagegen falle der Weggang schwer - zumal sie wissen, dass sie in der Altstadt für einen ähnlichen Preis nichts mehr finden dürften.

„Die werden mich rauswerfen"

Juan Manuel Cano, der seit elf Jahren schräg gegenüber der ­Bäckerei in einer 19 Quadratmeter großen Wohnung lebte, ist so ein Fall. Vor Kurzem erhielt der 72-Jährige einen Anruf des Vermieters: Das Gebäude sei an einen deutschen Investor verkauft worden, er müsse ausziehen, hieß es. Im von der linken Stadtregierung geschaffenen Anti-Zwangsräumungsbüro habe man ihm zwischenzeitlich erklärt, dass er ­seinem Vertrag zufolge noch bis Oktober 2017 in der Wohnung bleiben könne. Doch der Rentner hat seine Zweifel. „Die werden mich rauswerfen, und dann wird das hier an Touristen ­vermietet", befürchtet er.

Unrealistisch ist auch das nicht: 19 Quadratmeter eignen sich, erst einmal umgebaut und schön hergerichtet, hervorragend als Zimmer in einem kleinen edlen Stadthotel. Oder als Studio, das Urlauber künftig über einschlägige Portale wie Airbnb buchen können. In beiden Fällen würde die Rendite um ein Vielfaches steigen: Die 250 Euro, die Cano bislang pro Monat bezahlt, könnten die neuen Eigentümer mit einem Hotelzimmer in einem, mit einem Ferienapartment mitten in der Altstadt in zwei oder drei Tagen einnehmen.

„Ein absolut übliches Geschäft"

Objektentwicklung nennt Alexander Prinz von der Firma MPS Estate das. „Ein absolut übliches Geschäft: Unternehmen erwerben Gebäude, bauen sie um und verkaufen sie weiter." Das laufe in Hildesheim nicht anders ab als in Palma, sagt der Deutsche, der im Sommer 2015 in Sichtweite zur Plaça d´en Coll ein herrschaftliches Gebäude gekauft hat, in dem nun zwei luxuriöse Apartments und ein Penthouse mit riesiger Dachterrasse und Meerblick entstehen, zu Quadratmeterpreisen zwischen 8.000 und 15.000 Euro. Allerdings habe jede Stadt ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten - und während in Berlin aktuell neun von zehn Wohnungen an Russen verkauft würden, locke Palmas Altstadt vor allem Deutsche, Schweizer, Briten und Skandinavier an. Unter den Interessenten sei bisher alles vertreten gewesen, nur keine Spanier, sagt Prinz. „Das ist wie wenn man abends durch die Gassen läuft: Da hört man Englisch, Schwedisch und Schweizerdeutsch." Doch das sei eben der Lauf der Zeit, den könne man nicht aufhalten.

Anwohnervereinigungen, Sozialverbänden und Linkspolitikern aber bereitet die Goldgräberstimmung im casco antiguo zunehmend Sorge. Zum einen weil der Wohnraum für Einheimische dadurch immer knapper und unerreichbar teuer wird - ein klares Zeichen für Gentrifizierung, wie Soziologen den sozioökonomischen Strukturwandel eines Viertels nennen. Zum anderen, weil die Altstadt damit mehr und mehr zum Museum verkommt, in dem man allmählich mehr Menschen mit Rollkoffern als Einheimische antrifft.

Juan de Dios Aguayo von „36-40 Project Management", selbst Mallorquiner, ist das Problem der steigenden Mietpreise durchaus bewusst. Dennoch kann er der Entwicklung vor allem Positives abgewinnen: Durch die neue Multikulturalität steige Palma in die Liga der interessantesten Städte der Welt auf - wo New York und Berlin schon jetzt rangierten. Gleichzeitig werden die Altstadtbauten durch den Sanierungsboom vor dem Verfall bewahrt, wobei gerade das ausländische Klientel viel Wert auf möglichst originalgetreue Instandsetzung lege. Auch traditionelle Geschäfte, die einst aus dem zum Drogen- und Rotlichtviertel verkommenen casco antiguo verschwanden, kehrten nun dank des kauffreudigen ausländischen Klientels zurück.

Jaume Amengual, dem Seemann, ist das alles einerlei. Ausländische Nachbarn stören ihn ebenso wenig wie schicke Läden oder Boutiquehotels. Solange Doña María nebenan ihren Imbiss nicht dichtmacht. Da gibt es schließlich die besten bocadillos und die Dose Cola für ­80 Cent. Noch.