Hans Grothe, 1930 in Duisburg geboren, zählt zu den bedeutendsten privaten Kunstsammlern der Bundesrepublik Deutschland. Einen großen Teil seiner 1.100 Werke umfassenden Kollektion hat er 2006 an die Wella-Erben verkauft. Nur von einem konnte Grothe sich nicht trennen: von den Werken Anselm Kiefers. Kiefer, geboren 1945, gilt als einer der wichtigsten Künstler der Gegenwart. Anlässlich des fünften Geburtstages des Museums Es Baluard werden aus der Sammlung Grothe derzeit 27 Exponate in Palma gezeigt.

Immobilienhändler, Architekt, Bauunternehmer, Bautycoon - wie soll ich Sie nennen?

Als Immobilienhändler und Bautycoon bezeichnete man mich zu Anfang meiner Sammlertätigkeit. Später brachte man mir mehr Respekt entgegen. Da habe ich es immerhin bis zum Immobilienkaufmann gebracht. Nennen Sie mich Architekt.

Seit wann sammeln Sie Kunst?

Seit 1957, zunächst ausschließlich Expressionisten.

Spielte in Ihrer Familie Kunst eine Rolle?

Gar nicht. Mein Vater war Bergmann. Flaschenbier spielte da eine Rolle.

Woher rührt Ihre Liebe zur Kunst?

Ich habe in Trier Architektur studiert und nebenbei in Mainz Kunst-Vorlesungen gehört. Dort habe ich mich auf die Impressionisten und Expressionisten konzentriert. Alles andere hat mich nicht interessiert.

Wann kauften Sie das erste Bild?

1955 habe ich zum ersten Mal Geld als Architekt verdient und wollte mir einen Porsche kaufen. Den ich nicht gekauft habe. Weil der Laden noch zu war. Ich stand da um 8 Uhr morgens bei Auto Becker in Düsseldorf und der öffnete erst um 11.

Da haben Sie sich gedacht, dann kaufe ich mal eben ´nen kleinen Expressionisten?

Da bin ich durch Düsseldorf gegangen und habe bei der Kunsthandlung Konzen zwei Bilder gesehen: den 'Blumengarten' von Nolde und 'Tingeltangel' von Munch. Und da dachte ich: Och, ich fahr meinen VW weiter und kauf die beiden Bilder, die haben nämlich 13.000 Mark gekostet, wie der Porsche.

Zusammen? Günstig!

Ja, das war 1955. Damals bekam man auch ein Reihenhaus für 13.000 Mark. Dann vergingen zwei Jahre. Bis ich gelesen habe, dass dieser 'Blumengarten', der von Nolde mehrmals mit kleinen Änderungen gemalt worden war, bei einer Versteigerung 40.000 Mark gebracht hat. Da habe ich mir gesagt: Mensch Grothe, mehr kannst ja gar nicht verdienen. Du musst in Kunst gehen. Und plötzlich habe ich deutsche Expressionisten gesammelt. Bis 1965. Dann lernte ich Polke, Richter, Imi Knoebel und die Düsseldorfer Szene kennen. 1972 zum Beispiel

kaufte ich gleich eine ganze Ausstellung von Polke, mit 33 Bildern.

Haben Sie sich beim Kauf beraten lassen? Oder handelten Sie intuitiv?

Nein. Kunst schätzen zu lernen, ist Arbeit. Das ist nicht nur gucken und kaufen. Man muss wissen, welche Bilder in Versteigerungen das meiste Geld bringen, welche Bilder am meisten publiziert werden. Man muss die Kritiken kennen. Dann bekommen Sie langsam ein Bild von den Bildern. Sie müssen lernen, das Beste zu erkennen.

Wie haben Sie es gelernt?

Einmal durch die Vorlesungen und - was noch klüger ist - indem ich in jeder Stadt in die Kunstmuseen gegangen bin. Und ich habe viel von Georg Baselitz gelernt, der auch mein Trauzeuge war. Er ist in den 1970er Jahren Professor in Karlsruhe geworden. Ich habe ihm gesagt: Wenn du den Studenten beibringen kannst, was Kunst ist, dann musst du mir das auch beibringen können - damit ich endlich mal an Geld komme. Bisher hatte sich jeder Künstler geweigert, mir Kunst zu erklären. Baselitz aber antwortete: Das ist sehr leicht.

Jetzt bin ich aber gespannt ?

Er erklärte es mir an einem Beispiel aus der Musik, an Paganini und Beet-hoven. Paganini war ein Wundergeiger, ein außergewöhnliches Talent, ein großer Künstler. Beethoven hingegen war ein mittelmäßiger Klavierspieler. Aber für die Musikgeschichte war Beethoven der wichtigere. Weil er neue Klänge entwickelt hat.

Weil er etwas geschaffen hat, worauf eine Reihe von Musikern aufbauen konnte. Wenn ich heute ein Bild sehe, frage ich mich also: Habe ich einen Paganini oder einen Beethoven vor mir? Handelt es sich 'nur' um ein hervorragend gemaltes Bild? Oder ein Bild, das etwas Neues bringt? Einen Paukenschlag sozusagen.

Lassen Sie uns das auf Anselm Kiefer übertragen. Wodurch zeichnet sich Kiefer aus Ihrer Sicht aus?

Ich möchte nicht behaupten, dass Anselm Kiefer ein Beethoven der Malerei ist. Aber: Er hat etwas Neues gebracht. Es hat nicht versucht, etwas Schönes zu malen. Seine Bilder sind nicht gefällig. Er hat versucht, etwas zu malen, mit dem man sich beschäftigen kann.

