Wer sagt denn, dass Häuser immer aus Beton, Kunststoff und anderen herkömmlichen und zumeist wenig umweltfreundlichen Materialien hergestellt werden müssen? Das balearische Wohnungsbauinstitut Ibavi hat in Zusammenarbeit mit dem balearischen Umweltministerium bewiesen, dass es auch anders geht. Architekt Carles Oliver, der für das Ibavi arbeitet, hatte bereits 2009 ein Projekt begonnen, bei dem es darum ging, Wohnungen von Ibavi möglichst klimaneutral zu erbauen. Denn spätestens ab dem kommenden Jahr müssen alle öffentlichen Gebäude auf den Inseln die beste Energieeffizienzklasse A aufweisen.

Das Pilotprojekt startete auf Formentera, hier wurden 14 Sozialwohnungen gebaut, für die die Bewohner 300 Euro Miete im Monat zahlen. Die Herangehensweise, die Oliver mit seinem 40-köpfigen Team wählte, ist zwar ein wenig teurer als die herkömmlichen Methoden, Häuser zu bauen, aber dafür greift Oliver bevorzugt auf Materialien zurück, die in der Region vorkommen oder hergestellt werden und fördert so die heimische Wirtschaft.

Oliver verwendete Kalk für die Fassaden aus Felanitx, Mauerziegeln aus Vilafranca de Bonany, Holz aus ökologischer Aufzucht aus dem Baskenland, Glas aus zweiter Hand von der Fundación Deixalles. Die Dachbalken stammen zwar aus Österreich, dafür verwendete er als Dämmstoff das auf den Inseln im Winter an den Stränden in großen Haufen umherliegende Neptungras, die sogenannte posidonia. Möglichst wenig unnötige Transportwege und möglichst umweltfreundliche Materialien waren das Ziel.

„Damit wollten wir auch vermeiden, Baustoffe aus der sogenannten Dritten Welt zu verwenden, die oft unter Ausbeutung der dortigen Arbeiter produziert werden", sagt ­Oliver.

Im Endeffekt verwendete Oliver für seine Wohnungen auf Formentera nur rund ein Prozent des sonst für den Bau eines vergleichbaren Hauses benutzten Betons. Ganz ohne ging es nicht, es mussten Vorgaben für die Erdbebensicherheit eingehalten werden. Die Verwendung von Beton möglichst weit zu reduzieren, war ein Hauptanliegen, denn die Betonproduktion ist weltweit für etwa sechs bis neun Prozent aller menschengemachten CO2-Emissionen verantwortlich. Zum einen ist das Brennen des für die Herstellung benötigten Zements sehr energieaufwendig, und auch während des Brennvorganges löst sich viel CO2 aus dem Kalkstein. Wichtig ist für Oliver letztendlich auch, dass er von 90 Prozent der Baustoffe weiß, woher sie stammen. „Das ist der eigentliche Reiz an dem Projekt."

Um das auch finanziell stemmen zu können, erhielt Life Reusing Posidonia, so der offizielle Name des Programms, 754.000 Euro aus Fonds der Europäischen Union.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Oliver hat es geschafft, dass seine Wohnungen auf Formentera 75 Prozent weniger Energie verbrauchen als herkömmliche Häuser, dass beim Bau 50 Prozent weniger Müll anfällt und dass 60 Prozent weniger Wasser verbraucht wurde. Bei den Bauarbeitern griff Oliver auf Personal von den Inseln selbst zurück, was wiederum die Luftverschmutzung für unnötige Reisen reduzierte.

Das sei ja alles gut und schön, sagt Oliver. Der erste Schritt sei getan. „Aber das Wichtige an unserer Arbeit ist, den Weg zu ebnen und es nicht beim Experiment zu belassen." Damit es weitergeht, ist Ibavi in Palma bereits das nächste Projekt angegangen. Im Carrer Regal in Palmas Einwandererviertel Son Gotleu sollen die nächsten Gebäude des Life-Reusing-Posidonia-Programms entstehen. Hierbei handelt es sich um fünf Wohneinheiten, die zwischen 55 und 65 Quadratmeter groß sind. Auch bei diesen Wohnungen soll das Neptungras als Dämmmaterial eingesetzt werden. Studien hätten ergeben, dass posidonia die selben Dämmeigenschaften wie herkömmlich verwendete Stoffe besitze, so eine Mitarbeiterin von Ibavi. Das Gras werde getrocknet und dann verbaut, so würden keine Gerüche entstehen. Bleibe es vor Feuchtigkeit geschützt, könne es Jahrhunderte halten.

Das Projekt hat europaweit Beachtung gefunden und wurde bereits ausgezeichnet. So verlieh Ende November die spanische Fachzeitung NAN Oliver den Preis für das beste Wohnungsbauprojekt im Land. Eine Wanderausstellung befindet sich nach Stationen auf Formentera, Ibiza und Palma nun auf dem Weg durch Europa. Barcelona, Sevilla oder Kreta sind weitere Ausstellungsorte. Im Juni endet die Schau in Paris.