Und Sie setzen sich ausgiebig mit seinen Werken auseinander?

Ich brauche manchmal vier bis fünf Jahre, bis ich für mich die Interpretation eines Werkes gefunden habe. Ich setze mich vor die Bilder, sage ihnen guten Tag, frage sie: Na, wie geht es denn heute, führe einen Dialog mit ihnen. Es ist eine intensive Beschäftigung, mit dem Resultat, dass ich immer wieder eine neue Geschichten aus ein und demselben Bild erzählen kann. Das mag für andere nutzlos sein. Für mich macht es Sinn.

Was gibt Ihnen Kiefer, was andere Künstler Ihnen nicht geben? Wenn Beuys, bei dem Kiefer studiert hat, Fettecken und Filzanzüge in Kunsträume stellt bzw. hängt, dann erzählt das keine Geschichten?

Nein, dann ist das ein Filzanzug, ja, und? Welche Geschichte wollen Sie daraus machen?

Verändert sich Ihre Interpretation mit der Zeit?

Manchmal. Aber meistens bleibe ich bei der, die ich schließlich für die beste halte. Ich habe darüber ja sehr lange nachgedacht. Ich unterhalte mich nicht mit anderen darüber, ich diskutiere nicht darüber.

Wenn Sie Anselm Kiefer auf der Top-20-Liste der Gegenwartskünstler einordnen sollten, auf welchem Platz landete er?

Unter den ersten zehn weltweit. Und in Deutschland ist er der beste.

Das müssen Sie als Geschäftsmann jetzt sagen.

Da haben Sie nicht unrecht. Ich hab mit den anderen ja nichts mehr zu tun. Ich will sie nicht mehr sammeln. Glauben Sie nicht, dass irgendein Sammler Kunst nur um der Kunst willen sammelt. Sammler haben immer auch den Gewinn im Blick.

Sie sind 78 Jahre alt. Was wird eines Tages mit Ihrer Kollektion geschehen? Haben Sie kunstinteressierte Kinder?

Ich habe zwei Söhne, die interessieren sich nicht für Kunst. Sie haben mir beide gesagt, dass sie sich nicht Millionen an die Wand hängen. Dass sie die Sammlung auflösen würden. Also habe ich sie 2006 an die Wella-Erben Sylvia und Ulrich Ströher verkauft, mit der Auflage, dass sie mindestens 20 Jahre in dieser Form erhalten bleibt.

Angeblich haben Sie dafür 50 Millionen Euro bekommen ?

(Lächelt) Dafür hätte ich sie nicht verkauft. Ich hatte allein 26 Bilder von Gerhard Richter. Sie wissen, was die kosten ?

Jetzt konzentrieren Sie sich auf Anselm Kiefer. 40 Werke von ihm sind in Ihrem Besitz. Wie geht´s weiter?

Mir fehlen noch zehn gute Kiefer-Bilder, um die Sammlung zum Abschluss zu bringen - und um dafür ein eigenes Museum zu bauen. Mit großen Räumen, die ich, so wie ich sie haben möchte, gestalten kann. Ich brauche Räume, die sich den Bildern anpassen, nicht umgekehrt. Dafür benötige ich rund 1.200 Quadratmeter.

Vor fünf Jahren hatten Sie daran gedacht, einen Anbau an das Es Baluard zu errichten, um dort Kiefer auszustellen. Woran ist das Projekt gescheitert?

An vielem. Man fand keinen Platz, wo man hätte bauen können.

Gibt es neue Mallorca-Museums-Pläne?

Durchaus. Wenn man mir ein Grundstück schenken würde, vielleicht zwischen Palma und Andratx. Dazu würde ich ein Hotel bauen, damit sich aus den Gewinnen des Hotels das Museum trägt.

Die Schenkung eines Grundstückes ist Voraussetzung?

Ja. Ich sehe nicht ein, dass die Öffentlichkeit, dass die Bürger nichts für ein solches Projekt tun. Mit einer solchen Äußerung mache ich mich unbeliebt. Aber: Ich tue etwas, und die anderen müssen auch etwas tun.

Würde es architektonisch ein großer Wurf werden, ein Frank-O.-Gehry-Guggenheim-Bau à la Bilbao?

Ich würde einen sehr renommierten Architekten beauftragen.

Verbindet Sie etwas mit dem mallorquinischen Verleger Pedro Serra, dessen Kunstsammlung normalerweise im Es Baluard zu sehen ist?

Ich glaube, wir sind vom Typ ähnlich. Wir sind beide Unternehmer, beide Kunstsammler. Wir wollen beide ordentlich Geld verdienen, wir sind am Erfolg orientiert, haben dem Erfolg alles untergeordnet. Und wir sind Patriarchen. Ich jedenfalls möchte bestimmen, wo es lang geht. Ich möchte entscheiden.

Sind Sie eitel?

Sie sehen doch, wie ich Sie empfange, mit meinem Jeanshemd ? Ich bin kein Dressman.

Ich meine nicht die Äußerlichkeiten.

Natürlich bin ich eitel. Natürlich will ich angeben, wenn ich als gelernter Maurer das mal so proletarisch ausdrücken darf. Wenn bei Ausstellungen steht: Werke aus der Sammlung Hans Grothe, dann bin ich darauf stolz, um es etwas gebildeter auszudrücken.

Sie sagten vorhin: Aus Kiefer lese ich Geschichten. Erzählen Sie uns die Geschichten von den Bildern, die in Palma zu sehen sind ?

Gern. Aber nicht von allen.

In der Print-Ausgabe: Die Werke und ihre Geschichten